











Am Anfang war es nur ein Schüleraustausch, wenn auch ein etwas besonderer: Dörthe weilte an einer Moskauer Schule. Die russische Sprache, das Slawische überhaupt, gewann immer stärker die Oberhand, sodass sie nach dem Abitur Russistik, Germanistik und Osteuropäische Geschichte an der Humboldt- und Freien Universität Berlin und an der Lomonossow-Universität Moskau studierte. Nach dem Studium und wieder in der Heimat, entdeckte sie -entsprechend sensibilisiert- sogar in der eigenen Familie slawische Wurzeln. Ihre Großmutter sprach ein etwas anderes Deutsch, ein Deutsch, das oft ohne Artikel auskommt. Den Naziideologen war die sorbische Sprache ein Dorn im Auge, die sorbische/wendische Kultur und Sprache wurde schlichtweg aus den Lausitzer Schulen verbannt. Die Kinder sprachen in der Folge flüssigeres Deutsch als ihre Eltern, die sich erst langsam an die für sie fremde Sprache gewöhnen mussten. So schlichen sich Unkorrektheiten ein, die sich heute als Spreewälder Mundart darstellen.
Dörthe Ziemer hat den Blick auf Sprache und Tradition nie verloren, auch nicht bei ihren Tätigkeiten im journalistischen Bereich, unter anderem für die Lausitzer Rundschau. Sie war mehrere Jahre Pressesprecherin der Stadt Lübben. Hier sah sie ein großes Aufgabenfeld vor sich. Dörthe Ziemer: „Lübben ist eine Stadt mitten in der Niederlausitz, im Siedlungsgebiet der Sorben/Wenden (wozu sich die Stadt ausdrücklich bekannte), aber es ist nur wenig sichtbar. Es ging mir damals und auch heute noch darum, Zeichen zu setzen. Die Menschen sollten sich regelmäßig daran erinnern, dass ihre Heimat einst von slawischer Bevölkerung geprägt wurde und deren Spuren bewahrt werden sollten.
Dörthe Ziemer will, dass Sorbisches in den Alltag einfließt: „Die Norddeutschen begrüßen sich von morgens bis abends mit Moin, Moin. Warum begrüßen wir Niederlausitzer uns nicht mit Witaj?“ Immerhin befürwortetet das im jüngsten Lausitz-Monitor knapp die Hälfte der Befragten. Sie hat sich vorgenommen, dies für sich im Umgang mit anderen in Anspruch zu nehmen. Solche „Alltagseinblendungen“, wie sie es nennt, müssen alltäglicher werden!
In zahlreichen Projekten, teilweise von ihr selbst ins Leben gerufen, versucht Dörthe Ziemer sorbische Elemente einfließen zu lassen. In ihren Augen hält der anstehende Strukturwandel mit seinen Mitteln und Möglichkeiten ein großes Potenzial bereit. „Wo ‚Krasse Lausitz‘ draufsteht, muss Sorbisches drin sein – welche Region hat denn Ähnliches zu bieten?“, lautet ihre Meinung dazu.
Dörthe Ziemer unterhält im Landkreis Dahme-Spreewald ein unabhängiges Online-Magazin für Gesellschaft, Politik und Kultur. „Es ist ein Labor für konstruktiven und gemeinnützig finanzierten Lokaljournalismus. Die Redaktion ist unabhängig. Alle Inhalte sind frei zugänglich“, heißt es auf der Webseite. Die Redakteurin hat sich für das Magazin den Namen „Wokreisel“ ausgedacht; ganz bewusst, damit nachgefragt wird, woraus sich dieser Name zusammensetzt: Wokreisel ist ein Kunstwort aus den deutschen Wörtern Kreis und Kreisel und dem niedersorbischen Wort für Kreis (wokrejs).
Mit der Künstlerin Karen Ascher hat sie eine Broschüre herausgegeben, die auf unterhaltsame Weise an die sorbische Sprache und Kultur heranführt. Im Vorwort heißt es dazu: „Das Buch ist kein Lehrbuch, sondern ein Einstieg …ideal für entspannte Urlaubstage und lange Winterabende!“ Dazu gibt es Postkarten mit Informationen zu Hotspots ihrer Heimatregion, ganz modern mit QR-Code, zum Weiterinformieren im „Wokreisel“.
Neben den vielen Projekten und journalistischen Aufgaben ist die Mutter zweier Töchter noch ehrenamtlich unterwegs. Sie ist im Vorstand des Paul-Gerhardt-Vereins und kümmert sich aktuell mit um die Vorbereitung des Gedenkjahres zum 350. Todestag von Paul Gerhardt im nächsten Jahr. In Luckau singt sie im Cantemus-Kammerchor mit.
Ihre Tage sind voll ausgefüllt, aber ihr Schwerpunkt bleibt seit Jahrzehnten und wird es wohl immer bleiben: Stolz auf die sorbische Heimat zeigen, es sichtbar machen. Wann immer es passt, trägt sie als äußeres Zeichen die von der Niederlausitzer Tracht inspirierte Mode der Lübbenauer Designerin Sarah Gwiszcz – auch ein klares Bekenntnis zur Sichtbarmachung der Heimatregion.
Peter Becker, 03.12.25
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