Flüchtlinge in Neu Zauche

Ruth Kohlase: Erinnerungen einer damals 14-Jährigen  an die Ereignisse 1944/45 in Neu Zauche

Schulklasse vor Neuzaucher Kirche (Archiv Dünnbier)

Der Winter 1944/45 war sehr kalt und es lag auch viel Schnee. Die Flüchtlinge kamen in Trecks aus den ehemaligen Ostgebieten (Ostpreußen, Westpreußen und dem östlichen Brandenburg) Die ersten, die Ende 1944 (November/Dezember) kamen, hatten noch Planenwagen mit Pferdegespanne, später kamen sie aus der Neu Mark und Brandenburg/Niederschlesien mit Handwagen gezogen.

Flüchtlingstreck auf dem Weg Richtung Westen (Archiv Dommain)

Wir hatten keine Schule mehr und standen mit heißem Tee und warmer Milch an der Straße (von Straupitz nach Lübben) wo sie durchzogen. Kamen sie gegen Abend an, wurden sie bei den Bewohnern im Dorf über Nacht einquartiert, damit sie sich richtig aufwärmen und ausschlafen konnten. Wir hatten damals nur wenig Platz und schon gar nicht so viel Betten, da haben wir Stroh reingeholt und bis zu 8 Flüchtlinge aufgenommen und verpflegt. Am nächsten Morgen zogen sie dann weiter (bei mehr als -20 Grad). Es wurde tüchtig eingeheizt, sie haben sich mit Decken zugedeckt und waren sehr, sehr dankbar.

Da der Krieg weiter wütete, fielen immer mehr Unterrichtsstunden aus, da auch Lehrer fehlten, die zum Wehrdienst eingezogen waren. Die größeren Schulkinder mussten in der Landwirtschaft mithelfen, da alle männliche Bauern im Krieg waren. Die anderen Schulkinder, die zu Hause nicht gebraucht wurden, gingen mit der Lehrerin Heilkräuter und Maulbeerblätter sammeln. Wir hatten inzwischen eine Seidenraupenzucht auf dem Schulboden, die mussten mit Blättern von Maulbeeren gefüttert werden. Die Heilkräuter wurden gleichfalls auf dem Schulboden getrocknet und zu Tee – und Medikamenten Herstellung aufbereitet. Diese Sammelaktionen fanden nur im Frühjahr und in den Sommermonaten statt, in den Wintermonaten hatten wir dann wieder richtig Unterricht, da musste viel nachgeholt werden. Die Zeugnisse vom Sommerhalbjahr wurden meist vom Winterhalbjahr mit kleinen Veränderungen abgeschrieben. Der Krieg wurden immer spürbarer auch für uns in Neu Zauche. Wir Kinder auf dem Lande hatten den Vorteil Fliegerangriffe nur vereinzelt zu erleben und hatten immer satt zu essen. Es gab auch für uns Lebensmittelkarten und es war alles rationiert. Wollte man ein Brötchen kaufen mussten dafür 50 gr. Mehlmarken abgegeben werden, bei Kuchen noch Fett -und Zuckermarken dazu. Wollten wir Kinder Bonbon haben, Schokolade gab es schon lange nicht mehr, mussten wir auch Zuckermarken dafür abgeben, da Zucker für die Familie ziemlich knapp war, mussten wir darauf verzichten und schmachten. Also haben wir uns geholfen und aus Sahne und Sirup Sahnebonbon selber hergestellt.

Da ich eine gute Schülerin war, hat meine Lehrerin, Frau Schild mit dem Schulrat gesprochen und ich sollte auf ein Lehrerseminar gehen. Die Schule war aber weit weg (in der heutigen Slowakei).

Und ich sollte mich 1944/45 im März entscheiden, man hörte schon den Donner der Kanonen immer näher kommen, die Front rückte unweigerlich näher, aber unsere Lehrerin glaubte immer noch an den Endsieg. So wurden wir schon Ende März aus der Schule entlassen. 

Am 23.April 1945 kam die Rote Armee nach Neu Zauche.    

Zur Verfügung bestellt von H.-J. Kohlase, überarbeitet 27.02.22 von Peter Becker

Über Peter Becker 359 Artikel
Jahrgang 1948, Diplomlehrer, Freier Journalist und Fotograf

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