Nun ist es amtlich: Wer ab jetzt in einem Spreewaldkahn sitzt oder ihn stakt, tut dies in einem Immateriellen UNESCO-Kulturerbe!
Am 29. Juni erfolgte in Potsdam die offizielle Anerkennung mit der Übergabe der Urkunden an die einreichenden Träger. Im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte wurden von der Brandenburger Kulturministerin Manja Schüle und Professor Christoph Wulf die 13 deutschen Kulturerbeträger vorgestellt und ausgezeichnet, die in das Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen wurden.
Manja Schüle: „Hip-Hoper aus Heidelberg, Kahnbauer aus dem Spreewald, Steigerlied-Sänger aus dem Ruhrpott – so unterschiedlich und doch so ähnlich: Hinter den 13 Eintragungen stehen viele ehrenamtlich Engagierte, die ihr Kulturgut mit Hingabe pflegen!“ Professor Wulf von der Deutschen UNESCO-Kommission: „Wir haben heute all diejenigen geehrt, die ihr Wissen und Können weitergeben und sich damit Tag für Tag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt stark machen!“ Inzwischen gibt es deutschlandweit 144 „Erben“, die alle das immaterielle Kulturgut pflegen.
Aus Brandenburg sind darunter
- Gesellschaftliche Bräuche und Feste der Lausitzer Sorben im Jahreslauf
- Manuelle Fertigung von mundgeblasenem Hohl- und Flachglas
- Zubereitung und Anwendung von traditionellem Kalkmörtel
- Kaspertheater als Spielprinzip
und seit 2023:
- Netzwerk Kachelofenbau – Traditioneller, handwerklicher Bau von Kachelöfen
- Bau und Nutzung des Spreewaldkahns
Die Veltener Kachelofenbauer erinnerten bei ihrer Präsentation daran, dass der wärmende Ofen ganz selbstverständlich zum Wohlfühlen der Menschen gehörte und inzwischen wieder mehr gehören könnte: Kacheln speichern die Wärme, die von modernen Energieerzeugern welcher Art auch immer erzeugt wird, viel besser und nachhaltiger – ihnen steht eine Renaissance bevor.
Den Spreewaldkahn stellte Melanie Kossatz vom Spreewaldverein e.V. vor, der zuerst gar nicht im Mittelpunkt stand, sondern die Suche nach Fördermöglichkeiten für einen Brückenbau zu einem Kahnbaubetrieb in Lübbenau. Diese speziellen Brücken sind allein schon eine Besonderheit im Spreewald, die ebenfalls eine besondere Beachtung und Behandlung verdient hätten. In dem Zusammenhang tauchte der Gedanke, die Frage, auf, ob denn der Kahn als solcher nicht zum Immateriellen Kulturerbe taugt und förderfähig wäre. Die Aufnahme in das deutsche Verzeichnis wurde als längst überfällig wahrgenommen und zügig umgesetzt. Es wurden Treffen mit Kahnbauern und Fährleuten initiiert, die alle zum Konsens beitrugen und das Anliegen forcieren halfen. Melanie Kossatz: „Der Spreewaldverein hat mit der Idee, einen entsprechenden Antrag zu erarbeiten eine regional verankerte Gefühlswelt aufgegriffen! Vermeintlich Verborgenes wird wieder sichtbar – Wissen, Erfahrungswerte und Lebensweise mit dem Kahn werden zusammengetragen und gemeinsam reflektiert.“
Zur Auszeichnung hatte sie ein Team mitgenommen, dass die Vielfalt des Spreewaldkahns widerspiegelt, denn er ist längst nicht nur „ein Kahn“ schlechthin, sondern er unterscheidet sich in Größe, Bauform und Material.
Mario Müller ist Tischler und Kahnbauer und hat sich auf den Längsbohlenkahn spezialisiert, einen Kahn, der die erste Bauform nach dem Einbaum war. Wegen der vielen und notwendigen Querspannten war der Kahn für die landwirtschaftliche Nutzung – und nur dazu war der Kahn anfangs verwandt worden- nicht ganz so geeignet. Der spätere Querbohlenkahn bestand aus einer durchgehenden Bodenfläche, die Schüttgut leichter entnehmen ließ. Diese Nutzung besteht heute praktisch nicht mehr, der Einsatz als Touristenkahn dominiert – und damit könnte der Längsbohlenkahn eine Renaissance erleben, denn er ist nach Ansicht des Kahnbauers leichter zu bewegen und gleitet besser durch das Wasser.
Der Lübbenauer Thomas Lubkoll vertrat die Aluminiumkahnbauer, die einen modernen, pflegeleichteren Kahn mit längerer Nutzungsdauer ins Wasser bringen. Inzwischen verkehren überwiegend solche Kähne im Spreewald, wenn auch dem Holzkahn etwas nachgetrauert wird. „Es ist der Sound, das dumpfe Geräusch hört sich halt einfach besser an als das blecherne“, erklärt die ebenfalls angereiste Carola Piegert von den Lübbenauer Kaupen. Sie vertrat ihre Kahnbauerfamilie und ist gleichzeitig als Unternehmerin eines Bootsverleihs „mit Holzpaddelbooten“ tätig.
Aus Deutschland wurden 2023 ins UNESCO-Verzeichnis der Immateriellen Kulturträger weiterhin aufgenommen:
- Sail Training auf Traditionssegelschiffen
- Bad Dürrenberger Brunnenfest
- Englmarisuchen
- Gestaltung und traditionell handwerkliche Fertigung der Vorpommerschen Fischerteppiche
- Handweberei
- Hip-Hop-Kultur in Heidelberg und ihre Vernetzung in Deutschland
- Kindergartenidee nach Friedrich Fröbel als kulturelle Form frühkindlicher Erziehung und Bildung
- Klassische Reitlehre in Deutschland
- Knickpflege in Schleswig-Holstein
- Singen des Steigerlieds
- Zirkus als eigenständige Form der Darstellenden Kunst
Peter Becker, 30.06.23
Buchtipp: Faszination Spreewaldkahn
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