Die beiden Koreanerinnen sind beim Paddeln so ins Gespräch vertieft, dass sie die Einfahrt zu Frankes Paddelbootverleih in Lübbenau fast verpasst hätten. Glücklicherweise hält sich Manfred Franke in der Nähe auf und kann die beiden Mädchen noch rechtzeitig zurückrufen. „Ich kann mich gut an die beiden erinnern, sie sind heute Morgen los zur Tagestour“, erzählt der Verleiher, nachdem er ihnen aus dem Boot geholfen hat. Es ist ein schmuckes Paddelboot, von ihm selbst vor Jahren gebaut und immer noch im Dienst. „Jeden Winter habe ich sechs Boote gebaut“, verkündet der immer noch auf seine Leistungen stolze 74-Jährige.
Seine Leidenschaft für Boote und Bootsbau war ihm nicht in die Wiege gelegt. Nach den Kriegswirren mit Vertreibung aus Schlesien folgten viele Jahren in der Notunterkunft, in der ehemaligen Reichsarbeitsdienstbaracke, der heutigen AWO-Station in der Dammstraße. An die Vertreibung durch die Polen kann sich der damals Sechsjährige noch gut erinnern, zu schmerzlich und einprägsam waren die Erlebnisse. Besonders das Schicksal des Zugochsen wirkte auf das Kind nach. „Wir mussten den an der Neiße zurücklassen, aber der lief uns ständig nach. Ein Schuss eines polnischen Grenzposten streckte ihn nieder“, erinnert er sich an den treuen Zuggefährten, der sie auf dem Ackerwagen von Schweinitz bis an die neue Grenze brachte. Weiter ging es nur mit der ihnen von den Soldaten überlassenen Vorderachse des Wagens und den wenigen noch übrig gebliebenen Habseligkeiten.
Mit 14 Jahren ging Manfred Franke in die Schlosserlehre zur damaligen Lowa nach Vetschau, zwei Jahre Facharbeiterjahre folgten, bevor er sich an einem Berliner Betrieb für Baggerarbeiten bewarb. Anfangs als „Schmierer“ tätig (er musste die Bagger warten) kam der gerade 18-Jährige als Baggerführer auf einen 45-Tonnenbagger und war auf vielen Großbaustellen unterwegs, meist als Urlaubsvertreter, als sogenannter Springer. Er war dabei, als der Flughafen Schönefeld erweitert wurde, ebenso bei den Erdarbeiten zum Kraftwerksbau in Lübbenau. Hier ergab es sich, dass sich der heimische Bootsverleiher Hans Buchholz an den jungen Mann mit einer für ihn völlig überraschenden Offerte wandte. „Du kannst meinen Bootsverleih haben, ich ziehe nach Hiddensee!“ Manfred Franke hatte als Schuljunge oft geholfen, die Boote zu säubern, er kannte den Betrieb und das Prozedere. „Aber eine gut bezahlte Arbeit als Baggerführer aufgeben und gegen ein Saisongeschäft eintauschen? Das wollte gut überlegt sein“, erinnert sich Manfred Franke an seine Zweifel. Nachdem er für den Winter einen Job als Kraftfahrer bei der Cottbuser Bau-Union gefunden hatte, fiel ihm die Entscheidung leichter. Mit den übernommenen 45 Paddelbooten kam er über den Sommer gut aus. Hinderlich wirkte sich eine staatliche Preisvorgabe aus, die für alle Verleiher gleich war: beispielsweise 80 Pfennig die Stunde für den Einsitzer. Eine Anpassung an Angebot und Nachfrage – undenkbar, das hätte den Entzug der Gewerbegenehmigung bedeutet.
Im dritten Winter war er dann soweit, von den Einnahmen des Sommers leben zu können. Manfred Franke machte sich an den Eigenbau von Paddelbooten aus Holz, „notgedrungen, weil es keine zu kaufen gab“. Jeden Winter baute er seinen Bootspark aus. Einige seiner Boote, erkennbar an der schön gezeichneten Maserung, sind noch heute im Einsatz. In dieser Zeit reifte mangels geeignetem Holz der Entschluss, es auch mal mit Kunststoffbooten zu versuchen. Polyester gab es gelegentlich zu kaufen, nicht aber die Glasfasermatten, die für die Formgebung und Stabilität nötig waren. In der Grünauer Fabrik für Plastikruderboote wollte er sich umsehen. „Die haben aber ein Staatsgeheimnis daraus gemacht und wollten mich nicht reinlassen“, erinnert sich Franke. Für 20 Mark „Trinkgeld“ ließ ihn der zuständige Ingenieur dann doch durch die Halle gehen, anfassen oder mitnehmen durfte er nichts. Nur das, was er gesehen und im Kopf hatte. „Und das hat gereicht, ich konnte mich an die Arbeit machen und selbst Boote aus Kunststoff bauen“, freute er sich. Die fehlenden Glasfasermatten schuf er sich aus Resten und Abfällen, die er sich von der Grünauer Werft besorgte. Hier halfen die in sozialistischen Zeiten so lebensnotwendigen Beziehungen – in Gestalt der Spreewaldgurken.
Nach der Wende kam dann alles anders: Boote gab es zu kaufen, weitere Verleiher machten sich selbstständig und die Preisgestaltung war frei. Für Manfred Franke begann ein neuer Zeitabschnitt, er konnte seine Flotte modernisieren und sich letztlich gut auf dem Markt behaupten.
Aus seiner Verleihtätigkeit kann er viele Geschichten erzählen. Unter anderem die, wo eine Paddlerin sich im Ufer verhedderte. Ein vorbeikommender Fährmann gab den nicht ernst gemeinten Rat, doch auszusteigen und das Boot aus dem Gestrüpp zu befreien. „Die Frau hat das tatsächlich gemacht, wie sie mir dann nass und zitternd berichtete. Für sie war der Fährmann eine Autorität, dessen Weisungen zu befolgen sind.“
Manfred Frankes Leben hat sich seit 1945 mit wenigen Unterbrechungen immer nur zwischen dem Barackenlager und dem Bootsverleihgelände abgespielt. Das Wohnhaus befindet sich ebenfalls in unmittelbarer Nähe, schon vor Jahrzehnten haben Ingrid und Manfred Franke es bezogen. Tochter Birgit kam 1964 zur Welt, Sohn Thomas 1969. Der gelernte Tischler führt nun mit seinem Vater gemeinsam den Bootsverleih. Manfred Franke lässt es nun etwas ruhiger angehen, hilft beim Ausleihen und passt ein wenig auf. Zum Beispiel, dass alle Paddler auch wieder heimfinden und die Einfahrt nicht verfehlen.
Peter Becker/peb1, 18.09.13
Update: Manfred Franke verstarb am 25.11.2023
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