Welche Rolle Socialmedia, Männerhüte und -taschentücher sowie geschälte Kartoffeln bei der Fastnacht der Neuzeit spielen.
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In Neu Zauche muss die Jugend über viel Steh-, Sitz- und Tanzvermögen verfügen, was aber bei der der Jugend nachgesagten Dauerfitness an sich wohl kein Problem darstellen sollte. Viel wichtiger ist es, dass sich die Jugend die angestammten Traditionen zu eigen macht – und dies nicht, weil es so von ihnen verlangt wird, sondern weil es ihnen vom Herzen kommt. „Jugendchefin“ Romy Lehmann: „Wir sind kein Verein, aber wir sehen uns in der Pflicht, dass fortzuführen, was wir von unseren Eltern und Großeltern vorgelebt bekommen haben.“ Gemeinsam mit ihrer Co-Chefin Carolin Koch hat sie die Fastnacht akribisch vorbereitet, jedes noch so kleine Detail aufgeschrieben und über WhatsApp an alle geteilt. Beide sind Auszubildende in medizinischen Berufen, sie haben sich die Zeit für die Organisation genommen und setzen sich mit Leidenschaft für den Erfolg des Festes ein.
Der Mittwochabend begann mit Sträußchen anstecken: „Jungs Hut mitbringen, Mädchen: Nadel, Faden, Bänder“, lautete die Erinnerung zur Auftaktveranstaltung. Nachdem die männliche Jugend mit den Fastnachtsaccessoires versorgt war, hieß es „Hut auf!“: Die Fastnacht 2024 war eröffnet.
Am Morgen des nächsten Tages begann das Zampern, das sich bis zum Abend hinzog. Mit dabei die jüngsten Mädchen, Sarah, Josie und Finja, die alles in einer Kiepe sammelten. Zum Abschluss trafen sich noch einmal alle im Jugendclub, um das Erzamperte zu erfassen, besonders die Geldspenden. „Mädels schick, Jungs mit Hut und Hemd – Farbe egal“ lautete die WhatsApp-Order zum Treff. Romy Lehmann: „Solch ein mehrtägiges Fest ist teuer, aber wir haben Rückhalt bei den Dorfbewohnern gefunden, die sich freuen, wenn Jahrhunderte alte Traditionen fortgeführt werden, außerdem werden wir von der Domowina unterstützt und haben noch ein paar Rücklagen vom Stollereiten.“
Der Freitagabend war dem Dorftanz für Jung und Alt in Leutners „guter Stube“ vorbehalten. Auch hier wurde vorher klar über die Multimediakanäle kommuniziert, wie die Jugend zu erscheinen hat: „Jungs: Hemd, Schlips, Anzughose, dunkle Schuhe, Hut; Mädels: Kleid, keine Stiefel!“ Und als Nachsatz die Erinnerung: „Geschälte Kartoffeln für zwei Personen mitbringen!“ Letztere wurden für das gemeinsame Gulaschessen am Samstag in Leutners Gasthaus „Zum Oberspreewald“ gebraucht. So gestärkt ging es zum Fastnachtsumzug durchs Dorf. Nach der Kapelle führten der Kiepenträger Guido Hahn und die Organisatorinnen Carolin Koch mit Partner Paul Orsin und Romy Lehmann mit Partner Max Gnädig den Zug an, gefolgt von weiteren 18 Paaren. Der Kiepenträger symbolisiert das Eiersammeln vom Zampern und mit seinem Stock den Speckspieß. Zuvor hatten beide Frauen auch hier für die Einhaltung der Kleiderordnung gesorgt: „Mädels: hautfarbene Strumpfhose, keine Stiefel, Schleife links; Jungs: schwarzer Anzug, Schlips, weißes Hemd!“
Wind und einsetzender Regen setzten besonders den Mädchen beim Zug durchs Dorf zu, die sich aber modernen durchsichtigen Regenschutzes bedienen durften. Besorgte Mütter reichten ihn ebenso nach, wie wärmende Ärmelstulpen, Tanzeinlagen hielten zusätzlich warm. Eine Aufwärm- und Trockenmöglichkeit bot das Abendessen, denn die männlichen Partner luden traditionell ihre weibliche Begleitung zum Essen in ihre Familien ein.
Der Umzug klang mit einer Polonaise, wieder „bei Leutners“, aus. Auch hier gab es die Order, dass die Jungs bis zur Polonaise nicht sitzen dürfen, die Mädchen dafür im Kreis. Und dann zelebrierten die Neu Zaucher einen Brauch der besonderen Art*: Die Mädchen trugen ein verknotetes Taschentuch ihres Partners auf dem Kopf und dessen Jacke linksherum: Dies soll ein Zeichen der gegenseitigen Fürsorge sein, denn zur Fastnachtszeit ist es meist kalt und regnerisch (wie an diesem Tag). Natürlich war dem auch wieder eine kleine Erinnerung per Medien vorausgegangen: „Jungs, sauberes Taschentuch mitbringen!“ In Zeiten von Papiertaschentüchern für den einen oder anderen eine gewisse Herausforderung, die aber mit familiärer Unterstützung gut zu bewältigen war.
Wohltuend zu sehen: Anders als anderswo üblich, wurden keine Schnapsflaschen im Zug mitgetragen, zumindest nicht sichtbar – etwas, was überall üblich werden sollte!
Der sonntägliche Frühschoppen begann am ehemaligen Bahnhof und endete mit noch einmal einem gemeinsamen Mittagessen, vor dem es hieß: „Hut ab!“ – die Neu Zaucher Jugendfastnacht 2024 war Geschichte.
* Inzwischen konnte etwas Licht in das Dunkel des Brauches gebracht werden: Wie erwähnt, geht es um Fürsorge: Der Herr reicht der Dame seine Jacke (warum gerade auf Links gewendet, ist noch unklar – Schweiß, Hygiene…?) und seinen Hut. Er behilft sich derweil mit seinem verknoteten Taschentusch als Kopfbedeckung. Wer mehr weiß oder es besser weiß, darf das gern kommentieren!
Peter Becker, 04.02.2024
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