Gertraut Romke – ein Spreewälder Original lebt nicht mehr

Am 17. Februar verstarb in Leipe „Traute“, wie sie von allen ihr Nahstehenden genannt wurde, 90-jährig im Kreise ihrer Familie.

Für Trachtenträgerinnen im gesamten Spreewald war sie die Anlaufstelle, sie konnte Tragetipps geben, sie konnte nähen und sie hatte einen großen Fundus. Kindergartenkinder wurden von ihr angekleidet, ebenso Trachten-Neuanfängerinnen, die sich der Tradition verpflichtet sahen. Doch das war nicht immer so:

„Ich? Trachtennähen? Das kommt nicht in Frage, mit diesen altmodischen Sachen befasse ich mich nicht!“ Diese Aussage musste sich 1977 Lotar Balke, Sammler sorbisch-wendischer Sitten und Bräuche, von Gertraut Romke gefallen lassen, als er dringend jemanden suchte, der die Leiper Haube nachgestalten konnte. Mutter Marie Pasternack war perfekt im Haubebinden, aber mit ihrem Tod hinterließ sie eine Lücke, in die nun Tochter Gertraut treten sollte. 
Aus der ursprünglichen, eher spontanen Ablehnung heraus, entwickelte sich Traute Romke zu einer Trachtenschneiderin mit inzwischen hoher Wertschätzung. „In Leipe gibt’s eigentlich keen Rock, der nich durch meene Aende ägangen is!“ Wie alle älteren Einheimischen beherrschte auch sie die Spreewälder Mundart. Für jeden Rock werden ungefähr 20 Arbeitsstunden gebraucht – hunderte Röcke sind in den letzten fünf Jahrzehnten über ihren Nähtisch gegangen. Nicht gezählt die Tücher, Spitzen und Borte, ohne die ja keine Tracht auskommt! „Und ich nähe alles aus’m Kopp, ich brauch keene Vorlagen oder so was Neumod‘sches!“ Nähen war für Traute auch Sport, denn wegen einer Venenerkrankung musste sie sich viel bewegen, und da kommt ihr die alte Nähmaschine mit Fußantrieb gerade recht. 

Traute Romke (um 1942)(c)privat

Die 1931 als viertes Kind des Littauer Wanderarbeiters Johann Pasternack und der Leiperin Marie Kneffal geborene Traute wurde schon als Kind mit dem Spreewaldleben vertraut gemacht. „Ich musste als Achtjährige erstmals mit dem Kahn das Mittagessen zu meinem Vater in den Wald bringen, wo er in den lynar’schen Forsten häufig zu tun hatte“, erzählte sie einmal. Sie fuhr auch oft mit dem Kahn auf das Feld, um dort den Eltern zu helfen und an Sonntagen ging es mit dem Kahn nach Lübbenau in die Kirche. „Aber ich bin nie ins Wasser gefallen, nur eine irgendwie im Kahn gelandete Ratte hat mich einmal in Panik versetzt. Und die Tiefflieger, die in den letzten Kriegsmonaten über dem Spreewald kreisten. Jedes Mal habe ich mit dem Kahn unter einem Busch Deckung gesucht, ich wusste auch gar nicht, ob es deutsche oder feindliche Flugzeuge waren – ich hatte immer Angst.“  

Für Traute sollte nun der Start in ihren Traumberuf erfolgen, denn sie wollte unbedingt zur Spreewaldbahn, die damals zwischen Cottbus und Goyatz und Lübben verkehrte. Aber ihre Mutter, die den Tod ihres Mannes im gleichen Jahr zu verkraften hatte, drang Traute zur Absage ihrer schon zugesagten Lehrstelle und bestand auf Mithilfe in der elterlichen Landwirtschaft, anders wäre die Arbeitslast für sie nicht zu bewältigen gewesen. So blieb Traute nur die Einsicht in die Notwendigkeit, denn die älteren Geschwister waren bereits ausgezogen.

Mutter Marie Pasternack hilft beim Ankleiden


Achtzehnjährig lernte sie beim Leiper Tanz ihren Zukünftigen kennen, der als Flüchtling mit seiner Familie neu im Dorf lebte. Die Hochzeit fand 1954 statt, die Kinder Martin und Ilona kamen 1957 und 1959 zur Welt. Ehemann Gerhard war vierschichtig im Kraftwerk Lübbenau beschäftigt und neben der beruflichen Tätigkeit war nach wie vor die Landwirtschaft zu bewältigen. Zehn Rinder und andere Haustiere wollten täglich unter den schwierigen Arbeitsbedingungen im Spreewald versorgt sein. Traute sollte in dieser Zeit mal „kurz“ im Leiper Kindergarten aushelfen, „aber daraus sind dann sieben Jahre geworden“. Auch im Spreewaldhotel, einer damaligen Konsum-Gaststätte, half sie in der Saison aus. „Es waren damals täglich über tausend Essen, die über die Ausgabe gegangen sind!“
Nun ist es still an der Sapolla, dem am Haus vorbeifließendem Spreewaldgewässer, geworden – die Nähmaschine rattert nicht mehr. Ohne ihre Kenntnisse und ihr Wissen über Trachten und Trageweisen, wäre es kaum möglich gewesen, die Spreewaldtracht wieder so lebendig zu machen, wie sie es jetzt ist. Sie hat die Tracht aus den Truhen geholt. „Traditionen leben – nicht nur bewahren!“ war ihr Motto.

Peter Becker, 18.02.22

Über Peter Becker 359 Artikel
Jahrgang 1948, Diplomlehrer, Freier Journalist und Fotograf

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