Der Naundorfer Nahrungswald

Immer öfter gibt es Versuche und Projekte, die Nahrungsmittelproduktion „vom Kopf auf die Füße zu stellen“. Es geht nicht mehr darum, dem Boden mit allen technischen und chemischen Mitteln das Letzte abzuringen, sondern dem Boden Zeit zu lassen, sich auf ganz natürliche Weise zu regenerieren und neues Wachstum zu ermöglichen. Vielfalt statt Monokultur, Selbstregulation mit ungestörter Reproduktion sind die Begriffe, die die modernen Anbaumethoden kennzeichnen – wobei unter „modern“ ein Zurück zur Natur zu verstehen ist!

Ein Beispiel dieser Vorgehensweise wird im Spreewaldort Naundorf augenfällig: Ein Berliner Hotelunternehmerpärchen, Nadine und Tom Michelberger, hat eineinhalb Hektar Land und den dazugehörenden Vierseiten-Bauernhof erworben und bewirtschaftet ihn nach ihren Vorstellungen.

Nadine Michelberger: „Ein Wäldchen voller Nahrung wächst seit 2019 heran. Die lebendige Erde hält mehr Wasser und ein reiches Bakterien- und Pilzleben, was wiederum den Nährstoffaustausch zwischen den Pflanzen reguliert. Darauf aufbauend schafft und nutzt eine vielschichtige Flora symbiotische Effekte, die jede Pflanze stärker und nährstoffreicher machen. Das ist ein echter regenerativer Kreislauf, denn in seinem Prozess macht er den Boden, die Pflanzen und die Menschen gesünder. Alle gewinnen.“

Zu den Gewinnern zählen auch die Gäste ihres Hotels in Berlin. Sie bekommen gesunde, frische Nahrungsmittel, der Erntesaison entsprechend. Die ohnehin notwendigen Fahrten zur Farm werden genutzt, um für den Rückweg den Kofferraum mit frisch Geerntetem zu füllen. Gemüse und Obst aus dem Spreewald kommen so frisch wie möglich auf den Tisch des Gastes.

Anbau auf Hügelbeeten, in den ersten Jahren noch mit Tropfwasserversorgung.
Denise May und Freiwillige bei der Mulchaktion.
Die Ernte geht nach Berlin

(alle Fotos: Robert Rieger)

Nach einem detaillierten Plan wurde das 1,5 ha große Feld im Winter mit vielen Arten und Sorten von Obst- und Nussbäumen, Sträuchern und Beerenpflanzen bepflanzt, insgesamt über 15.000 Pflanzen, Bäume und Sträucher kamen in die Erde. Besonderes Augenmerk wurde auch auf die bodennahe Krautschicht gelegt, die aus einer Vielzahl von Staudengemüse und anderen essbaren Pflanzen besteht.

Der Betrieb konzentriert sich darauf, so viele mehrjährige Pflanzen wie möglich zu verwenden, um die Anzahl der von der Küche benötigten einjährigen Pflanzen zu reduzieren. Im Allgemeinen erfordern einjährige Pflanzen viel mehr Arbeit und externe Energie als mehrjährige Pflanzen, die jedes Jahr wiederkommen und kräftiger werden. Die Verbindung zwischen dem lebendigen Nahrungswald und der Küche ist für den Hof entscheidend. Dadurch wird die Qualität der Produkte aufgewertet und die Köche haben die Möglichkeit, spezielle Zutaten zu verwenden, die nicht immer von regulären Lebensmittellieferanten zu bekommen sind.

Ein Berliner Pärchen und ihr Brückenschlag in den Spreewald

Als sich Nadine und Tom Michelberger kennenlernten, ahnten sie nicht, dass es sie mal in den Osten Deutschlands verschlagen würde. Sie, eine Münsterländer Bauerntochter und er, ein Unternehmersohn vom Bodensee, trafen sich in Berlin. Beide studierten dort, Nadine hatte Sozialwissenschaften und Pädagogik belegt, Tom Volkswirtschaft. Sehr bald entwickelten sich gemeinsame Zukunftspläne, „fast von der ersten Minute an“, wie Nadine Michelberger heute zurückblickt. „Wir dachten anfangs noch gar nicht an ein Hotel, sondern eher an einen Ort, den wir gemeinsam gestalten können und der für alle offen sein sollte, ein sozialer Ort, an dem man gut essen und trinken und beisammen sein kann und der als Plattform dient, für unsere Ideen, für Musik, für alles Handwerk rund ums Essen und das Gastgeben“, ergänzt sie noch. Der Traum dauerte einige Jahre, Geld bekamen sie anfangs von den Banken nicht geliehen, sich einem Investor anzudienen kam auch nicht infrage.

Nach langem Suchen und Verwerfen eröffneten beide 2009 ihr Hotel in der Warschauer Straße in Berlin. Noch nicht zufrieden waren sie mit der gastronomischen Sparte, die sollte unbedingt aufgewertet und auch etwas anders sein als die ihrer Mitbewerber. Sich ihrer Münsterländer Wurzeln erinnernd, war bald klar, dass sie ihren Hotelgästen etwas Besonders bieten wollen und müssen. Im Spreewaldort Naundorf konnten sie 2018 einen alten Vierseitenhof mit 1,5 Hektar Land erwerben – von hier sollte nahezu täglich frisches Obst und Gemüse kommen. Beide Unternehmer sind überzeugt, dass es nicht aus ganz Europa oder gar Übersee Heran gekarrtes sein muss, wenn vor ihrer Haustür fast alles selbst angebaut werden oder zumindest erworben werden kann. In maximal zwei Stunden kann Geerntetes aus Naundorf in der Hotelküche sein – wenn es mal schnell gehen muss.

Aber es ist nicht nur der Name Spreewald, der sich gut vermarkten lässt, sondern beide verfolgen noch weit mehr, denn sie haben sich für einen „Nahrungswald“ entschieden. Nadine und Tom Michelberger sagen über ihr Projekt: „Ein Wäldchen voller Nahrung, lebendige Erde hält mehr Wasser und ein reiches Bakterien- und Pilzleben, was wiederum den Nährstoffaustausch zwischen den Pflanzen reguliert. Darauf aufbauend schafft und nutzt eine vielschichtige Flora symbiotische Effekte, die jede Pflanze stärker und nährstoffreicher machen. Das ist ein echter regenerativer Kreislauf, denn in seinem Prozess macht er den Boden, die Pflanzen und die Menschen gesünder. Alle gewinnen.“

Hauptakteure auf dem Naundorfer Hof sind Nadines Schwester, Denise May, ihr ehemaliger Koch und Gärtner Julian Zuth, sowie Kevin Kurz als Gärtner. Sie haben den Anbau von Anfang an in Zusammenarbeit mit den Hotelköchen geplant und setzen nun seit ein paar Jahren alles Schritt für Schritt um.

Nadine Michelberger: „In Naundorf möchten wir ein ebenso offener Ort und Teil der Gemeinschaft sein, wie wir das in Berlin sind – und die Brücke Berlin – Spreewald ist ja historisch gewachsen. Schon in den letzten Jahrhunderten fuhren die Spreewälder ihr Gemüse und die Kartoffeln mit dem Kahn nach Berlin, wie wir in Erfahrung bringen konnten.“

Sich in den Ort einzubringen, ist für beide selbstverständlich. Beide kommen vom Land und wissen, dass eine dörfliche Gemeinschaft nur durch gegenseitiges Geben und Nehmen funktioniert. Deshalb haben sie sofort zugesagt, als sie in diesem Jahr von den Organisatoren des Fastnachtsumzuges gefragt wurden, ob sie denn nicht die Pausenbewirtung der fast 50 Umzugsteilnehmer übernehmen könnten. So kam es, dass der ganze Zug nicht nur verköstigt wurde und sich am Lagerfeuer aufwärmen, sondern auch von den Plänen und dem Fortgang der Arbeiten überzeugen konnte – eine bessere Einführung ins Dorf gibt es eigentlich nicht!

Zu den Plänen, die schon in der Umsetzungsphase sind, gehört der Umbau der alten, baufällig gewordenen Scheune. Sie wird voraussichtlich Mitte Juni mit neun Zimmern und einer gastronomischen Einheit zur Versorgung der Gäste eröffnen. „Willkommen sind alle Besucher des Spreewalds; die Mitarbeit auf dem Feld und der Einblick in die Anbauweise der regenerativen Agroforstwirtschaft sind dabei immer Teil des Besuchs – wenn auch nur durch das Probieren der frisch zubereiteten Speisen direkt vom Feld und natürlich auch den Erzeugnissen aus der Region,“ beschreibt Nadine Michelberger ihr neuestes Projekt. Die Naundorfer werden schon in diesem Frühjahr den immer größer werdenden Nahrungswald sehen können, ebenso den Neubau der Scheune, mit viel Glas, Luft und Licht – und ganz dem Nachhaltigkeitskonzept der Michelbergers entsprechend.

Über Peter Becker 359 Artikel
Jahrgang 1948, Diplomlehrer, Freier Journalist und Fotograf

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