Margarete Lea wohnt unweit des Straupitzer Sportplatzes. Dies ermöglicht der rüstigen Seniorin den Besuch fast jedes Fußballheimspieles, auch weil Sohn Andreas Lea dort Co-Trainer ist oder weil Enkel Danielo Halko dort lange Zeit aktiv spielte. An Siegen ihrer Mannschaft nahm sie ebenso Anteil, wie sie Trost spendete, wenn es mal nicht so lief. Seit Jahren kommt sie mit einem selbst zubereiteten Schnittchenteller auf den Platz, die Sportler langen nach dem Spiel gern und beherzt zu. Ben Smalla, der Vorsitzende des Sportvereins Blau-Weiß Straupitz: „Wir nehmen es stets mit Freude zur Kenntnis, wenn Oma Gretel sich mit ihrer Sitzdecke schon lange vor dem Spiel einen Platz reserviert. Dann gibt es garantiert wieder Schnittchen für uns, sie herzt uns und spricht uns Mut zu, wenn’s mal eine Niederlage gibt.“
Margaretes Start ins Leben verlief alles andere als wohlbehütet und sicher. Als Elfjährige musste sie ihre geliebte schlesische Heimat verlassen: „Es war ein Dienstag, der 12. Januar 1945, als wir unser Spittelndorf verließen. Wir mussten alles stehen und liegen lassen, verbunden mit der vagen Hoffnung auf baldige Rückkehr in unsere Heimat, die sich dann doch nicht erfüllte“, berichtet sie über ihre Kindheit und Flucht in Richtung Westen. Der Vater, ein Eisenbahner, konnte seine Familie mit der Bahn evakuieren, dies ersparte ihnen das Schicksal vieler anderer, die sich auf den Treck im eiskalten Winter 1945 begeben mussten. Nach kurzen Aufenthalten in Berlin, später im Sächsischen, dann in Schönwalde und in Börnichen, kam die Familie zuletzt in Straupitz unter. Das houwald’sche Schloss, inzwischen enteignet, bot in den Kellerräumen eine notdürftige Bleibe. „Erst im September 1945 durften wir eine Etage höher ziehen, ins heutige Lehrerzimmer“, erinnert sie sich an die Anfangszeit in Straupitz. Der Schulbesuch war erst ab November möglich, damals noch in der alten Straupitzer Schule. Wegen des kriegs- und fluchtbedingten Unterrichtsausfalls musste sie die 3. Klasse wiederholen.
Es folgten Jahre des Eingewöhnens in Straupitz, eine Rückkehr nach Schlesien erwies sich als Unmöglichkeit. Als Vierzehnjährige nahm sie eine Anstellung beim Fleischer Mattern an, sie war dort fünf Jahre Kindermädchen und Haushaltshilfe. Es folgte eine Tätigkeit im Meliorationsbetrieb Butzen, auch im Privaten ordnete sich einiges, denn sie fand in Horst Lea den Mann fürs Leben. Der Ehestart war dann allerdings etwas übereilt. „Wir ‚mussten‘ schnell heiraten, denn unser erstes Kind war schon auf dem Weg. Am 24.12.1955 heirateten wir standesamtlich, am 27.12. dann auch kirchlich“, erinnert sich Margarete an den Anfang ihrer Ehe mit Horst, den sie nach 44 gemeinsamen Jahren 1999 für immer verlor. Fünf Kinder bekam das Paar, heute gehören zwölf Enkelkinder und 20 Urenkel zu ihren nächsten Verwandten.
Margaretes Leben war durch Mühen gekennzeichnet, aber auch durch Frohsinn: „Ich brauchte die Gesellschaft und die Geselligkeit als Ausgleich, ich freute mich jedes Jahr aufs Neue auf die mir bis dahin unbekannten wendischen Traditionen wie Zampern und Fastnacht. Damals wurde noch getrennt nach Männern und Frauen gefeiert, also gab es auch mehrere Feste. Im Laufe der Zeit legte ich mir auch eine Tracht zu und ließ eigentlich nichts aus“, erinnert sie sich, dabei in sich hinein schmunzelnd, an diese Zeit, die eigentlich immer noch nicht beendet ist. Manuel Pape, Jahrzehnte im Vorstand des Fastnachtsvereins, erinnert sich an eine Veranstaltung, in der er mit Margarete um Mitternacht in deren 85. Geburtstag hineintanzte. „Irgendwann war ich ihr wohl zu langsam, denn sie übernahm die Führung und wirbelte mich durch den Saal. Oma Gretel ist bei uns eine Institution, sie ist untrennbar mit unserem Traditionsleben verbunden.“
Margarete Lea ist seit 1949 bei jeder Fastnacht dabei, sie ist das einzige „Ehrenmitglied der Straupitzer Fastnacht“ und bekam zu ihrem 75. Jubiläum 2024 vom Fastnachtsverein einen Ehrenorden verliehen.
Peter Becker, 19.04.24
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