

Am frühen Morgen des 8. Juli ging Johann Martin Schietke, wie jeden Sommertag, auf die nahe Wiese, um Futter fürs Vieh zu holen. Beim Mähen schweiften seinen Gedanken immer wieder ab, denn seine Anna macht ihm große Sorgen. Immer wieder fiel sie mit heftigen und offensichtlich grundlosen Wutausbrüchen und Jähzorn auf. Martin Schietke holte sich daher schon vor Monaten Rat beim Byhleguhrer Bürgermeister, der eine ärztliche Behandlung empfahl, die auch offensichtlich erfolgte und zur Beruhigung seiner Frau beitrug. Doch es war eine trügerische Ruhe, die sich in diesen frühen Morgenstunden heftig ins Gegenteil entlud.
Auf dem Heimweg nahm Martin Schietke schon von Weitem die aufgeregte Menschenansammlung auf seinem Hof wahr: Fassungslos standen die Herbeigerufenen an den Leichnamen zweier Kinder, die mit einer Axt grausam verstümmelt wurden: Es waren Anna Maria, acht Jahre alt und Johann Schietke, kurz vor seinem 12. Geburtstag stehend. Friedrich Gustav, ein drittes Kind, rang noch mit dem Tod, er war erst sechs Jahre alt und hätte in zwei Tagen seinen siebten Geburtstag gehabt. Das Kind konnte von dem eilig herbeigerufenen Arzt, vermutlich Dr. med. Keppler aus Burg, nicht mehr gerettet werden. Neben den beiden Kinderleichen und dem sterbenden Kind stand teilnahmslos Anna Schietke – die Mutter und offensichtliche Täterin, in ihrer Nähe noch die blutige Axt. Morgens gegen fünf Uhr muss sie ihre Tat vollbracht haben, vermutlich als die Kinder noch im Bett lagen. Fast wäre auch noch ein viertes Kind, es war der 17-jährige Johann Gottlieb, ihrem Wahn zum Opfer gefallen, doch der konnte noch rechtzeitig „auf die entmenschte Mutter das Bett werfen“[1] und fliehen. Er wird es wohl auch gewesen sein, der die Nachbarn zu Hilfe holte. Ihr ältestes Kind, Johann Martin, war damals bereits 19 Jahre alt und nicht mehr im Haus.

Anna Christiane, geborene Schneider, war zum Zeitpunkt der Tat 46 Jahre alt. In erster Ehe war sie mit dem Webergesellen Martin Matuschka verheiratet, der früh verstarb. Aus dieser Ehe gingen keine Kinder hervor. Nach dem Trauerjahr ging sie die Ehe mit dem Byhleguhrer Martin Schietke ein. Zehn Kinder gebar sie ihm in dieser Ehe, fünf verstarben unmittelbar nach der Geburt oder im Kleinkindalter. Angesichts der Sachlage steht die Frage im Raum, ob sie nicht auch schon hier Hand angelegt hat. Ob es der häufige Umgang mit dem Tod war, der sie in der Folge in den Wahn trieb?
Bei der polizeilichen Vernehmung soll sie ruhig und gefasst geblieben sein, beinahe erlöst gewirkt haben. Nach Lage der Dinge kam sie in eine psychiatrische Einrichtung, damals Irrenanstalt genannt. Anna Schietke verstarb am 15. Februar 1898 in Sorau im Alter von 58 Jahren, als Todesursache wurde in der Sterbeurkunde „Tobsucht“ angegeben. In Sorau (heute Polen) war die Landesirrenanstalt der Niederlausitz.





Martin Schietke wurde trotz der enormen seelischen Last 86 Jahre alt, er verstarb am 7. November 1919 in Byhleguhre. Der älteste Sohn, Johann Martin, wurde nur 24 Jahre alt. Er starb an Schwindsucht. Das einzige überlebende Kind des Paares, Johann Gottlieb, der damals seine Mutter durch seine beherzte Reaktion von weiteren Taten abhielt und sich somit selbst das Leben rettete, wurde Stellmacher und heiratete am 17.08.1894 in Byhleguhre Johanna Marie Schulze, Tochter des Bauern Gottfried Schulze zu Groß Liebitz. Er lebte mit seiner Familie auf dem elterlichen Hof – dem Ort des grausigen Verbrechens und der schlimmen Erinnerungen. Die einzige Tochter des Paares, Johanna Maria Schietke, wurde 1896 geboren.

Peter Becker, 18.08.2022
Danke für die Unterstützung: Thomas Mietk (Kreisarchiv Luckau), Petra Kuschy, Monika Schernikau
[1] Lübbener Kreisblatt vom 17.07.1886
Diese Irrenanstalt war die Provinzial-Irrenanstalt für die gesamte Niederlausitz. Warum fast am östlichsten Punkt der Niedelausitz, entzieht sich unserer Kenntnis. Vielleicht wusste man ansonsten mit den Gebäuden nichts anzufangen. Sie befanden sich am Rand der städtischen Bebauung im Nordosten der Stadt auf dem zu dieser Zeit so genannten Doktor-Berg zwischen dem Schloss-Vorwerk im Norden u. der Gas-Anstalt im Osten. Siehe dazu bitte das polnische Portal MAPSTER 1:25000, MTBl, Sorau/Zary, verschiedene Jahrgänge der Vorkriegszeit. Einst als Ritterakademie gebaut, wurde sie Jahrzehnte lang als Lustschloss oder Tummelhaus genutzt, (was immer das auch heißen oder bedeuten mag). Heutzutage weitestgehend überbaut. Wir sind dort vor Jahren mal rumgestromert, um diese Gebäude zu finden; haben sie wahrscheilich auch gefunden, waren aber wohl von Mauern umgeben u. zu großen Teilen von Bäumen zugewachsen, weil nach dem 2. Weltkrieg wie andere Gebäude auch, als sowjetisches Militärhospital genutzt u. nach 1990 verwahrlost. So richtig kann man das nicht auseinander halten – wer, was, wann und wo!
Unterhalb, zum Stadtzentrum von Zary (Sorau) hin, heute ein sehr eindruckvoller Stadtpark mit erster Sorauer Kirche Peter u. Paul 12. JH, in einem Fenstersims eine polnische Dankbarkeitstafel mit der Nennung des Lübbenauer Unternehmens Mentil-Naumann für die Mitfinanzierung der Sanierung dieses Kirchleins, einem Weinberg mit Pavillon u. Weinkeller im unteren Bereich, einem Musikpavillon mittendrin sowie einer großen Fontäne. In den Jahren 2019-2024 Einrichtung eines größeren Teiches mit Fontäne parallel zur Johannes-Paul II.-Allee mit vielen Sitzmöglichkeiten u. dahinter einem großen Rodelberg mit Beleuchtung. ©Gerd Laeser