Der Spreewaldverein hat sich zur Aufgabe gemacht, den Spreewaldkahn als immaterielles Kulturerbe anzumelden. Auf den Spreewaldgewässern sind verschiedene Bauformen zu finden: der altbekannte Holzkahn, der Alukahn, der Stahlblechkahn und ein (!) Plastikkahn. Aber wo liegen die Unterschiede, welcher ist eigentlich besser?
UPDATE! (s. Textende!)
Am Anfang war der Einbaum
Als die Slawen vor etwa 1500 Jahren den Spreewald besiedelten, werden sie zum Vordringen in den dichten und von zahlreichen Gewässern durchzogenen Urwald sehr einfache Hilfsmittel benutzt haben. Der Einbaum dürfte das über viele Jahrhunderte vorherrschende Transportmittel gewesen sein, einige Funde zeugen noch heute davon. Erst mit Fortschreiten der Sägetechnik war die reale Möglichkeit gegeben, lange dicke Kiefernbohlen aus geradem Wuchs für den Kahnbau, so wie wir ihn heute kennen, zu verwenden. Im inneren Spreewald lässt sich das Jahr 1850 festmachen, ab dieser Zeit wurden Kähne in Lehde gebaut. Andere Quellen nennen auch 1786 als Beginn des Kahnbaus, als Forstbeamte beim Kahnbauer Henckel in Straupitz „7 kieferne Bretterkähne für 4 Thaler das Stück“ bestellten.
Der Kahn hält Einzug
Wie sich leicht vermuten lässt, wurden anfangs die Bohlen in Längsrichtung verbaut. Dies führte zwar zu guten Gleiteigenschaften, aber auch zu häufigen Rissen mit entsprechenden Vernässungen. Der Kahn diente als Transportmittel für Futter und Erntegüter, war aber wegen der zahlreichen Querstreben wenig für Schüttgüter (Kartoffeln, Rüben) geeignet. Die Querbohlenkähne als Fortentwicklung brachten bessere Bedingungen, es wurde mehr „störungsfreie“ Bodenfläche geschaffen. Mit dem aufkommenden Tourismus gab es neue Herausforderungen. Die Kähne waren hinsichtlich ihres sehr flachen Bugs und Hecks ideal für das Aufsetzen an Land geeignet. Jedes Gehöft hatte sein Gässchen, der Kahn wurde zum Be- und Entladen einfach „auf Grund“ gesetzt. Die ersten Spreewaldbesucher, man denke an die feinen Damen der Berliner Gesellschaft, mussten dabei irgendwie in und auch wieder einigermaßen sauber aus dem Kahn kommen. Im Kahn halfen Strohschüttungen auf denen in den ersten Jahren auch Platz genommen wurde. (Im Spreewald kursierte damals der flotte Spruch: „In der Woche Mist und am Sonntag Urlauber im Kahn!“)
Mit dem Rückgang der landwirtschaftlichen Nutzung und der vermehrten touristischen Einsätze entstanden Kahnstege für bessere Ein- und Ausstiege, aus Strohschütten wurden Sitzbänke, anfangs in Reihen, heute mit komfortablen Tischen und entsprechender Bewirtung. Kahnbauer Mario Müller in Tauche/Werder lässt den ursprünglichen Längsbohlenkahn wieder aufleben, die einst hinderlichen Querverstrebungen spielen im touristischen Einsatz keine Rolle mehr. Kahnbauer Albrecht Netzker in Burg verwendet neue Anstriche, die dem Kahn ein gefälligeres Aussehen geben.
Holzmangel führte zu Blech-und Plastikeinsatz im Kahnbau
Seit 1972 stellt die Lübbenauer Firma Lubkoll Kähne aus Aluminiumblech her. Diese Kähne gibt es heute noch, Holzkähne mit ähnlichem Alter wohl nur noch selten. Sie brauchen wesentlich mehr Pflege. Der Lehder Kahnbauer Karl Koal sagt dazu: „Ein Holzkahn kann zwischen vier und vierzig Jahre leben – je nach Pflege!“ Er bedauert, dass es keinen Kahnbauernachwuchs gibt, obwohl Tochter Juliane, die einzige Kahnbauerin weit und breit, tatkräftig mithilft. „Handwerk wird zu wenig wertgeschätzt, es muss alles schnell gehen und billig sein“, ärgert er sich über manche Kundenvorstellungen. Nachfragen gibt es immer noch und wird es auch zukünftig geben – aber wer die Kähne, aus Aluminium wie aus Holz, mal bauen soll, ist bei der alternden Kahnbauerzunft im Spreewald völlig offen. Auch Thomas Lubkoll, der Lübbenauer Aluminiumkahnbauer bestätigt das. „Die Nachfrage ist riesig, der Kunde muss sich auf lange Wartezeiten einstellen.“
Kahnfahrer*innen können sich zwischen beiden Kahntypen entscheiden: Langlebigkeit, Anschaffungs- und Unterhaltungskosten spielen dabei eine Rolle, ebenso das „Bauchgefühl“ – wie beim Autokauf!
Der einzige Plastikkahn ist immer noch im Einsatz
Manfred, Arwed und Renate Franke stellten im Jahre 1976 einen typischen Spreewaldkahn aus Kunststoff (Polyesther) her – heute ein Unikat und immer noch im Spreewald unterwegs.
Neugier, Fachwissen und Tatendrang prägten das Trio aus Lübbenau. Innerhalb von 2000 Stunden Arbeitszeit stellten sie einen 9,67 Meter langen, 1,92 Meter breiten und 440 Kilogramm schweren Kunststoffkahn her. Kahnbesitzer Arwed Franke (Jahrgang 1941): „Mein Bruder Manfred baute die ersten Paddelboote aus Kunststoff in der DDR und hatte dadurch auch die entsprechende Qualifizierung und das Fachwissen für den Kahnbau“.
Welcher Kahn ist besser?
Für Kahnfährmann Yves Schwarz aus Neu Zauche ist die Frage einfach zu beantworten. Er favorisiert trotz größerem Pflegeaufwand den Holzkahn: „Er lässt sich besser schieben und steuern – und mein Herz schlägt für die Tradition!“ Die Radduscher Kahnfährgemeinschaft ist hälftig mit Alu- und Holzkähnen unterwegs. Vereinsvorsitzender Detlef Mecke: „Der Alu-Kahn ist einfach leichter und wartungsärmer, er kann sogar im Winter im Wasser bleiben, aber dennoch liebe ich auch den Holzkahn, er hat Charisma.“
Steffen Franke, Vorsitzender der Kahnfährgenossenschaft im Großen Hafen Lübbenau hat täglich Dutzende Kähne im Einsatz. Er ist froh darüber, dass inzwischen fast 90 Prozent aller Kähne aus Aluminium sind. „Damit können wir auch Winterangebote unterbreiten, der von früher her bekannte Saisonbetrieb wird weitestgehend aufgeweicht. Solange kein Eis ist, können wir fahren“, berichtet er.
Der Kahn der Zukunft
Durchaus vorstellbar ist ein Kahn mit Elektroantrieb: Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Lübbenau hatten schon vor Jahren einen interessanten Vorschlag gemacht: Strom aus einer PV-Anlage speist eine Batterie. Gleichzeitig besteht Sonnen- und Wetterschutz für die Kahnfahrgäste.
Peter Becker, 09.08.21
Fotos: Peter Becker, Bernd Marx (1)
Update vom 26.03.23
Der Spreewaldkahn ist seit dem 15.03.23 Kulturerbe:
PRESSEINFORMATION DES SPREEWALDVEREINS
Der Spreewaldkahn gehört zum Kulturerbe!
Die Kulturministerkonferenz der Länder hat heute am 15. März 2023 auf Empfehlung des
unabhängigen Fachkomitees für Immaterielles Kulturerbe der Deutschen UNESCOKommission
den Bau und die Nutzung des Spreewaldkahns neu in das Bundesweite
Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Darüber wurden wir, der
Spreewaldverein e.V., heute schriftlich informiert.
„Wir freuen uns außerordentlich für die Region und konnten bereits erste Glückwünsche
entgegennehmen. Ein Anfang ist gemacht, doch kulturelles Erbe muss aktiv gelebt und
gemeinsam weiterentwickelt werden. Dazu wollen wir bewusst das Bewährte erhalten, aber
auch den Wandel der Kulturform mitgestalten – alle Blickwinkel und Herausforderungen zum
Spreewaldkahn sind einzubeziehen.“, meint Melanie Kossatz, Geschäftsführerin des
Spreewaldverein e.V. Dazu wird der Verein weiterhin gemeinsam mit Engagierten und
Unterstützer*innen Projekte und Initiativen in der Region anstoßen und in den Austausch
gehen. „Es liegt nun bei uns allen! Mitmachen und Beteiligen ist ausdrücklich erwünscht!“, meint
Melanie Kossatz.
Die Bewerbung für die Aufnahme in das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen
Kulturerbes wurde vom Spreewaldverein e.V. im Frühjahr 2022 eingereicht. Im
Erarbeitungsprozess der Bewerbung gab es mehrere Treffen mit Kahnakteur*innen im
Wirtschaftsraum Spreewald. So wurden Fotos, Dokumente oder andere Nachweise zum
Spreewaldkahn zusammengetragen. Dieses Netzwerk will der Spreewaldverein e.V. etablieren
und ausbauen. Schließlich haben sich bereits vielversprechende Anknüpfungspunkte zwischen
den Akteur*innen und dem Spreewaldverein e.V. ergeben. „Wir danken allen engagierten
Akteur*innen, die uns tatkräftig bei der Bewerbung unterstützt haben. Vielen Dank auch für die
eindrucksvollen und authentischen Einblicke in ihren Lebensalltag mit dem Spreewaldkahn.“
Regional ansässige Handwerksbetriebe fertigen Holz- und Metallkähne und noch heute wird
auf den Spreewaldfließen „Koahn gefoahrn“, auch wenn sich durch den Straßenbau die
Nutzungsweise des Kahns verändert hat. Der Kahn steht daher im Spiegel der Geschichte vom
reinen Nutzfahrzeug in der Kulturlandschaft des Spreewalds hin zum Erlebnis einer naturnahen
Erholung für viele Besucher*innen. Auch für unterschiedlichste Nutzergruppen, von Fischern,
Jägern über die Feuerwehr oder die Naturwacht im UNESCO Biosphärenreservat Spreewald,
ist der Kahn als Nutzfahrzeug in der Gegenwart vertreten. Der Spreewaldkahn wird dabei im
Heck stehend mit einem etwa 4 m langen Rudel gestakt. Der für die Spreewald-Region
identitätsstiftende Spreewaldkahn ist eng mit dem Erhalt der traditionellen Kulturlandschaft
und mit dem Leben der sorbischen/wendischen Minderheit in der Niederlausitz verbunden.
Wirtschaftsraum Spreewald mit vier EU-weit geschützten Produkten
1999 gelang es dem Spreewaldverein e.V., als Schutzgemeinschaft für die Produkte
„Spreewälder Gurken“ und „Spreewälder Meerrettich“, die EU-weite Anerkennung als
geografisch geschützte Angabe (g.g.A.) zu erreichen. Seit 2022 ist zudem die „Spreewälder
Gurkensülze“ als g.g.A. registriert, was ebenfalls auf die Bemühungen des Spreewaldvereins
zurückgeht. Und übrigens ist im Wirtschaftsraum Spreewald seit dem letzten Jahr ein weiteres
Produkt EU-weit geschützt: Die g.g.A.-Registrierung des „Peitzer Karpfens“ hat der Lausitzer
Fischereiverein 1874 e.V. vorangetrieben.
Dachmarke Spreewald
Seit 1995 ist der Spreewaldverein e.V. Inhaber der regionalen Dachmarke „Spreewald“, die
zunächst nur für frisches und verarbeitetes Gemüse mit einer entsprechenden Richtlinie
angewandt wurde. Im Wirtschaftsraum Spreewald bzw. der LEADER-Region Spreewald-PLUS
hat der Spreewaldverein seitdem den Fokus auf die Verbesserung der regionalen
Wertschöpfung in der Landwirtschaft, im Ernährungsgewerbe, in der Gastronomie, im
Dienstleistungsbereich sowie im Tourismus gelegt. Die Zertifizierungsrichtlinie umfasst aktuell
20 Warenkategorien, unter denen ca. 1.600 Produkte von etwa 130 Unternehmen zertifiziert sind.
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