Einleitung
Seit Juli 2023 sind Bau und Nutzung des Spreewaldkahns offiziell im Reigen des Immateriellen Kulturerbes der Deutschen UNESCO Kommission aufgenommen. Die Initiative hierfür stellte derSpreewaldverein e.V. mit dem Ziel, den Kahn als vollumfängliches Kulturgut zu schützen.„Der Spreewaldkahn als eine regional verankerte Gefühlswelt und ein traditionelles undhandwerklich hergestelltes Verkehrsmittel, ohne das die Besiedlung und Bewirtschaftung des Spreewaldes nicht möglich gewesen wäre, soll hierbei in den Fokus gerückt werden. Zusammen mit engagierten Kahnakteur*innen hat sich der Spreewaldverein e.V. auf den Weg gemacht, die Wertschätzung des Spreewaldkahns zu erhöhen. Nach dem Motto „Das Bewährte erhalten den Wandel der Kulturform mitgestalten“, wird vermeintlich Verborgenes sichtbar und mit der heutigen Lebenswelt verknüpft. Die Veranstaltungsreihe „Kahn im FOKUS“ wird nun im November 2024 mit Treffen in Kahnbauwerkstätten bereichert. Diese werden ermöglicht durch Fördermittel des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz im Rahmen des STARK-Bundesprogramms (Stärkung der Transformationsdynamik und Aufbruch in den Revieren und an den Kohlekraftwerkstandorten), basierend auf einem Wettbewerbsaufruf der Wirtschaftsregion Lausitz GmbH (WRL) zusammen mit der Staatskanzlei des Landes Brandenburg.“ (Quelle: Spreewaldverein e.V.)
Im Vordergrund der „Kahnbauwerkstätten“: die Wissensvermittlung rund um den Kahnbau sowie der Erfahrungsaustausch und die Vernetzung der Akteure. Maßgebend für den Erfolg ist das Engagement der Kahnbauer und am Kahnbau-Interessierten, auf deren Expertenwissen die Kahnbauwerkstätten bauen. Vier Veranstaltungen im Wochenabstand sollen zu diesem Ziel beitragen, die im November 2024 in Burg, Straupitz, Lehde und Tauche OT Werder geplant sind.
1. Treffen in Burg (Spreewald): Kahnbauwerkstatt „Tradition abgelöst?“ – Holz- vs. Alukahn (07.11.2024)
Der Auftakt zum ersten Erfahrungsaustausch fand in der Hofbrennerei Ballaschk in Burg statt. Hier trafen sich in der vom Spreewaldverein e.V. organisierten Veranstaltung Kahnfahrer, Kahnbauer sowie am Spreewaldkahn und seiner Geschichte Interessierte, um nach einer gegenseitigen Vorstellung der eigenen Person und der Interessen, in einen Erfahrungsaustausch zu treten. Auch, um mal den berühmten Blick „über den Tellerrand“ zu werfen und Gedanken mit Gleichgesinnten auszutauschen.
Der Hof in der Burger „Schwarzen Ecke“ war als erster Treffpunkt ganz bewusst gewählt worden, denn hier konnten der eigens gelandete Familienkahn in Holzbauweise und das einladende Ambiente schnell erste Gespräche unter den Teilnehmenden anstoßen. Brennmeister Arno Ballaschk – selbst auch Kahnfahrer („Wenn ich auch nur noch selten dazu komme …“), präsentierte seinen Holzkahn, erbaut 1987 von der damaligen Radduscher Kahnbauerei Max Petrick. Der Kahn war noch gut erhalten, und an ihm entfachte eine erste Diskussion über die richtige Kahnpflege und die richtigen (erlaubten!) Mittel dafür.
In der Diskussionsrunde wurde deutlich, dass der Holzkahn immer mehr Liebhaberstatus erhält. Die Gründe dafür liegen u.a. in dem spezialisierten Handwerk und dem höheren Pflegebedarf. Der Aluminiumkahn, welcher mit seinem Aufkommen in den 1970er Jahren die Meinungen teils spaltete, ist seit inzwischen über 50 Jahren immer öfter auf den Spreewaldgewässern anzutreffen. Er gilt als robust, pflegeleicht und somit sehr langlebig. Daher passte es sehr gut, dass nach der Auftakt- und Aufwärmrunde die über 20 Teilnehmer dem Burger Metallbaubetrieb Jakubik in der Spreestraße einen Besuch abstatten konnten. Inhaber und Gründer der Firma, die seit 1993 besteht, ist Klaus-Peter Jakubik, der inzwischen von seinen Söhnen Richard und Georg Jakubik, die für Konstruktion und Projektleitung zuständig sind, unterstützt wird. Die Firma hatte sich schon früher mit dem Bau von Wasserfahrzeugen befasst, wie etwa Pontons, kommt aber inzwischen immer öfter durch Nachfragen von Burger Kahnfahrern in die Lage, Aluminiumkähne zu warten und auch zu bauen. Richard Jakubik zu den Teilnehmern: „Ganz so einfach ist es mit dem Bau der Kähne nicht, wie Außenstehende vermuten könnten. Man kann nicht einfach Alu-Bleche biegen und verschweißen. Besonders das Verschweißen muss sehr sorgfältig geschehen, denn die hohen Temperaturen vertragen sich eigentlich nicht mit dem niedrigen Schmelzpunkt des Aluminiums. Wir wenden daher eine Art Punktschweißverfahren an oder schweißen unter Argon, einem Schutzgas.“ Selbst das Sandstrahlverfahren muss schonender angegangen werden als beim Umgang mit Stahl, damit die weichere Oberfläche nicht nachhaltig geschädigt wird. Dieses Verfahren wird notwendig, wenn alte Anstriche entfernt werden sollen oder oxidierte Bleche „wie neu“ aussehen sollen.
Am Ende des Tages gehen alle Teilnehmenden mit vielen Eindrücken, Infos und geknüpften Kontakten nach Hause. Viele kommen auch zu den nächsten Treffen, welche sich jeweils einem Schwerpunktthema widmen.
Der jüngste Teilnehmer, Max Keller (19), kam mit seinem Vater Thorsten Keller aus Cottbus. „Ich bin in einer Tischlerausbildung und interessiere mich für alles ‚was schwimmt‘, natürlich besonders für den Bau eines Holzkahnes. Mein Vater hat einen alten Kahn vererbt bekommen und erhofft sich durch die Workshops Hilfe bei der Restauration. Vielleicht kann ich ihm dabei mit meinen immer größer werdenden Tischlerei-Wissen helfen?“, sagt der angehende Handwerker und greift damit ein Überthema der Kahnbauwerkstätten auf: die Traditionspflege aktiv betreiben, Wissen teilen um es zu bewahren und so dem Kahnbau in der Spreewaldregion auch auf seinem Weg in die Zukunft Bestand geben.
Peter Becker, 12.11.24
2. Treffen: „Probleme erkennen und Lösungswege finden“ -Innovationsobjekt KAHN (14.11.2024)
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Kahn im Fokus“, organisiert vom Spreewaldverein e.V., treffen sich am Kahnbau und an der Kahnpflege Interessierte zu insgesamt vier Workshops, um ihre Erfahrungen auszutauschen und um sich zu vernetzen. Alle Veranstaltungen haben den Spreewaldkahn im Mittelpunkt, sind aber in sich thematisiert. Das erste Treffen fand in der Burger Metallbaufirma Jakubik statt, hier ging es vorrangig um den Aluminiumkahn (s. oben). Das zweite Treffen – nur eine Woche später- führte die über 20 Männer und Frauen in die „Vollholzschmiede GbR“ nach Straupitz.
Um es vorwegzunehmen: Diese Veranstaltung könnte als Geburtsstunde einer völlig neuen Kahngeneration in die Geschichte eingehen – dem „Holzkahn 2.0“! Doch der Weg dahin ist noch weit, sehr weit! Dennoch wollen die beiden Geschäftsführer des Unternehmens, einer Möbeltischlerei, Andreas Zimmer und Marcel Müller, ihn wagen. „Wir sind noch jung, wir haben Zeit und Geduld, wir sind auch nicht auf Gewinne aus und sind bereit, in unsere Idee zu investieren. Wir wagen den ersten Schritt, den es immer bei Neuerungen gibt, wir haben den Mut dazu und den Bock darauf, uns treibt Neugier an“, sagt Andreas Zimmer zu den Workshopteilnehmern bei der Begrüßung in der Straupitzer Fertigungshalle.
Es gibt auch noch keinen fertigen Kahn zu sehen, nur Material, aus denen ein Kahn entstehen kann. Das Material hat es in sich: Es vereint neueste Holzbautechnologien aus der Möbel- und Yachtfertigung, es ist aus einheimischen Hölzern gefertigt, kann nahezu beliebig geformt und spannungsfrei verbaut werden, etwas, was beim herkömmlichen Kahnbau sehr schwer umzusetzen ist und sehr viel Erfahrung voraussetzt. Es besteht aus mehreren Schichten Furnierholz, die unter Vakuum verklebt wurden. Der Vorteil dieses Baumaterials liegt auch darin, dass es Holzschädlingen oder eindringender Feuchtigkeit viel Widerstand entgegensetzt. Marcel Müller: „Dieses Material dürfte dem Vollholz deutlich überlegen sein, es lässt sich ebenso bearbeiten, aber dürfte in der Kahnnutzung länger haltbar sein. Denkbar ist auch der Ersatz von defekten herkömmlichen Holzbohlen durch unser Furnier, ganze Kahnböden lassen sich so komplett austauschen. Wir haben noch keine Erfahrungen im Praxiseinsatz, aber die werden bald folgen. Für 2025 planen wir einen ersten kleinen Kahn ins Wasser zu lassen, komplett aus Furnierholz bestehend – und das könnte dann tatsächlich die Geburtsstunde einer neuen Kahngeneration sein!“
Die Workshopteilnehmer haben den beiden Geschäftsführern staunend zugehört, ihre anfängliche Skepsis wich der Neugier, Begeisterung für diese innovative Idee äußerte sich deutlich. Dennoch gab es auch in dieser Runde die Zweifler, die Bedenkenträger: „Wird der Kahn überhaupt eine Zulassung vom TÜV bekommen?“ „Wie ist das mit dem Umweltschutz, wenn synthetischer Leim mit dem Wasser in Kontakt kommt?“ „Wird man sich den Kahn überhaupt leisten können?“ Und: „Wird denn die Kette dann auch so schön in den Kahn rasseln, wie beim Holzkahn?“ Letzteres wird von den beiden zustimmend bejaht, denn Holz bleibt Holz. Auf alle diese Fragen suchen Andreas Zimmer und Marcel Müller eine Antwort, und sie werden sie finden!
Ruben Hellwig befindet sich noch in der Ausbildung zum Kahnfährmann und will sich 2025 einen Kahn kaufen. „Aber bei aller Begeisterung für den Holzkahn werde ich mich wohl aus praktischen Gründen für einen Alukahn entscheiden: er ist pflegearm und kann stets im Wasser bleiben. Dennoch bin ich sehr gespannt, wie sich unser Straupitzer Kahn, der Furnierkahn, machen wird. Vielleicht wird er mal mein Zweitkahn – oder gar der Erstkahn“, sagt der ehemalige Cottbuser und Neustraupitzer Ruben Hellwig, der von dieser Workshopreihe begeistert ist: „Sie öffnet mir den Blick für alles Rund um den Kahn – danke, dass es diese Möglichkeit gibt!“
Peter Becker, 14.11.24
3. Treffen: „Von der Bohle bis zum Kahn“- KAHN traditionell, (21.11.2024)
Holzkahnbau ist eine (Handwerks-)Kunst
Im Rahmen der vom Spreewaldverein e.V. organisierten Kahnbauworkshops trafen sich die fast 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer diesmal in Lehde, nachdem bereits der Metallbaufima Jakubik in Burg und der „Vollholzschmiede“ in Straupitz ein Besuch abgestattet worden war. Alle eint das Interesse am Bau und der Nutzung des Spreewaldkahns, an der Fortsetzung der für den Spreewald so typischen Nutzungsart und der Wissensbewahrung darüber. Jedem, der sich mit dem Thema befasst, ist klar, dass dem klassischen Holzkahn in seiner inzwischen 180-jährigen Tradition eine Vielzahl von Erschwernissen für die Zukunft beschieden ist. Das liegt daran, dass es inzwischen seit 50 Jahren eine Alternative, den Aluminiumkahn, gibt und daran, dass das Handwerk des Kahnbauers kaum noch vorhanden ist – auch, weil die Nachfrage sinkt, denn der Alu-Kahn, wie er kurz genannt wird, ist wesentlich länger haltbar und pflegearm. Umso wichtiger gilt die Aufmerksamkeit nach wie vor dem Holzkahn, der für den Spreewald einst so typisch war, auch wenn er immer weniger auf den Fließen anzutreffen ist und immer mehr die Rolle des „Oldtimers“, des Liebhaberstücks, einnimmt. (Es soll schon Kahnfahrer geben, die für Fahrten im Holzkahn Aufschläge verlangen … was auch nachvollziehbar wäre und sicher auch von den Gästen angenommen wird.)
Einer, der sich mit dem Bau des Kahns sehr gut auskennt, ist Wolfgang Gahl. Der 1959 in Lehde Geborene ist mit dem Kahn groß geworden, mit dem Kahn wurden die meisten Wege erledigt. Gahls Tischlerlehre mündete in einer Anstellung beim Lehder Kahnbauer Karl Koal. Hier stellte er schnell fest, dass Kahnbauen weitaus mehr ist als das Zusammenschrauben oder -nageln von passend zugesägten Brettern, wie manch Außenstehender vielleicht denken mag. Genau dieses Wissen gab Wolfgang Gahl an die Teilnehmer des Workshops weiter. Er hatte dazu auf das Lehder Familiengrundstück eingeladen, auf dem mehrere Holzkähne fachgerecht zur Überwinterung aufgestellt waren: Den Kahnboden südseitig ausgerichtet, der Aufstellwinkel etwa 45 Grand und somit viel Luft um den Kahn. „So kann das Holz durchtrocknen, vielleicht die ein oder andere Schadstelle ausgebessert werden, um dann im Frühjahr den Schutzanstrich erneuern zu können“, erklärt er den Anwesenden. Wolfgang Gahl baut zwar keine Kähne mehr, bildet aber den Kahnfahrnachwuchs aus. In seiner Kahnfahrschule kann jeder und jede die ersten Schritte auf dem Wasser wagen und sich im Gebrauch des Rudels üben. Über 460 Fahrschüler haben so in den letzten Jahren bei ihm grundlegende Fertigkeiten erlangt, darunter nicht wenige Urlauber, die es einfach „mal wissen wollten“.
Im Lehder Dorfgemeinschaftshaus fand dann der Workshop seine Fortsetzung. Wolfgang Gahl hatte für den Kahnbau typische Werkzeuge und Schablonen mitgebracht und erläuterte anhand von Skizzen die Details, die den Kahnbau viel schwieriger gestalten lassen als angenommen. Gahl: „Es beginnt schon mit der passenden Holzwahl, denn gerade gewachsene und im Umfang ausreichend große Kiefern sind an sich schon schwer zu finden. Dann muss das Holz in passender Dicke zugesägt werden, um dann noch mal zwei Jahre an der Luft zu trocknen.“
Als eine der ersten komplizierten und körperlich anstrengenden Tätigkeiten nennt er das parallele Biegen der beiden Kahnseiten über Feuer – mit „Temperaturregelung“ mittels Wasserspritzen. „Es ist die komplizierteste Arbeit überhaupt und letztlich die entscheidende: Wenn falsch gebogen wird oder die Bohlen gar verbrannt werden, hat sich alle nachfolgenden Arbeit erledigt. Vermutlich hat jeder Anfänger die Erfahrung gemacht. Mein Chef, Karl Koal, pflegte immer zu sagen, dass jeder mal einen Kahn ‚verbrannt‘ haben muss, um daraus zu lernen – Lehrgeld halt …!“
Er nennt dann weitere Details, die von den Workshopteilnehmern immer wieder hinterfragt wurden, wie etwa Spaltdicke, Neigungswinkel, Verschraubetechniken. Hier entspann sich die meiste Diskussion, denn die üblichen Baumarktschrauben sind eher wenig geeignet. Schließlich müssen sie dicht im Holz liegen, dürfen nicht rosten und nicht zu hart sein. „Wenn der Kahn im Einsatz ist, müssen die unvermeidlich auftretenden Verwindungskräfte von den Schrauben aufgefangen werden – brechende Schrauben können einen ganz Kahn unbrauchbar machen!“, sagt Gahl.
Viele weitere Details wurden noch hinterfragt, die am Ende der Veranstaltung in der allgemeinen Wunsch Eingang fanden, doch dieses Wissen für die Nachwelt zu erhalten und zu dokumentieren. Die früher übliche Praxis der Weitergabe vom Meister an den Lehrling findet so praktisch nicht mehr statt, aber es bestehen reichlich Möglichkeiten, dieses Wissen zu dokumentieren und zu visualisieren.
Eine weitere Diskussion entspann sich um den richtigen Gebrauch der Holzschutzmittel. Die Umweltverträglichkeit wurde nicht angezweifelt, aber eher der Umstand, dass in anderen Ländern durchaus noch alte Anstriche gebräuchlich und erlaubt sind – ein Widerspruch für viele. Falkner Schwarz aus Lübben: „Der Spreewald ist ein Sonderraum, hier müssen auch Sonderregelungen erlaubt sein, um den hier mit dem Kahn und den Tourismus Lebenden die wirtschaftliche Existenz nicht unnötig zu erschweren.“ Er trifft damit den Nerv vieler, denn nahezu jeder, der mit dem Kahnbau und der -nutzung zu tun hat, hat sich schon über Überreglungen geärgert. Die dreijährliche TÜV-Abnahme wird ohnehin als überflüssig angesehen, denn jeder Kahnnutzer passt auf seinen Kahn selbst auf – mit einem defekten Kahn würde er nie aufs Wasser gehen, bestätigt auch Gahl die Diskussion.
Der nächste und (vorerst) letzte Kahnbauworkshop findet beim Kahnbauer Müller in Tauche, einem Ortsteil von Werder statt. Er favorisiert den Längsbohlenkahn, der anders als der Spreewälder Querbohlenkahn nördlich des Spreewalds im Einsatz ist. Allein diese Tatsache macht den Ausflug dorthin lohnend, denn um die beiden Kahnbauformen entspannen sich bei den vorherigen Workshops immer wieder Diskussionen über deren Vor- und Nachteile.
Peter Becker, 22.11.2024
Zu Besuch beim Kahnbauer Karl Koal 2017 in Lehde:
Alles steht und liegt bereit: Drei Eimer Wasser, Holzleisten, ein feuchter Lappen, ein altes Blech und eine Handspritze, selbst gebaut. Zuvor schon hatte der Lehder Kahnbaumeister Karl Koal eine rechte und eine linke Kahnwand nebeneinander mit Zwingen fest verbunden und über der späteren Feuerstelle angebracht. Die sieben Meter sechzig langen Kiefernbohlen lagern dabei an ihrem vorderen Ende unter einem fest im Boden verankerten Eisen und schwingen frei. Am hinteren Ende halten Stützen die Seitenwände in einer aus Erfahrung bestimmten Lage. Beim Biegevorgang werden sie dann nach und nach gegen kleinere ausgetauscht, so dass die Krümmung am vorderen Ende immer größer wird. Es gibt keine Messgeräte, keine Lehren oder Formen – was es gibt, ist der reichliche Erfahrungsschatz des Kahnbauers. Karl Koal entzündet das Feuer gleich- und beidseitig in den luftig gestapelten Leisten und saugt die Handspritze voll Wasser. Damit spritzt aus der Hocke heraus immer abwechselnd ins Feuer und an die vom Feuer betroffenen Kahnseiten – nicht zu viel, nicht zu wenig. Er hält somit das Feuer unter Kontrolle und verhindert ein übergroßes Erhitzen oder gar Verkohlen des Holzes. Hier hilft ihm seine große Erfahrung, es ist der komplizierteste Vorgang beim Kahnbau. Wenn hier was schiefläuft, ist der Kahn nicht fertigstellbar, er ist „verbrannt“. „Jeder Kahnbauer hat diese Erfahrung in seinen Anfangsjahren gemacht und vielleicht sogar machen müssen“, erzählt Karl Koal zwischen den Spritzungen. „Je nach Natur des Holzes dauert der Biegevorgang zwischen einer halben und manchmal sogar ganzen Stunde“, ergänzt er noch. Karl Koal verwendet Kiefernholz aus der Schorfheide, weil es „schön gleichmäßig“ gewachsen ist. Nach etwa eineinhalb Jahren Lagerzeit kann es schon für den Kahnbau verwandt werden.
Tipp des Kahnbauers für eine lange Haltbarkeit: „Nur dünnschichtig lasieren, damit das Holz atmen kann. Manche Kahnbesitzer haben in der Absicht es besonders gut zu machen, eine zu dicke Schicht aufgetragen. Dann kann das Holz nicht atmen, die Feuchtigkeit bleibt unter der Schutzschicht – sie zerkocht das Holz.“ Die richtige Pflege bestimmt, wie alt ein Kahn werden kann. „Zwischen vier und vierzig Jahren, so sind die Erfahrungen, die bei schlechter oder gar keiner Pflege nach unten überboten werden können wie umgekehrt bei sachkundiger Wartung nach oben.“
Peter Becker, 2017
4. Treffen: „Werterhalt mit Weitblick“ –Pflege und Reparatur des Kahns (28.11.2024)
Holzkahnbau traditionell betrachtet – zu Besuch beim Kahnbauer Mario Müller in Werder/Spree
Im Rahmen der vom Spreewaldverein e.V. organisierten Kahnbauworkshops trafen sich 25 Teilnehmende diesmal im Taucher Ortsteil Werder/Spree, nachdem bereits der Metallbaufima Jakubik in Burg, der „Vollholzschmiede“ in Straupitz und in Lehde bei Wolfgang Gahl ein Besuch abgestattet worden war. Alle eint das Interesse am Bau und der Nutzung des Spreewaldkahns, an der Fortsetzung der für den Spreewald so typischen Nutzungsart und der Wissensbewahrung darüber. Jedem, der sich mit dem Thema befasst, ist klar, dass dem klassischen Holzkahn in seiner inzwischen 180-jährigen Tradition eine Vielzahl von Erschwernissen für die Zukunft beschieden ist. Das liegt daran, dass es inzwischen seit 50 Jahren eine Alternative, den Aluminiumkahn, gibt und daran, dass das Handwerk des Kahnbauers kaum noch vorhanden ist – auch, weil die Nachfrage sinkt, denn der Alu-Kahn, wie er kurz genannt wird, ist wesentlich länger haltbar und pflegearm. Umso wichtiger gilt die Aufmerksamkeit nach wie vor dem Holzkahn, der für den Spreewald einst so typisch war, auch wenn er immer weniger auf den Fließen anzutreffen ist und immer mehr die Rolle des „Oldtimers“, des Liebhaberstücks, einnimmt. (Es soll schon Kahnfahrer geben, die für Fahrten im Holzkahn Aufschläge verlangen … was auch nachvollziehbar wäre und sicher auch von den Gästen, die um die Besonderheiten des traditionellen Holz-Spreewaldkahns wissen, akzeptiert wird.)
Mario Müller ist Tischlermeister in Werder/Spree, einem Ortsteil der Gemeinde Tauche im Landkreis Oder Spree und als solcher natürlich an allem interessiert, was aus Holz ist. Dazu gehört für den unweit der Spree liegenden Betrieb auch der Kahn, dessen Fertigungsschritte er einst von seinem Großvater übernommen hat. In Müllers Werkstatt wurde allerdings ein Kahntyp gefertigt, welcher sich in Teilen vom allgemein bekannten Spreewaldkahn unterscheidet. Hier wurden die Bohlen der Länge nach verarbeitet – es entstand der nach dieser Bauform benannte Längsbohlenkahn. Beim „Spreewaldkahn“ sind nach heutiger Auffassung die Bodenbretter quer zur Fahrtrichtung verarbeitet. Müllers Kähne sind auch kleiner und vorrangig für die Fischerei und Bewirtschaftung der eigenen Wassergrundstücke vorgesehen. Der Nachteil dieser Kahnform liegt darin begründet, dass viele Querstreben zum Zusammenhalt der Längsbohlen erforderlich sind. Für Schüttgüter und ähnliche Materialien war daher diese Kahnform weniger geeignet, denn das Entleeren beispielsweise mittels Schaufel stellte sich als schwierig dar – zusätzliche Bodenbretter über die Streben hinweg waren ein Erfordernis. Für die Fischerei in den Nebenarmen der Spree war diese Kahnform dagegen bestens geeignet: Der Kahn war nicht zu groß, daher wendig und ließ sich dank eines Bugstevens gut durch die Bewuchszonen manövrieren.
Mehr über den Längsbohlenkahn:
Dies alles berichtete Mario Müller den in seiner Werkstatt weilenden Interessierten, die natürlich oftmals tiefgehende Rückfragen zum Vorgestellten hatten: Wie gelingt es den Kahn dicht zu bekommen? Welche Schrauben, welche Anstrichmittel, wie werden die Seiten geformt …? Der Tischlermeister ließ keine Frage unbeantwortet, er ging neben den traditionellen Fertigungsmethoden auch auf den Einsatz moderner Hilfsmittel und Werkzeuge ein. „Mein Großvater hat noch mit dem Fuchsschwanz die Bohlen in ihrer Längsrichtung stundenlang und kräftezehrend zugesägt – eine sehr ermüdenden Tätigkeit, die moderne Sägemaschinen in kurzer Zeit und in bester Qualität erledigen können“, erzählte Mario Müller über seine „Lehrjahre“ beim Großvater.
Mit vielen Eindrücken und neu geknüpften Kontakten geht damit die Kahnbauwerkstatt im November, initiiert durch den Spreewaldverein e.V. vorüber. Ermöglicht waren die donnerstäglichen Einblicke im Besonderen durch die Förderung im Rahmen des Ideenwettbewerbs „Teilhabefonds Brandenburg“ der Wirtschaftsregion Lausitz GmbH. Das Thema Spreewaldkahn, welches in Bau und Nutzung seit 2023 immaterielles Kulturerbe ist, bleibt damit aber nicht abgeschlossen. “Im Gegenteil, es darf sich auf weitere Treffen im Rahmen der Reihe “Kahn im FOKUS” des Spreewaldvereins gefreut werden”, erklärt Sarah Plotzky. “Dafür suchen wir wieder Kahnbauer und Kahnbauerinnen, die bereit sind, ihre Werkstatttüren zu öffnen und ihr Wissen zu teilen.” Die diesjährigen Treffen haben gezeigt, dass sich der praxisnahe Austausch bewährt und den Erfahrungsaustausch äußerst positiv befördert. “Daran wollen wir gemeinsam mit den interessierten Menschen und Machern der Region anknüpfen”, hält Sarah Plotzky fest, “denn nur mit engagierten und leidenschaftlichen Praktikern schaffen wir es als Region gemeinsam, den Bau und die Nutzung des Spreewaldkahns zukunftsfähig zu machen!”
Peter Becker, 29.11.2024
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