Deutsch-ukrainisches Projekt in Raddusch
An einem Adventssonntag haben sich viele Menschen in der Radduscher Sport- und Kulturscheune getroffen – Deutsche und Ukrainerinnen. Draußen ist der Dorfbackofen in Betrieb. Matthias Hantscher schiebt Blech für Blech mit Plätzchen in den Ofen, darunter die deutschen Klassiker und die mit ukrainischen Landesfarben lasierten Kekse. Gemeinsam werden sie danach „über Kreuz“ verkostet. Jede lobt die der anderen, denn es sind fast nur Frauen, deutsche wie ukrainische, die sich dem gemeinsamen Backen verschrieben und Rezepte ausgetauscht haben. Allerdings gestaltetet sich das nicht ganz einfach, denn die Sprachkenntnisse der Ukrainerinnen sind noch nicht gefestigt genug. Sie können zwar ausnahmslos Englisch sprechen, aber damit hapert es wieder auf der Gegenseite. Die verfällt daher manchmal ins Schulrussisch, was aber aus verständlichen Gründen nicht so gern gehört und auch nicht gern gesprochen wird. Anna Diadik ist als Dolmetscherin ständig gefragt und eilt von Backteam zu Backteam. Sie lebt seit 2012 in Cottbus, hat hier ihr Sozialstudium abgeschlossen und ist geblieben. Die Frage nach der Zukunft der Flüchtlinge wird immer wieder von den Deutschen angesprochen. Die Antworten fallen ganz unterschiedlich aus und hängen vom weiteren Verlauf der Ereignisse ab. Olha Kravchenko kann sich alles vorstellen. Sie ist Türkisch-Englisch-Dolmetscherin und würde in Deutschland sicher gebraucht werden, aber ihr fehlen noch die Deutschkenntnisse. Sie lebte einen Kriegsmonat lang im Donbass im Keller, bevor ihr die Flucht über Ungarn nach Deutschland gelang, wo sie von Freundinnen den Tipp erhielt, es in Cottbus mit einer Wohnung zu versuchen. „Mit der Wohnung hat es auch geklappt, aber sie war leer, nicht einmal eine Küche gab es. Die ersten Tage und Nächte waren äußerst schwierig, erst nach und nach gelang es durch Sachspenden, die Wohnung allmählich auszugestalten“, berichtet sie von den Anfängen in Cottbus. Ähnliches berichten auch andere Frauen, die dabei die deutsche Bürokratie nicht verstehen. Beispielsweise gibt das Amt 300 EUR für ein Bett, aber dafür bekommt man keines im Handel. Bei eBay gab es ein viel preiswerteres Gebrauchtes, aber ohne ordentliche Rechnung mit ausgewiesener Mehrwertsteuer akzeptiert kein Amt die Geldausgabe.
Tetiana Nienova ist mit ihren drei Kindern aus Odessa gekommen. „Ich bin so dankbar, eine Gastfamilie gefunden zu haben, die uns in allem unterstützt. Gern würde ich mich um mich und meine Kinder selbst kümmern und arbeiten, aber ohne Sprachkenntnisse finde ich keine Anstellung. Die Kinder wurden in der Schule gut aufgenommen, aber warum sind in Deutschland die Klassen so groß? Nachmittags loggen sich die Kinder in ihren ukrainischen Schulen ein (wenn das deutsche Netz mal wieder nicht grad schwächelt), um an dem dort angebotenen Onlineunterricht teilzunehmen“, erzählt die junge Frau von ihren Problemen.
Immer mal wieder klingelt ein Telefon, immer mal wieder geht eine Frau nach draußen vor die Tür, um mit ihren Angehörigen in der Ukraine in Ruhe sprechen zu können. Die fragenden und anteilnehmenden Blicke der anderen bei der Rückkehr ins Warme können wenigstens an diesem Nachmittag beruhigt werden, denn den dort Gebliebenen geht es den Umständen entsprechend – von gut kann keine Rede sein.
Das Zusammenkommen mit den Ukrainerinnen hat die in Raddusch ansässige SPREEAKADEMIE bereits im Sommer organisiert. Geschäftsführer Sebastian Zoepp: „Das heutige Adventsbacken ist unsere letzte Veranstaltung im Rahmen unseres Bildungsprojektes für geflüchtete Familien aus der Ukraine. Seit Ende Juni haben wir dank einer Förderung durch die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt insgesamt zwölf Veranstaltungen hier in Raddusch und Umgebung durchgeführt. Die meisten davon fanden in unserem Lerngarten statt, wo wir mit den Familien verschiedene Workshops zum ökologischen Gartenbau durchgeführt haben.“ Dolmetscherin Anna Diadik ergänzt, „dass es ihnen besonders darauf ankam, Abstand vom Krieg zu bekommen und sich auch an die Menschen im Gastgeberland anzunähern“.
Für das nächste Jahr plant das Sozialunternehmen schon ein neues Projekt und hofft weiterhin auf rege Unterstützung aus der Region. „Die vergangenen Veranstaltungen haben gezeigt, dass solche Vorhaben nicht nur für die Integration der Geflüchteten wichtig sind, sondern auch die Dorfgemeinschaft stärken“, sagt Sebastian Zoepp rückblickend.
Nach den Plätzchen kommen zum Abschluss noch ein paar „ordentliche Sachen“ in den Ofen, wie die (wenigen) Männer betonen. Flammkuchenteige wurden belegt und nacheinander von Matthias Hantscher in den Backofen geschoben. Gemeinsam ließ man es sich dann schmecken. Anna Diadik bedankte sich anschließend im Namen aller bei Sebastian Zoepp für seine Arbeit und lobt das schöne Dorf, die netten und hilfsbereiten Menschen und erklärt, dass Raddusch auf Ukrainisch so viel wie Freude bedeutet – alles Gründe, im nächsten Jahr wiederzukommen und neue Projekte anzugehen.
Peter Becker, 17.12.22
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