Wo Kolonisten siedeln, muss es auch bald eine Gaststätte geben. Dazu bedurfte es keiner königlichen Order, dazu bedurfte es nur den Willen der Neusiedler.
Etwas anders ist die Kolonieschänke schon immer gewesen. Der Leitspruch stammt allerdings aus der jüngsten Vergangenheit des Hauses und greift etwas auf, was zur Geschichte der Gaststätte des Hauses passt. Ihr Anderssein verdankt sie heute der Tatsache, die erste Bio-Gaststätte im Spreewald zu sein.
Der Name Kolonieschänke lässt ahnen, dass sie im Zusammenhang mit der preußischen Kolonisierung Burgs entstand. Vermutlich entstand die Gaststätte aus einer Bauernhofstätte im Zusammenhang mit der preußischen Besiedlungspolitik im Burger Spreewald unter König Friedrich II. (Friedrich der Große, 1712- 1786). Die Kolonisation Burgs erfolgte nach Landvermessung 1750 und Parzellierung im noch unbesiedelten Gebiet an überwiegend sächsische, also ausländische, Neusiedler. Das führte 1766 zur Gründung der neuen Gemeinde Burg-Kolonie. Mindestens zwei Generationen mussten die erbauten bäuerlichen Höfe im Besitz der Erstsiedler verbleiben – so die königliche Order. Wo Menschen siedeln, gibt es auch bald Gaststätten. Anders als bei anderen Gaststätten ist über die Details, die zur Entstehung Kolonieschänke führten, fast nichts in Erfahrung zu bringen. Vermutlich geschah das ganz unspektakulär und entwickelte sich ebenso unspektakulär bis ins 20. Jahrhundert. Ledigleich ein Hinweis findet sich für das Jahr 1824: Kaiser Wilhlem I. (damals noch als Prinz) besuchte den Spreewald. Er frühstückte unter der Linde in der Kolonieschänke. „Der Prinz ließ sich den alten Wirt, einen Veteranen von Jena, herbeiholen und stieß mit ihm auf das Wohl der alten Soldaten an.“ [35]
Auf alten Ansichtskarten von 1910 ist auf einem Schild über der Eingangstür „Schanklokal Fritz Wehlan“ zu sehen. Friedrich Wehlan bietet 1927 in einer Werbeanzeige „4 Zimmer, 8 Betten, Saal, Garten und Veranda“ an. In den zwanziger und dreißiger Jahren war die Kolonieschänke (wie die benachbarte Bleiche) Paddelbootstation der Lübbenauer Spreewaldreederei. Wassersportler konnten dort aus Lübbenau kommend, ihre Boote abstellen oder umgekehrt die Boote dort für eine Fahrt nach Lübbenau mieten. Damals saßen die Paddler im Zweier noch nebeneinander. [32]
Die Kolonieschänke war auch Zentrum des kulturellen Lebens. Hier fand regelmäßig die Spinnte[1] statt, Vereine tagten und Ortsversammlungen wurden durchgeführt. Im hinteren Teil des Hofes befand sich ein Erdwall für die Schießübungen des Schützenvereins, der nach dem Krieg zur Landauffüllung abgetragen wurde.
Wie alle Gaststätten damals, setzte auch Friedrich Wehlan auf Eigenproduktion von Lebensmitteln und betrieb nebenher die Landwirtschaft. Die großen Stallungen (heute das Bettenhaus) brannten 1945 aus. Die genaueren Umstände lassen sich nicht mehr ermitteln. Anwohner Fritz Lukas (Jahrgang 1939) glaubt sich zu erinnern, dass der Brand erst Wochen nach Kriegsende[2] entstand: „Da sollen zwei Jungs gekokelt haben!“. Die 1960 gegründete landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) Wiesengrund übernahm Stallung und Scheune. Sie reparierte auch die beschädigten Gebäude. Bis 1975 nutzte sie die Anlagen für die Viehhaltung. Mit der Abschaffung der Tierproduktion und Umstellung auf Gemüseanbau, wurden die Räumlichkeiten für verschiedene Zwecke durch die LPG bis zu deren Auflösung 1990 genutzt.
Als Besitzer und Pächter werden nach Friedrich Wehlan dessen Tochter „Fräulein Wehlan“ genannt. Vermutlich war es Henriette („Getta“) Wehlan, die etwas sonderlich gewesen sein soll. Nach 1945 pachtete die Familie Paul die Gaststätte, die das Stallgebäude notdürftig reparierte. Danach übernahm Familie Netzker aus Burg und führte sie in den 50iger und 60iger Jahren. Fritz Lukas erinnert sich: „Wir haben 1962 dort geheiratet, da war die Kolkwitzer Schimmank-Familie geschäftsführend. Kurz danach übernahm Hermann Netzker, den wir alle nur ‚Lapaloma‘ nannten, das Haus.“ Er erinnert sich an die jährliche Volksröntgenaktion im Haus und dass das Haus auch stets Wahllokal für Burg-Kolonie war. Erst 1989 gibt die Wehlan-Familie die Gaststätte vollständig aus ihren Händen und überträgt sie Charlotte Beier, die sie 1996 an den Hotelier und Gastronomen, Olaf Schöpe aus Cottbus, einschließlich aller Immobilien verkauft. Seit dieser Zeit gehört die Kolonieschänke wirtschaftlich zum Waldhotel Cottbus. Das Grundstück hat eine Größe von 75 000 Quadratmeter (7,5 Hektar) und erstreckt sich bis zum Scheidungsfließ. An Stelle des inzwischen abgerissenen Stallgebäudes wurde ein Bettenhaus errichtet. Umfangreiche Um- und Ausbauten führten zu einem völlig erneuerten Gesamtensemble des Vierseitenhofes. Dabei blieb der historische Gesamteindruck des Koloniegrundstücks erfreulicherweise erhalten. Noch 1996 präsentierte sich das historische Spreewälder Gasthaus einschließlich der Altbauten und einem schön gestalteten, aber naturbelassenen Freigarten, in einem neuen Gewand.
Seit Saisonbeginn 2008 zeigt sich die Kolonieschänke nach bewusst weiterentwickeltem Konzept als erstes BIO-Gasthaus im Burger Spreewald mit einer konsequent bodenständigen gesundheitsorientierten Küche. Sie wirbt mit dem Konzept „Anders als alle Anderen – so anders wie möglich“. Die konzeptionelle Orientierung ist der neuen Geschäftsführerin Anja Simmank zu verdanken. Sie leitete ab 2007 die Burger Kolonieschänke. Das Gasthaus gehörte inzwischen zur gleichen Firmengruppe wie das Cottbuser Waldhotel. Bis zur Übernahme der Kolonieschänke war Anja Simmank Cottbuser Waldhotel für die Arrangements und für den Veranstaltungsservice zuständig. In der nun von ihr geführten Schänke konnte sie endlich umsetzen, was sie selbst unter gesunder Ernährung verstand. „Bei aller Überzeugung liegt es mir fern zu missionieren, jeder soll seinen Weg zu seiner Ernährung finden. Ich verwende lieber meine Energie darauf, immer wieder neue Ideen zu einer abwechslungsreichen und gesunden Ernährung zu entwickeln“, lautet einer ihrer ganz persönlichen Grundsätze. In ihrer Gaststätte kommt nur auf den Tisch, was sie selbst essen würde, was sie der Herkunft nach auch kennt. Und natürlich auch das, was sich der mündige Gast wünscht – so viel Zugeständnis muss sein. „Ehrlichkeit. Das ist unser Motto, damit wollen wir mit unserem biologisch ausgerichteten Konzept punkten. Ehrlich, ordentlich, sauber, herkömmlich und mit viel Handarbeit geht es bei uns zu“, fasst sie zusammen. Ihre Küche ist transparent, jeder kann, wenn er es möchte, bei der Nahrungszubereitung zusehen. „Das ist unserer Ehrlichkeit dem Gast gegenüber geschuldet!“ Im Dezember 2014 gab sie die Geschäftsführung wieder ab und widmet sich jetzt einer neuen Tätigkeit.
Inhaber Olaf Schäpe steckt im Winter/Frühjahr 2015 inmitten großer Umbauarbeiten. Im ersten Bauabschnitt wird das Bettenhaus in luxuriöse Appartements umgestaltet, die alte Scheune wird zum Wellnesstempel, der Hof mit dem Backhaus bekommt eine Erneuerung. „Wir sind das einzige bio-zertifizierte Gasthaus im Spreewald“, verkündet der Besitzer stolz. „Uns kann man bei der Arbeit zusehen, wir garantieren absolute Frische und wir sehen deshalb den unangemeldeten Kontrollen der Prüfer sehr gelassen entgegen.“ Neuer Geschäftsführer ist seit 2015 Ralf Michael Arnold.
Zeittafel Kolonieschenke
1824 | Kaiser Wilhlem I. (damals noch als Prinz) besuchte den Spreewald. Er frühstückte unter der Linde in der Kolonieschänke. „Der Prinz ließ sich den alten Wirt, einen Veteranen von Jena, herbeiholen und stieß mit ihm auf das Wohl der alten Soldaten an.“ Zur Erinnerung an seinen Spreewaldaufenthalt erhielt das Neue Fließ („Nowa Reka“) zwischen Lehde und Leipe den Namen „Prinz Wilhelm Fließ“ [35] |
1927 | Kolonieschenke wird mit „4 Zimmer, 8 Betten, Saal, Garten und Veranda“ vom Besitzer Friedrich Wehlan touristisch angeboten |
Ist Ort der Spinnte und Stammlokal des Schützenvereins (Erdwall für Schießübungen auf dem Grundstück, später abgetragen), in der Scheune ist die Burger Hochzeitskutsche abgestellt | |
1945 | Kolonieschänke leidet unter Beschuss (Wirtschaftsgebäude/Stall in Brand geraten) |
Pächter Paul baut Kuhstall wieder auf | |
1952 | Gemeinschaft sorbischer/wendischer Spreewaldfischer Burg und Umgebung in der Kolonieschenke gegründet |
Um 1960 | Pächterfamilie Netzker (Spitzname „Lapaloma“, vorher Gemüsehändler in Burg) führen lange Zeit die Gaststätte |
1989 | Familie Wehlan gibt die Gaststätte an Charlotte Beier ab |
1996 | Olaf Schöpe übernimmt die Kolonieschänke |
2007 – 2014 | Geschäftsführerin Anja Simmank |
[1] An den Winterabenden trafen sich die Frauen zu gemeinsamer Handarbeit. Dabei wurden auch neue Lieder für das Ostersingen eingeübt.
[2] Es finden sich Hinweise, dass das Gebiet in Kampfhandlungen einbezogen war. Die Rote Armee rückte aus Richtung Naundorf vor und wurde von der Wehrmacht aus Richtung Kolonie abgewehrt. Dabei gerieten fast alle Gebäude (Piater, Jank, Baronick u.a) in Brand (Fritz Lukas)
Peter Becker, überarbeitet Januar 2017
aus: Becker/Franke; Spreewald kulinarisch-Rezepte und Gasthäuser, Limosa, 2015
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