Wolfgang Gahl, ein gebürtiger Lehd‘scher, der Brücken
baut und lehrt, wie das Rudel zu führen ist. Einer, der im Dorf mit anpackt und
andere mitnimmt. Und der jetzt plötzlich viel Zeit hat.
Wolfgang Gahl ist Jahrgang 1959 und hat noch miterlebt, wie das Leben in seinem
Lehder Heimatdorf wie seit Jahrhunderten ablief. Fast alle waren noch in
kleinbäuerlichen Erwerbsbetrieben tätig, so auch Eltern und Großeltern. Fast
alles wurde damals noch mit dem Kahn erledigt und eigentlich immer war das
Leben der Allmacht der Natur unterlegen. Eisgang, Trockenheit und Hochwasser
ließen die Fließe befahren oder auch nicht. Sie waren die Lebensadern im
Lagunendorf, sie ermöglichten den Zugang zum Futter fürs Vieh und auch zur
Außenwelt. Der kleine Wolfgang erlebte noch mit, wie der Schulweg mit dem Kahn
verbunden war. Wenn es auch nur das Übersetzen ans andere Ufer war – ein Kahn
musste immer vor Ort sein. „Hier müsste mal ‚ne Brücke hin!“, dachte er schon
damals mehr als einmal, wenn er wieder auf eine Übersetzungsmöglichkeit
wartete. Und er baute sie – Jahre später sollte die Gelegenheit dazu kommen…
Gerademal 23-jährig heiratete er die Lübbenauerin Simone, eine Tochter kam im
gleichen Jahr zur Welt. Vielleicht waren es wieder die gleichen
Beschwerlichkeiten, die nun auch die junge Familie, die Platz bei Wolfgangs
Eltern fand, erleben musste. Alles hing am Kahn, jeder Arztbesuch, die Fahrt
zur Arbeit – und fast immer der Kinderwagen dabei. Wolfgang Gahl suchte
Mitstreiter für seine alte Idee von der Brücke, die er in den Nachbarn fand,
die wie er „überm Wasser“ wohnten, wie die Lehd‘schen sagen. Jeder kannte
irgendwo jemanden, der irgendwie helfen konnte. Der eine hatte Zugang zum
Material, der andere zur Technik, wieder einer den Kontakt zu den Behörden. Das
größte Problem war damals die Materialbeschaffung, alles andere wurde im damals
berühmt gewordenen „Beziehungswesen“ geregelt. Im Winter 1980/1981 war es
soweit: Die Balken und Bohlen (damals ein sehr kostbares Gut), waren besorgt,
Technik und Handwerker waren vor Ort und das Wetter spielte mit. Mit vereinten
Kräften und ohne vorausgegangene langwierige Genehmigungsverfahren stand die
Brücke innerhalb weniger Tage. Noch heute ist sie voll funktionsfähig und eine
der wenigen privaten Brücken in Lehde.
Inzwischen hatte die Familie ein Grundstück auf der anderen Dorfseite erwerben
können und mit der Grundsanierung begonnen. Neben den eigenen Räumen wurden in
den alten Wirtschaftsgebäuden Ferienwohnungen geschaffen. Bald öffnete „Haus
Kalmus“ und die ersten Urlauber bezogen Quartier.
Wolfgang Gahl ist vom Typ „Gemeinsam schaffen wir mehr“ und bringt sich auch so
ein. Schon zu DDR-Zeiten war er im Gemeinderat. WBA-Vorsitzender, wie es damals
hieß. Später war er im Ortsvorstand tätig, im Vorstand des neugegründeten
Lehder Fördervereins, er ist in der Feuerwehr, im Spielmannszug, er ist Fischer
und immer dabei, wenn es etwas fürs Dorf zu organisieren gibt.
Das Kahnfahren hat Wolfgang Gahl praktisch nebenbei gelernt, wie praktisch jeder Lehder Junge und auch fast jedes Lehder Mädchen seiner Jahrgänge. Es ging ja auch nicht anders. Als Vierzehnjähriger war er schon Hilfsfährmann im Lübbenauer Hafen, er unterstütze die Fährmänner bei längeren Fahrten und sprang auch schon mal selbst ein, wenn das Personal knapp wurde. Viele Jahre später, nun selbst seine Feriengäste durch den Spreewald stakend, erlebte er immer wieder, wie zumeist die Herren mal selbst das Rudel in die Hand nehmen wollten. Mehr oder weniger geschickt, stocherten sie sich durch die Fließe. Wolfgang Gahl brachte dies auf die Idee, eine Kahnfahrschule ins Leben zu rufen und auch gleich noch einen Kahnverleih. Bis zu acht Personen darf jeder ohne staatliche Genehmigung mit dem Kahn durch den Spreewald fahren. Ruhig gibt Wolfgang Gahl seine Hinweise, zeigt die richtige Rudelhaltung und was vorausschauendes Staken bedeutet. Sein deutlichster Hinweis ist der, dass nur ein guter Fährmann das Rudel nicht platschen lässt – darin unterscheidet er sich vom Gelegenheitsstocherer! Anfang März dieses Jahrs konnte er das „Kahnfahrpatent“ zum 350. Mal übereichen, dann bremste Corona alles aus. Wolfgang Gahl: „Nun kann ich mal in Ruhe -und nicht zwischen zwei Kahnfahrten- das große Grundstück aufräumen. Ich bin dabei in Ecken gelangt, in denen ich noch nie war, jedenfalls kam mir das so vor. In den Ferienwohnungen schaue ich nach dem Rechten, Rauchmelder sind installiert und eigentlich könnte die Vermietung wieder anlaufen!“ Aber er weiß ganz genau, dass es so einfach nicht gehen wird. Alle Buchungen, alle geplanten Kahnfahrten sind storniert – „dass kann man nicht einfach von einem Tag auf den anderen wieder anfahren, diese Saison geht in die Geschichte ein!“, ist er sich sicher.
Peter Becker, 30.03.2020