
Caseler Johannisreiten mit magischer Zehn
















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Der kleine Niederlausitzer Ort Casel nahe Drebkau lädt seit Jahren zu einem Fest der besonderen Art ein. Zu Johannis, der Zeit der Sommersonnenwende, findet ein Reiterfest statt, dass nicht das Wettrennen der Pferde zum Inhalt hat, sondern ein „Rennen“ um den Reiter selbst, genauer: um seiner angenähten Blumen- und Pflanzengebinde, besonders seiner Krone, habhaft zu werden. Mutige Männer und Frauen versuchen den Reiter oder zumindest seinen Pflanzenschmuck zu greifen. Belegt ist dieser Brauch bis ins Jahr 1880 zurückgehend.
Hintergrund des Festes ist der heidnisch-slawische Glaube, dass in der kürzesten Nacht des Jahres geerntete Pflanzen und Blumen glückversprechend sind, besonders, wenn sie von einem Reiter, dem „Johannis“, getragen und ihm dann wieder mit Mut und Kraft aus vollem Galopp vom Leibe geholt werden. Je mutiger derjenige ist und je größer seine Blumen- und Pflanzenbeute, desto glücklicher wird sein Jahr verlaufen.
Der ganze Ort war in das Festgeschehen eingebunden: Viele, gefühlt alle, Einwohner waren aktiv eingebunden und viele Caseler hatten ihre Hoftore mit Blumengebinden und sorbischen Schleifen geschmückt. In der kleinen Dorfkirche fand an diesem Festtag, dem 1. Sonntag nach Trinitatis, ein wendisch-deutscher Gottesdienst statt, den Pfarrerin Astrid Schlütter aus der Pfarrgemeinde Altdöbern/Gräbendorfer See abhielt. Mit im Raum war auch die Binsenkrone des Johannisreiters. Astrid Schlüter segnete die Reiterinnen und Reiter und wünschte Glück und Unfallfreiheit. Zumindest trat Letzteres auch ein, denn niemand verletzte sich bei dieser nicht ganz ungefährlichen Brauchtumspflege. Allerdings machte die enorme Hitze den Akteuren, den Besuchern und besonders den Tieren zu schaffen, die in bewährter Weise vom Reiterhof Jerol aus Byhleguhre zur Verfügung gestellt wurden.
In diesem Jahr war es wieder Tobias Richter auf „Lenox“, der nun schon zum sechsten Mal den Johannis darstellte, der aber mit Rücksicht auf die enormen Temperaturen zum Schutz aller diesmal nach zehn Runden aufgab. Ein Dutzend Besucher machte sich über den Reiter her und raubte ihm seinen Blumenschmuck. Der Caseler Matthias Nevoigt war es, der die Binsenkrone eroberte – zum zehnten Mal! „Im vergangenem Jahr war es nur die halbe Krone, denn mein Mitstreiter hielt sie damals ebenso fest wie ich. Damit sie nicht zerstört wird, trennten wir sie anschließend in zwei gleiche Teile – es gab halt mal zwei Sieger“ erzählt der glückliche Matthias Nevoigt. Die diesjährige Eroberung kommt seiner Tochter in Cottbus zugute und soll dort Glück verströmen.
Schon am Donnerstag begann das Sammeln der Kornblumen, der Binsen und einiger weniger Seerosen, diese sogar mit behördlicher Erlaubnis. Die Caseler gaben sich in ihren WhatsApp-Gruppen Tipps, wo es immer noch die meisten Kornblumen gibt, denn die waren in diesem Jahr schon am Verblühen. Aus Erfahrung klug wurden die geernteten Blüten dunkel gelagert, damit sie nicht ausbleichen. Die Kornblume steht für Reichtum und Treue, denn sie wächst immer wieder neu und trotzt allen Widerständen. Sie verbessert die Bodenstrukturen und wird als hilfreiche Nebenpflanze in der Landwirtschaft angesehen. Im Haushalt wird sie vielfach verwendet, beispielsweise als Kräutertees oder Salbenbestandteil
Die Binsen stehen für Stabilität und einfache Verwendbarkeit, aber auch für Heilmittel gegen Verletzungen. Die Krone des Johannisreiters besteht überwiegend aus diesen, die Festigkeit gebenden, Binsen.
Mädchen und Frauen banden die Kornblumen zu Ranken, die am Veranstaltungstag dem Reiter angenäht wurden. Über 60 Ranken musste sich Tobias Richter in einer fast zweistündigen Prozedur an seine Kleider annähen lassen. Neben einiger weniger Nadeln sind es vorrangig Zwirne. Drähte kommen nicht zum Einsatz, sie würden die „Jäger“ verletzen. Die Näherinnen trugen dazu die Caseler Arbeitstracht, die in den traditionellen sorbischen Farben Blau, Rot und Weiß gehalten ist. Dem langen Stillstehen des Reiters (jede Bewegung könnte schmerzhafte Nadelstiche zur Folge haben) folgte der Ausritt aus dem Dorf, angeführt von den Reiterbegleitungen und den Trachtenfrauen und -mädchen sowie den Branitzer Musikanten. Anne Stracke und Milena Hannusch trugen die Krone, mit im Zug auch die „Ersatzkrone“, die traditionell dem Reiter am Schluss der Veranstaltung zur persönlichen Aufbewahrung übergeben wird. Die „Hauptkrone“ ist schließlich anderweitiger Verwendung zugedacht.
Auf dem Reitplatz folgte vor vielen Hundert Zuschauern – die Veranstalter befürchteten wegen der Hitze weniger Teilnehmer – dann der mehrmalige Ritt über den Platz. Der „Johannis“ wurde dabei von zwei Reitern flankiert. Nur sie durften ihn gelegentlich kurz überholen, alle anderen bekamen in solchen Fällen eine „Strafe“ in Form einer am Abend zu spendierenden Bierrunde. Im Laufe der Runden schieden immer mehr Reiter und Reiterinnen aus, sodass nur noch der Johannisreiter allein über den Platz galoppierte. Dies war auch der Zeitpunkt, an dem die mutigsten der Zuschauer und Zuschauerinnen die Absperrung überwinden durften, um sich auf die Jagd nach dem Glück zu begeben. Tobias Richter gelang es aber vorher immer wieder, ihnen geschickt auszuweichen. Die in dem Gerangel verloren gegangenen Kornblumen und anderer Blumenschmuck wurde zumeist von Kindern aufgesammelt und mit nach Hause genommen – es könnte der Anfang eines späteren traditionsbewussten Lebens sein, eine Verbindung zur Caseler Heimat. Andere entrissen dem Reiter ganze Kornblumengebinde: Aniko Rother bekam eines von ihrem Partner geschenkt. „Es wird dauerhaft unseren Flur schmücken und Glück ins Haus bringen“, sagt die stolze Besitzerin.
Hintergrund: Johannis der Täufer ist am 24. Juni., also 6 Monate vor Jesus, geboren. Der Nacht vor diesem Datum werden deshalb besondere Kräfte nachgesagt.: Kräuter und Blumen vor Sonnenaufgang gepflückt, haben große heilende Wirkung, sie versprechen Glück und eine reiche Ernte. Die christliche Welt begeht daher am 24.6. den Johannistag.
Peter Becker, 23.06.25
s.a. „Nowy Casnik“ vom 26.06.26
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