Reiner Schwalme – vom geexten Kunststudenten zum bedeutenden Karikaturisten

Reiner Schwalme

Wer als Achtjähriger mit seinen Eltern aus dem niederschlesischen Klitschdorf beim Heranrücken der russischen Front überstürzt fliehen muss, hat die Schrecken eines Krieges für immer verinnerlicht! Alles zurücklassend, Not und Entbehrungen, Hunger, nicht wissend was die Zukunft bringt – das formt einen Menschen lebenslang. Reiner Schwalme, das Einzelkind eines Stellmachers und einer Schneiderin hat dies alles erlebt. Es trieb ihn an, gegen Kriege aller Art und von wem auch immer angezettelt, vorzugehen. Seine „Waffe“ war der Zeichenstift, treffend und pointiert brachte er jedes Dilemma auf den Punkt. Leider lässt eine Krankheit das Zeichnen nicht mehr zu.

Nach dem Abitur in Oberröblingen (Sachsen-Anhalt), wo die Familie nach der Flucht gestrandet war, ging Reiner Schwalme nach Berlin. An der Kunsthochschule Berlin-Weißensee wurde er nach einem Jahr Studium wegen „künstlerischer Phantasielosigkeit“ exmatrikuliert! Ein nachfolgendes Studium der Gebrauchsgrafik schloss er erfolgreich ab und war anschließend viele Jahre bei der DDR-Zeitung „Tribüne“ als Grafiker tätig.

Seit 1966 selbstständig, arbeitete er für zahlreiche Verlage und fertigte in deren Auftrag Illustrationen an. Den gesellschaftlichen Prozessen schon immer aufgeschlossen gegenüberstehend, schlugen sich in seinen Werken immer öfter kritische Töne nieder. Schwalmes Kunst bestand darin, in leicht verklausulierter Form diese an den Tag zu bringen, vorbei an den Idelogiewächtern der Partei. „Gelernte DDR-Bürger“ haben dies ohnehin verstanden, sie waren geschult, „zwischen den Zeilen“ zu lesen, zu hören und zu sehen. Reiner Schwalme zeichnet aus, dass er mit flotten Strich und pointiert seine Metaphern präsentiert. Dies brachte ihn 1985 zum Satiremagazin „Eulenspiegel“, wo er zu einem der bekanntesten DDR-Karikaturisten wurde. Dort stand er ständig zwischen künstlerischer Ausdrucksform, politischem Anspruch und seinem natürlichen Drang zu kritischen Äußerungen. Immer wieder gab es in den Redaktionsräumen Diskussionen darüber, was man darf und was nicht, was der Leser und die Partei gerne sehen würden. Genau dieses Spannungsfeld war Reiner Schwalmes Metier! Geschickt setzte er in Szene, was gesagt werden musste, konnte und durfte. Mit Gorbatschows Perestroika im Rücken gelang nun einiges besser, wenn auch noch lange nicht frei und unzensiert.

Frei von Kontrollen und Repressalien konnte Reiner Schwalme erst mit der politischen Wende und völlig ungeschminkt alle Themen aufgreifen. Besonders der sich breitmachende Nachwendefrust war eine Fundgrube für ihn wie für jeden anderen ambitionierten Kritiker.

Sein preisgekröntes Werk von Euphorie während der deutschen Vereinigung und dem Grübeln darüber, fand es bis ins Museum für deutsche Geschichte in Bonn:

Sein Stil ist abwechslungsreich und dennoch unverkennbar. Reiner Schwalme sieht sich auf der Seite der Betroffenen, ihnen gehört seine Sympathie. Oft sind es Dialogsituationen, wobei das Bild allein schon reicht, doch Sprechblasen (des Volkes Mund) verstärken die Aussagekraft.

Inzwischen hat Reiner Schwalme mit seiner Frau Martha im Spreewald seine Wohnstatt gefunden. Es war seine Idee, parallel zu den Bildhauersymposien auch Karikaturisten mit Namen und Rang aus dem ganzen Land einzuladen, in diesem Jahr nun schon zum zweiten Mal. Im Großen Hafen Lübbenau wurden die besten Arbeiten unter freiem Himmel unter dem Motto „Karikaturen im Spreewald“ gezeigt – in Analogie zu den Ausstellungen „Cartoon on air“ in Prerow, an der Reiner Schwalme ebenfalls mitwirkte.

Neben den kleinen und großen Alltagssorgen seiner Protagonisten, treibt ihn die aufgeheizte Weltsituation an: Klimafragen bewegen ihn ebenso, wie die Kriegsgelüste verschiedenster Akteure, die meinen, die Geschicke der Welt bestimmen zu müssen. Krieg und seine Folgen hat er als Kind erlebt – er leidet förmlich mit, wenn er die Kriegsberichte sieht. Es kribbelt ihn in den Fingern, in seinem Kopf entstehen zahlreiche Bilder, doch eine Erkrankung hindert ihn daran, das zu Papier zu bringen. So bleiben ihm nur seine früheren Anti-Kriegswerke, die an Aktualität nichts eingebüßt, sondern sogar noch dazugewonnen haben

Peter Becker, 21.09.23

Aber auch die neue Spreewaldheimat ließ ihn nicht zur Ruhe kommen:

Beispiele seines jahrelangen Schaffens (©Reiner Schwalme)

Über Peter Becker 368 Artikel
Jahrgang 1948, Diplomlehrer, Freier Journalist und Fotograf

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