Gemeinsam im Dienst des Kahntourismus

70 Jahre Fährgenossenschaft Großer Spreewaldhafen Lübbenau

Spreewaldkahnfahrten

Es gibt nur sehr wenige Vereine in der Region, die fast ein Menschenleben lang ohne Unterbrechung existieren und in den 70 Jahren lediglich mit nur vier Vorsitzenden ausgekommen sind. Seit 2001 steht nun dem Verein, der jetzt offiziell Kahnfährgenossenschaft Lübbenau & Umgebung eG heißt, Steffen Franke vor.

Die Vereinsgründung 1954 fiel in eine Zeit des Wiederaufbaus der Gesellschaft, der Krieg hatte Elend und Leid hinterlassen, auch viele Fährmänner ließen ihr Leben – die Sehnsucht der Menschen nach Frieden und freudvollem Leben war allgegenwärtig geworden. Wenn auch Lübbenau kaum von Zerstörungen gezeichnet war, galt es das neue Leben zu ordnen und gestalten. Viele Fährmänner stakten die mit den Jahren zunehmende Gästezahl nach eigenem Ermessen (und Preisen) durch den Spreewald. Ihr Obmann, Willy Neumann, erkannte wohl die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns aller Fährleute, es ging um allgemein akzeptierte Rechten und Pflichten, um sich des steigenden Besucherverkehrs zu stellen und ihn zu organisieren. In einer Genossenschaft, so die gewonnen Überzeugung, lässt sich dies am besten umsetzen.

Willy Neumann lud für den 14. April 1954 ins Lübbenauer „Spreeschlößchen“ die Fährleute ein, die nach sicher umfangreicher Diskussion dem Satzungsentwurf zustimmten. Zum Vorsitzenden wurde Wilhelm Prinz gewählt, der dann 23 Jahre dieses Amt innehaben sollte. In seine Zeit fiel der stetig ansteigende Besucherverkehr, der besonders durch bauliche Veränderungen der Hafenanlagen besser bewältigt werden konnte. Der ehemalige Landungsplatz für Gurken – und Meerrettichanlieferer wurde zur Kahnabfahrtstelle für Reisegruppen und Einzelpersonen, später „Spreewaldhafen der Freundschaft“ genannt.

In der DDR-Zeit erfuhr der Spreewaldtourismus seine große Blütezeit: Mangels Ausflugszielen im (westlichen) Ausland konzentrierten sich die Reiselustigen auf die Ostsee, Thüringen – und eben auf den Spreewald. Um den Ansturm zu bewältigen, wurden Kahnfährleute, die beispielsweise im Kraftwerk Lübbenau arbeiteten, für die Saison von der Arbeit freigestellt. Dies geschah ganz im Sinne der DDR-Erholungspolitik, denn zufriedene Werktätige dienen dem Aufbau des Sozialismus – so die Grundüberzeugung der Staats- und Gewerkschaftsfunktionäre. Der Besucherrekord von 1985, fast eine halbe Million Kahngäste, wird wohl noch lange in der Vereinsgeschichte bestehen bleiben.

Mit der politischen Wende kam es zu einem sehr deutlichen Rückgang der Besucherzahlen: Endlich waren für die DDR-Bürger andere Ziele ansteuerbar, die andererseits gestiegenen Zahlen von Gästen aus den alten Bundesländern konnte den Rückgang nicht kompensieren. Hinzu kam auch der Umstand, dass sich weitere Kahnfährvereine mit eigenen Abfahrtstellen etablierten – Marktwirtschaft machts möglich – und viele Fährleute ihren Broterwerb auf das Kahnfahren lenkten. Das Kahnfahren allein schien bald nicht mehr den Ansprüchen der Urlauber gewachsen zu sein, thematische Fahrten, Nachtfahrten und Ausdehnung der Fahrten möglichst über das ganz Jahr waren ein Erfordernis der Zeit geworden. Besonders die seit Jahren stattfindenden Kahnfahrten an der ersten beiden Adventswochenenden ins Freilandmuseum Lehde zur Spreewaldweihnacht erfreuen sich größter Beliebtheit und sind oft sehr zeitig ausgebucht.

Mit dem 1999 eingeweihten neuen Hafengebäude wird den Gästen mehr Service geboten, der Hafen hat sich in der neuen Zeit etabliert und ist den Besucherzahlen, die sich seit 12 Jahren auf einem guten Niveau eingependelt haben, gewappnet.

Doch die Fährleute sind nicht nur zufrieden: Verunkrautete und verschlammte Fließe machen das Staken schwer, verockertes Wasser trübt im wahrsten Sinne des Wortes den Genuss einer Kahnfahrt. Steffen Franke in seiner Festrede zum 70. Jahrestag im Schloss Lübbenau in Richtung Wassermanagement gerichtet: „Erst Einsparungen auf allen Gebieten, dann eine restriktive Baggerrichtlinie und eingeworfene Naturschutzbelange führten zu einer VERSCHLAMPUNG der Fließe. Die Sohltiefe hat sich an einigen Stellen auf nur noch wenige Zentimetern unterm Kahn verringert. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis wir sprichwörtlich auf dem Trockenen sitzen! Und das Schlamm auch den Wassertieren nicht dienlich ist, wird einfach ausgeblendet! Ganz aktuell treiben uns auch die Initiatoren der Einrichtung von Wildnisgebieten vor sich her – Durchfahrverbote schränken uns ein!“

Dass es die Fährleute sehr wohl mit dem Naturschutz und der Erhaltung der Landschaft zu tun haben wollen, zeigt der Umstand, dass im Ruhehafen-Gebiet neue Bäume angepflanzt werden sollen „Vom Ergebnis dürfen Sie sich 2025 gern überzeugen!“, so Franke.

Die Kahnfährgenossenschaft steht vor großen Herausforderungen, die nur mit unglaublichen Kraftanstrengungen zu schaffen sind. Jüngstes Beispiel ist die Bereitstellung von Parkraum mit Ladesäulen für die immer größer werdende Zahl der E-Autos. „Mit einer Lademöglichkeit erschließen wir ein weiteres Besucherklientel, aber wir können es allein nicht finanzieren“, bringt es Steffen Franke auf den Punkt.

Wie in vielen Bereichen, gibt es auch bei den Kahnfährmännern und inzwischen auch vielen Kahnfährfrauen Nachwuchssorgen. Immer weniger junge Leute scheinen bereit oder in der Lage zu sein, am Wochenende auf ihre Freizeit zu verzichten und sich den Mühen (und Kosten) für den Kahnfahrschein zu stellen. Auch ist der Frauenanteil unter den Fährleuten mit 13 Prozent seit längerer Zeit stabil, könnte sich aber auch gern noch erhöhen.

Auch die Tatsache, dass das Kahnfahrpublikum immer internationaler wird, stellt für die Genossenschaft eine sprachliche Herausforderung dar.

Berühmte Gäste – eine unvollständige Auflistung, denn mancher VIP besuchte incognito den Spreewald, bzw. versuchte es:

Puhdys 1980
Monika Hauff und Klaus-Dieter Henkler
Hot Chocolate
Hans Rosenthal
Rudi Carrell
Dieter Hallervorden
Günter Schubert
Katja Ebstein
Berhard Brink
Lilo Wanders 2015
Margot Käßmann
Gustav W. Heinemann – Dt. Bundespräsident
Johannes Rau und Frau Christina – Dt. Bundespräsident 2003
Frank-Walter Steinmeier und Frau Elke Büdenbender – Dt. Bundespräsident 2017 u. 2024
Matthias Platzeck 2004
Dr. Dietmar Woidke 2014 u. 2017 u. 2024

Fotos belegen den Besuch weiterer prominenter Gäste: Kosmonaut Pawel Beljajew (1965), DDR-Volleyballmannschaft 1985, Max Schmelling (1990)

Vereinsvorsitzende:

1954 – 1977: Wilhelm Prinz

1977 – 1986: Willy Kutzke

1986 – 2001: Reinhard Krüger

Ab 2001: Steffen Franke

Zeittafel:

14.04.1954Gründung der Kahnfährgenossenschaft im „Spreeschlößchen“ durch Kahnfährobmann Willy Neumann
1955BVG reaktiviert wieder die Ausflugslinie Berlin – Lübbenau (1939 eingestellt)
1957Eröffnung Freilandmuseum Lehde
196410.000 Gäste
1973Geschäftssitz Großer Hafen eingeweiht
197420.000 Gäste
1985470.000 Gäste
1991Spreewald wird UNESCO-Biosphärenreservat
1998Stadt Lübbenau wird „Staatlich anerkannter Erholungsort“
01.05.1999Eröffnung des neuen, heute bekannten, Hafengebäudes
2020Kahnfährbetrieb wegen Corona eingestellt
2023Bau und Nutzung des Spreewaldkahns wird in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Weltkulturerbes aufgenommen.
14.04.2024Festveranstaltung zum 70. Jahrestag im Schloss (mit Ministerpräsident Woidke)

Peter Becker, 20.08.24

Über Peter Becker 389 Artikel
Jahrgang 1948, Diplomlehrer, Freier Journalist und Fotograf

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