Das Unwetter von 1948

Verladestelle Lübbenau: Kartoffelnachschub für die Pohlenzschänke (re. Joachim Fittkau)

Hochwasser gehört seit eh und je zum Spreewald, erst in jüngerer Zeit puffert ein ausgeklügeltes Wassermangement die Wasserspitzen aus. Die Fotos stammen aus den letzten 100 Jahren und zeigen das beschwerliche Leben der Spreewälder, besonders ihre Mühen, die Ernten für Mensch und Vieh zu sichern.

Am 1. September 1948 berichtete die Berliner Zeitung über ein Unwetter, gepaart mit Hochwasser, in der Spreewaldregion, das das Leben der Menschen in der ohnehin schweren Nachkriegszeit noch zusätzlich belastete:

„7. August: Hagelkörner peitschen in die 300 Kanäle des Spreewaldes. Die sommerlich träge Strömung in den unzähligen Fließen zwischen Wiesen und hochgelegenem Gemüseland kann das nicht aus der Ruhe bringen. Aber die breitlappigen Gurkenblätter sind wie von Taubeneiern durchlöchert und zerrissen. In Göritz hat der Hagel 500 Fensterscheiben zertrümmert. Die Dächer von Baracken und Behelfsheimen sind teilweise zerschlagen. Besonders schwer betroffene Familien nehmen Notquartier in Schulen und Gasthäusern.

August: Seit drei Tagen gießt es wie aus Kannen. Gewitter und Wirbelstürme am Donnerstag haben die Bäume wie Streichhölzer umgeknickt. Ackerwagen flogen durch die Luft, Dächer wurden abgedeckt, Licht- und Telefonleitungen sind stellenweise unterbrochen. 200 jährige japanische Eichen liegen im Schlosspark von Lübbenau. Ihre Wurzeln hingen in der Luft. Zehn Zentimeter Niederschlag pro Tag werden gemessen. Alle Wehre sind gezogen, aber das Wasser steigt. Der Spreewald, das natürliche Staubecken der Spree, droht zu überfluten. Selbst in den höher gelegenen Randgemeinden klettert der Grundwasserspiegel unaufhörlich.

August: Verankerte Kähne an den Hofeingängen auf den winzigen Inseln sind mit Schaum bedeckt. Provisorische Schilder: „Vorsicht! Starke Strömung! Lebensgefährlich!“, warnen die mit Gurken beladenen Kähne. Die Spundwand für den Brückenbau Lübben sperrt den Abfluss.

August: Alarm in allen Gemeinden. Fäulnisschäden durch Rückstau der Spree werden gemeldet. Landräte und Kreislandwirte sind Tag und Nacht unterwegs. Einsatzkommandos werden gebildet, ihre Leiter kämpfen mit Transportschwierigkeiten.

18. August: Bauern aus der hochgelegenen Landgemeinde Groß Beuchow ziehen Kartoffelstauden aus. Kartoffeln von 400 Gramm, das ist eine Rekordernte. Da gluckst es. Wo die unterste Kartoffel lag, blinkt trübes Grundwasser. Die tiefgelegenen Knollen sind von weißen und braunen Flecken gezeichnet. Einige sind weich. Fäulnis! Alles ist auf den Feldern und wühlt mit den Händen die gefährdeten Kartoffeln aus dem immer schlammiger werdenden Acker.

20. August: Wieder Gewitter. Cottbus meldet 27 cm Wasseranstieg. Noch nie war die Spree so hoch. Im Kreis Calau sind über 700 Hektar Gemüse und Kartoffeln gefährdet. Die Protokolle aus den Gemeinden geben 30 bis 50 % Hochwasserschäden an.

Der Umsiedler Martin Schulz steht vor seinem halbfertigen Gehöft in Groß Beuchow und weint. Er hatte 1947 eine Siedlung übernommen, mit sechs Kindern geschuftet, sein Gehöft aufgebaut. Jetzt ist eine Mauer eingestürzt. Die Kartoffeln unter Wasser. Dann steht er mit Frau und Kindern bis zu den Knien im Wasser und wühlt nach den Knollen. 10 Tage unter Wasser und die noch nicht ausgereiften Kartoffeln sind restlos weggefault.

Alles wird aufgeboten, um die von Fäulnis bedrohte Ernte sofort zu bergen. 12.500 Arbeitskräfte in Guben, Cottbus, Lübben, Calau stehen auf den Feldern. 800 Ziegeleiarbeiter aus Senftenberg treffen im Sonderzug in Lübbenau ein. Lastwagen verteilen sie auf die einzelnen Gemeinden und kommen spät nachts mit angefaulten Kartoffeln zurück zum Bahnhof. Der Wettlauf mit dem Fäulniserreger beginnt.

25. August: Das Wasser fällt. Auf den Äckern gehen die Kartoffelroder dem Wasser nach. Lastwagen und Kähne transportieren die Industriekartoffeln. Keiner darf sich Ruhe gönnen. Jedes Zögern bedeutet erhöhten Verlust. Schweinehalter müssen fünf Zentner Kartoffeln eindämpfen. In Silos werden Futterreserven angelegt. Speisekartoffeln fallen nur wenige an.

28. August: Die Aktion ist beendet. Allein im Kreis Calau sind 3.000 t Kartoffeln durch die Sofort- maßnahmen gerettet worden. Für gesunde Kartoffeln besteht Hackverbot. Seit 1804 hat der Spreewald ein solches Hochwasser nicht mehr erlebt.“

Der Spreewald, wie auch das Leben seiner Bewohner, ist jeher dem Einfluss von Hochwasser und Trockenheit unterworfen. Hochwasser ließ Getreide und Feldfrüchte faulen, bei Trockenheit verdorrten sie. In beiden Fällen war das immer mit Hunger und Armut verbunden, da die Preise anstiegen. Im Kapitel „Trübsalstage Lübbenaus“ seiner Lübbenau-Chronik geht Paul Fahlisch näher darauf ein.

Heute trägt der Klimawandel zur Verschärfung der Wetterextreme bei. Die Berliner Zeitung vom

10. Juni 2022 schreibt unter dem Titel „Dem Spreewald wird bald das Wasser abgedreht“:

„Zwei Millionen Erholungsgäste besuchen jedes Jahr den Spreewald. Doch Brandenburgs Touristenmagnet ist in Gefahr. Wegen Wassermangel droht den idyllischen Fließen das Aus. Nur ein Drittel der üblichen Wassermenge fließt am Ausgang des Spreewalds noch Richtung Berlin. Die Trinkwasserversorgung der Millionenstadt ist wichtiger als idyllische Kahnpartien. Für beides reicht das Wasser bald nicht mehr aus.“

Noch sind das nur Ansagen, aber mit welchen Mitteln können wir gegensteuern?

Ein Gastbeitrag von Hans-Joachim Nemitz, Lübbenau

Über Peter Becker 359 Artikel
Jahrgang 1948, Diplomlehrer, Freier Journalist und Fotograf

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