Tiny House in Raddusch

Weniger ist mehr

Was brauchen wir für ein gutes Leben? Nachhaltigkeitsexperte Sebastian Zoepp hat darauf viele Antworten. Eine davon ist ein Tiny House, dass er über die SPREEAKADEMIE im vergangenen Jahr in Raddusch bauen ließ.

Ich treffe Sebastian Zoepp bei warmen Frühlingstemperaturen in seinem Radduscher Lerngarten. Er schließt gerade die Gartenpumpe an, gemeinsam setzen wir uns auf die Terrasse vor dem Tiny House. Der studierte Landschaftsplaner ist im Spreewald aufgewachsen und vermittelt seit gut 20 Jahren konkrete Handlungsansätze für eine nachhaltige Kommunal- und Regionalentwicklung. Dafür hat er 2016 die SPREEAKADEMIE gegründet. Dieses Sozialunternehmen setzt auf eher praxisorientierte Bildungsformate – das Tiny House ist hierfür ein gutes Beispiel. 

Herr Zoepp, wie kamen Sie denn überhaupt auf die Idee, so ein Tiny House zu bauen?

Ich beschäftige mich schon länger mit Gebäuden und Wohnkonzepten, die wenig Ressourcen in Anspruch nehmen und umweltfreundliche Materialien verwenden. Die alten Spreewaldhäuser aus Holz und Lehm sind dafür ein gutes Beispiel, aber nicht in jeder Hinsicht zeitgemäß. Bei einem Urlaub habe ich vor einigen Jahren einen US-Amerikaner kennengelernt, der sich selbst ein kleines Haus auf einem Anhänger aufgebaut hat. Da habe ich mich das erste Mal bewusst mit Tiny Houses befasst. 

Im Jahr 2020 hat die SPREEAKADEMIE vier Parzellen in der Radduscher Kleingartenanlage „An der Eisenbahn e.V.“. übernommen. Dank der Unterstützung durch den Vereinsvorstand können wir hier seitdem einen Lerngarten nach den Prinzipien der Permakultur entwickeln. Da auf dem Gelände eine alte Gartenlaube abgerissen werden musste kam mir die Idee, an dieser Stelle ein ähnlich kleines Haus – eben ein Tiny House zu bauen. Dabei war von vornherein klar, dass es ein Modellhaus für zukunftsfähiges Bauen und Wohnen auf dem Land werden sollte. Denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass man „Nachhaltigkeit“ am besten vermitteln kann, wenn man das Thema in konkrete Praxisbeispiele übersetzt. 

Und wie haben Sie die Idee dann in die Tat umgesetzt?

Als Sozialunternehmen arbeiten wir nicht gewinnorientiert. Zur anteiligen Finanzierung des Vorhabens haben wir daher einen Förderantrag beim Brandenburger Umweltministerium gestellt. Der wurde erfreulicherweise bewilligt. Für den Rest der Bausumme haben wir einen Kredit bei der GLS-Bank aufgenommen. Im Anschluss haben wir ein Unternehmen gesucht, dass nicht nur ein nachhaltiges Gebäude errichten kann, sondern auch die gesamte Inneneinrichtung entsprechend aktueller Nachhaltigkeitsstandards zur Verfügung stellen kann. In der Firma Green Living aus Berlin haben wir hier einen guten Partner gefunden, der uns von Anfang bis Ende kompetent beraten und den Bau betreut hat. Aufgrund der Corona-Pandemie konnten die eigentlichen Bauarbeiten erst im Juli 2021 beginnen. Der Rohbau stand dann schon innerhalb eines Tages, die letzten Arbeiten wurden dann Anfang September erledigt. Mitte September konnten wir dann im Beisein des Brandenburger Umweltministers Axel Vogel das Gebäude feierlich eröffnen.

Was ist denn nun „nachhaltig“ an Ihrem Tiny House?

Das Gebäude hat insgesamt nur eine Grundfläche von 24 Quadratmetern und ist damit im Vergleich zu anderen Wohngebäuden sehr klein, eben ein „Tiny House“. Das bedeutet, dass man für den Bau eines so kleinen Gebäudes per se weniger Ressourcen braucht als beim Bau eines großen Gebäudes. Gleiches gilt weitgehend für den Energiebedarf in der Nutzung. Es ist ein großer Unterschied, ob ich im Winter 24qm oder 124qm beheizen muss. 

Die Gebäudehülle besteht komplett aus Holz100. Das sind Massivholzwände der Firma Thoma aus Österreich, die ohne jedwede Chemie gefertigt werden. Aufgrund der guten Dämmwerte dieser Wände können wir zudem auf eine zusätzliche Isolierung verzichten. Geheizt wird über einen modernen Beistellherd. Die Stromversorgung des Gebäudes wird weitgehend über eine dachintegrierte Solaranlage mit einem Batteriespeicher abgesichert. 

Schon jetzt leiden wir in der Lausitz massiv unter Wassermangel. Da dieses Problem in den nächsten Jahren sicherlich noch größer wird, haben wir zudem ein strenges Wassersparkonzept im ganzen Gebäude umgesetzt. So haben wir statt einer klassischen Spültoilette eine Trockentrenntoilette verbaut. Das spart bei zwei Personen gut 40-60 Liter Trinkwasser pro Tag. In der Dusche haben wir eine spezielle Wasserspararmatur verbaut. Statt 12-15 Litern pro Minute laufen hier nur 4 Liter Trinkwasser pro Minute in den Abfluss. Sämtliches Abwasser wird zudem in einer Pflanzenkläranlage gereinigt. Das aufbereitete Wasser wird zusammen mit dem Regenwasser vom Dach in einer Zisterne aufgefangen und dann als Gießwasser im Garten genutzt.

Meinen Sie, dass wir jetzt alle in Tiny Houses ziehen sollten, um für die Zukunft gewappnet zu sein?

Nein, das ganz sicherlich nicht! Ich möchte an dieser Stelle ganz bewusst davor warnen, Tiny Houses zu „romantisieren“ und den damit verbundenen Trend mit Blick auf die Probleme der Zukunft überzubewerten! In Städten müssen beispielsweise auf wenig Raum viele Menschen leben. Da sind Gebäude mit mehreren Stockwerken deutlich raumeffizienter. Mit unserem Modellhaus wollen wir vor allem Anregungen geben, wie man vor allem im ländlichen Raum ressourcensparend aber eben auch raumeffizient bauen und wohnen kann. Denn hinter dem Tiny-House-Ansatz steckt ja im Grundsatz vor allem die Frage, wie viel Platz brauche ich eigentlich für ein gutes Leben. In den letzten Jahrzehnten ist die zur Verfügung stehende Wohnfläche pro Person kontinuierlich gestiegen. Aktuell liegen wir bei durchschnittlich 47qm pro Person in Deutschland. Viel Platz zur Verfügung zu haben, mag für den einen oder anderen ein großes Stück Lebensqualität sein. Doch in Wahrheit hat dieser Wohlstand für die heutige Gesellschaft und kommende Generationen einen hohen Preis!

Auf steigende Mietkosten bezieht sich Ihre letzte Aussage sicherlich nicht!?

Nein, auch wenn natürlich das Verknappen von Wohnraum durch einen höheren individuellen Platzbedarf auch zu steigenden Mieten führt. Mit „hohem Preis“ meine ich die vielen externen Kosten, die der Gesellschaft in Gänze und den kommenden Generationen aufgebürdet werden. Jeder, der ein Gebäude aus Beton errichtet, trägt zum Klimawandel bei, denn die Zementherstellung verursacht immense CO2-Emmissionen. Mit den hohen Temperaturen und der Trockenheit als Folgen des Klimawandels haben wir hier in der Lausitz schon jetzt zu kämpfen. Der letzte IPCC-Bericht macht mehr als deutlich, dass diese Entwicklung global gesehen das Ende unserer Zivilisation bedeuten könnte.

Was schlagen Sie also mit Blick auf Ihr Tiny House vor?

Ich glaube, weniger ist oft mehr! Das ist zumindest meine Erkenntnis, wenn es um unser Tiny House geht. Und um das ein Stück nachvollziehen zu können lade ich alle Interessent*innen ein, sich von unserem Tiny House inspirieren zu lassen und sich konkrete Anregungen für das nächste eigene Bau- bzw. Wohnprojekt zu holen. Auf der Webseite der SPREEAKADEMIE stellen wir das Hausprojekt ausführlicher vor. In vier Videoclips erfährt man hier schon viele Details über unser Tiny House. Und wer das Haus aus nächster Nähe sehen will, der kann sich Samstag, den 14. Mai vormerken. An dem Tag finden nach Voranmeldung individuelle Hausführungen statt.

Herr Zoepp, vielen Dank für das Gespräch!

Kontakt und weitere Infos: www.spreeakademie.de

Hintergrund

Tiny Houses und Baurecht

Viele glauben, dass sie ein Tiny House ganz einfach auf der grünen Wiese hinstellen und einziehen können, zumindest wenn es auf einem Anhänger aufgebaut ist. Doch hierbei ist Vorsicht geboten, denn das deutsche Baurecht sieht für Tiny Houses derzeit noch keine Sonderregelungen im Vergleich zu üblichen Wohngebäuden vor. Vielmehr gibt es für diese besondere Gebäudeform auf Bundesebene noch keine klaren baurechtlichen Vorgaben. Daher entscheiden hier oft die zuständigen Bauämter der Kommunen bzw. die Unteren Baubehörden über die Zulässigkeit solcher Bauvorhaben. Es macht daher Sinn, sich frühzeitig mit den zuständigen Mitarbeiter*innen in Verbindung zu setzen und gemeinsam die Machbarkeit des Vorhabens zu klären.

Ein kleiner Tipp der SPREEAKADEMIE: Wer ein Tiny House errichten, aber darin nicht dauerhaft wohnen will, kann eine Regelung des Bundeskleingartengesetzes nutzen. Demnach können in Kleingartenanlagen Gebäude bis 24qm Grundfläche ohne Baugenehmigung errichtet werden. Allerdings bedarf dies der Zustimmung des Kleingartenvereins! 

Peter Becker, 14.04.22

Über Peter Becker 367 Artikel
Jahrgang 1948, Diplomlehrer, Freier Journalist und Fotograf

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