Ein kleiner Ort mit großer Geschichte und großen Namen – Wüstenhain
oder
Unterwegs in Wüstenhain, auf den Spuren von Thomas Mann und Walter Gropius
Wüstenhain … Die Reise in den 80-Seelenhort, inmitten märkischer Kiefernwälder gelegen, verspricht anfangs das zu werden, was der Name zu bedeuten scheint. Doch schnell wird klar, dass Wüstenhain nur bedingt mit abgeschiedener Einöde zu tun hat. Ortschronist Frank Paulisch lebt seit 1977 in dem heute zu Laasow und somit zu Vetschau gehörenden Dörfchen Wüstenhain. Er kann aufklären, dass der Ortsname mit einer Wüste oder Wüstenei rein gar nichts zu tun hat: „Einem Pommern, dem edlen Ritter Hanns von Bichow zu Wüstenhayn, ist der Ortsname zu verdanken. Am 22.07.1377 bekam er in einem Tauschvertrag den Niederlausitzer Flecken zugesprochen, der fortan als Wüstenhayn, später Wüstenhain, in den Chroniken auftaucht. Ungewöhnlich für die Niederlausitz ist, dass Wüstenhain somit ein deutscher Ortsname ist und von den Wenden über ‚Wustan‘ zur wendischen Ortsbezeichnung ‚Hustan‘ sorabisiert wurde.“
Frank Paulisch hat akribisch die Geschichte seines Ortes zusammengetragen. Allein an der Materialfülle ist erkennbar, dass von ihm und seinen Vorgängern ganze Arbeit geleistet wurde. In dem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass Wüstenhain im 30-jährigem Krieg vollständig zerstört und wirtschaftlich bedeutungslos geworden war. Ein Schäfer, Georg Heine, leitete drei Jahre das Rittergut, genauer gesagt dessen Reste. Über das Schicksal des Schäfers ist nichts bekannt. Da er nach dem Krieg für sein vollständig zerstörtes Dorf Verantwortung übernommen hat, hat ihn der Heimatverein Wüstenhain e. V. in seinem Wappen verewigt. Beinahe wäre der Ort in jüngster Vergangenheit wieder von der Landkarte verschwunden, als Ende der 1970er-Jahre feststand, dass Wüstenhain dem Tagebau Gräbendorf weichen sollte. Die politische Wende verhinderte dies glücklicherweise.
Ort und Gut gingen nach mehreren Wechseln 1725 in den Besitz der sächsischen Adelsfamilie von Heynitz über. Christoph Dietrich von Heynitz kaufte am 23.11.1725 für 12 500 Taler das Rittergut Wüstenhain – der Beginn einer 220 Jahre alten Familiengeschichte.
Einer der zahlreichen Nachfahren über mehrere Generationen, Ernst von Heynitz (1854 – 1912) heiratete 1890 eine Lübeckerin, Wilhelmine „Minna“ Tesdorpf (1865 – 1944), die aus einer angesehenen Patrizierfamilie abstammte, die sich mit Weinhandel einen Namen gemacht hatte. Ihr Onkel Krafft Tesdorpf war zeitweise Verwalter des Mann‘schen Vermögens und Vormund der Brüder Heinrich und Thomas Mann, er kam als Stephan Kistenmaker in den „Buddenbrooks“ später zu Ehren.
In Wüstenhain ließ Ernst von Heynitz 1894 ein neues Herrenhaus errichten, bei den Einheimischen noch immer als „neues Schloss“ bezeichnet. Es trägt nordische Züge – ein Zugeständnis an die Herkunft seiner Ehefrau, die kurz vor dem Einzug an Kinderlähmung erkrankte und zeitlebens an einen Rollstuhl gebunden war. In Wüstenhain war sie sehr beliebt, denn sie kümmerte sich um die Dorfbelange. Jedes Kind bekam von ihr zu Weihnachten ein Geschenk und sie bildete junge Mädchen in der Hauswirtschaft aus. „Fromm, rechtschaffen und maßvoll“ sollte später auf ihrem Grabstein stehen.
Ernst von Heynitz ließ auch den Gutspark neu gestalten, sorgte für den Bau einer neuen Mühle und kümmerte sich maßgeblich um die Kirchenrestauration. Sohn Benno von Heynitz (1893 – 1973) übernahm 1918 das Rittergut, im selben Jahr heiratete er in Berlin Erika Gropius (1894 – 1985), eine Cousine des Bauhaus-Gründers Walter Gropius. Dieser kam mehrmals zum Verwandtschaftsbesuch nach Wüstenhain. Einer ihrer beiden Söhne, Ernst Günther von Heynitz, kam 1943 in Stalingrad um, Tochter Ada (1919 – 2016) kam erstmalig wieder 1990 nach Wüstenhain, dass damals einen wenig einladenden Eindruck machte. Zur Einweihung der sanierten Kirche 2014 konnte sie nicht mehr selbst anreisen, dafür ihre Tochter Marion Güldenpfennig.
Benno von Heynitz kümmerte sich, wie schon sein Vater, um die Modernisierung des Gutes, sorgte 1927 für Stromanschluss und intensivierte Land- und Forstwirtschaft. Erika von Heynitz betrieb auf dem Gut eine Hühnerfarm und lieferte wöchentlich eine Kiste mit 500 Eier nach Berlin. Sie war sehr musikalisch und spielte leidenschaftlich Klavier. Gemeinsam mit der ebenfalls sehr musikalischen Verwandtschaft hielt sie gelegentlich Wohnzimmerkonzerte ab. Ihr Bechsteinflügel, den sie 1918 aus Berlin mitbrachte, steht heute in der Wendischen Kirche in Vetschau. Benno und Erika von Haynitz flohen am 20. April 1945 vor der anrückenden Roten Armee. Über mehrere Zwischenstationen fanden sie 1954 in Bayern ihre letzte Wohnstatt.
Im Zuge der Bodenreform wurde das Gut 1945 Volkseigentum, die von Heynitz wurden enteignet. Beide Gutshäuser und alle Stallgebäude wurden geteilt und Flüchtlingsfamilien zogen ein und wurden somit neue Einwohner von Wüstenhain. Um den ursprünglichen Gutshofcharakter zu beseitigen, wurde auch die Freitreppe am alten Gutshaus entfernt und zwei Stallgebäude geteilt.
Die Gebäude verfielen in der Folge zusehends, eine Nachnutzung erfolgte in den ersten Jahren nicht. Erst 1976 wurde ein Gebäudeteil saniert und als Ferienzentrum der Missener Anton-Saefkow-Oberschule eingerichtet.
Ab dem Jahr 2000 fanden die beiden Gutshäuser neue Eigentümer. Das alte Gutshaus wurde halbseitig saniert. Das „neue Schloss“ wurde ebenfalls umfangreich rekonstruiert, die Arbeiten sind aber noch nicht abgeschlossen. Die Gutsscheune wurde ab dem Jahr 2013 zu einer Pension umgebaut. Der Schweine- und Kutschstall wurde ebenfalls umfangreich saniert. In den neuen Räumlichkeiten befindet sich eine Pension und ein Eiscafe.
Hannes Wilhelm-Kell: „Die Inbetriebnahme erfolgte zum 31.12.2019 und wird 2021 noch um den Ferienhof erweitert. Wir haben damit 30 Übernachtungsplätze, einen Saal für bis zu 60 Gäste und das Café mit Straßenverkauf und Sonnenterasse. Wir führen das Café unter regionalen und nachhaltigen Gesichtspunkten. Speisen und Eis werden soweit wie möglich aus regionalen Bioprodukten zubereitet. Beim Bau haben wir darauf geachtet, soviel wie möglich der alten Bausubstanz und -materialien zu erhalten und wiederzuverwenden. Auch die wendische Sprache findet hier aktive Anwendung. Bereits im Namen „Kśišowka” findet sich der Name des Spreewaldfließes Kzschischoka, die südlich Altdöbern entspringt und nach Müschen in den Südumfluter mündet. 1936 wurde sie von den Nazis in “Greifenhainer Fließ” umbenannt, eine offizielle Rückbenennung erfolgte bisher leider nur bis zum Einlauf in den Gräbendorfer See. Wendische Traditionen können durch die Nutzung des Saals als kulturelles Zentrum im Dorf wieder gepflegt werden.“
Hannes Wilhelm-Kell ist des Lobes voll über die Wüstenhainer, die mit dem Heimatverein viel auf die Beine gestellt haben: Wiedernutzbarmachung der Kirche, Wiederbelebung traditioneller Bräuche wie Osterfeuer, Kirmes und Campern – und ganz neu: ein jährliches Treckertreffen mit bis 1500 Teilnehmern.
Quellen:
Ortschronik, geführt von Frank Paulisch
Peter Becker, 02.01.21
Frank Paulisch zum Kriegsende: Am 20.04.1945 marschierte die “1. Ukrainische Front“ unter Marschall Konjew aus Richtung Brodtkowitz in Wüstenhain ein.
Die “Rote Armee“ übernahm die Bewirtschaftung des Gutes. Das Gut hatte zu diesem Zeitpunkt eine Größe von insgesamt 365,06 ha. (Ackerfläche = 74 ha, Wald = 245 ha, Wiesen und Teiche = 30 ha, Gebäude und sonstige Gewässer = 15,06 ha, Gartenland = 1 ha). Am 01.11.1945 erfolgte die erste Aufsiedlung des Gutes durch die Gemeindekommission für Bodenreform. Deren Vorsitzender war der ehemalige Gutsinspektor August Mühle. Am 16.03.1946 erfolgte die Restaufteilung des Gutes.
18 Umsiedlerfamilien aus den Ostgebieten, hauptsächlich aus Schlesien, hatten in Wüstenhain eine dauerhafte Zuflucht gefunden.
Im Sommer 1947 wäre Wüstenhain aufgrund eines verheerenden Waldbrandes fast dem Feuer zum Opfer gefallen. Der von Soldaten der Roten Armee ausgelöste Waldbrand breitete sich vom Lugkteich bis zum Gutshof aus, wobei die ehemalige herrschaftliche Hühnerfarm vollkommen abbrannte. Zeitgleich brannte auch der Wald bei der Schule. Wüstenhain wurde vollständig evakuiert. Die Wüstenhainer und die Bewohner der umliegenden Dörfer versuchten mit Spaten und Schippe den Brand zu löschen, da keine Löschgeräte vorhanden waren. Erst zwei Tage nach Beginn des Waldbrandes traf von der damals in Potsdam stationierten Brandenburger Berufsfeuerwehr Hilfe ein.
Restaurierte Grabsteine derer von Heynitz:
„Man lernt nur in der Fremde, dass die Heimat nicht nur aus Haus und Hof besteht, sondern viel mehr aus den Menschen, mit denen man zusammen gelebt hat und dieselbe Sprache gesprochen hat.“ Benno von Heynitz, 1957
Hinterlasse jetzt einen Kommentar