Die Spreewald(-pferde-)bahn

„Spreewaldguste stellt Betrieb ein. Mit dieser Betriebseinstellung wird eine der ältesten und bei Touristen und Einheimischen beliebten Eisenbahnlinien stillgelegt.“ Lausitzer Rundschau, Montag, 5. Januar 1970

Mit dieser sehr dürftigen Nachricht endete, von der Öffentlichkeit nicht sonderlich beachtet, eine über einhundertjährige Bahngeschichte.

Wie alles begann

Werfen wir einen Blick zurück auf die Anfänge der Bahn, die im wahrsten Sinne des Wortes mit wenigen „PS“ schon sehr früh begann: Preußenkönig Friedrich Wilhelm erließ bereits 1845 (nur zehn Jahre nach der ersten Dampffahrt eines Zuges in Deutschland), die Order, zwischen Schwielochsee und Cottbus eine Eisenbahn „zunächst für den Betrieb durch Pferdekraft“ einzurichten. Der Schwielochsee galt damals als Güterumschlagstelle für Waren von und nach Berlin und dem Odereinzugsgebiet. Um eine relativ geradlinige Streckenführung nach Cottbus zu gewährleisten und um nicht möglicherweise jahrelange Auseinandersetzungen mit den Grundstückseigentümern zu führen, wurde eigens dafür eine Enteignungsgesellschaft gegründet. Sie machte bekannt: „Zwecks gütiger Einigung wird die Bahnstrecke am 10. Oktober (1844), nachmittags 2 Uhr, begangen werden. Die Besitzer werden ersucht, auf ihren Grundstücken anwesend zu sein. Wer nicht da ist, von dem wird angenommen, daß er auf gesetzlichem Wege enteignet werden will.“


Der Schwielochsee (mit der Hoffnungsbay) galt damals als Güterumschlagstelle für Waren von und nach Berlin und dem Odereinzugsgebiet. Ein heute umgebauter Speicher legt Zeugnis davon ab.

Vor der Pferdebahn wurden, manchmal mit mehrspännigen Schwerlastfuhrwerken, Waren vom Schwielochsee nach Cottbus und umgekehrt transportiert. Die Wege waren unbefestigt, mal sandig, mal schlammig – eine Tortur für Mensch und Tier. Die Fahrt dauerte einen Tag, übernachtet wurde in Goyatz. Die Abende sollen immer recht fröhlich gewesen sein, denn auch die Matrosen der Segelschiffe nächtigten dort. „Seemannsgarn trifft Kutscherlatein“ mag wohl das abendliche Motto gewesen sein.

Strecke der Pferdebahn

Der königlichen Kabinettsorder vorrausgegangen war die Gründung der Aktiengesellschaft in Cottbus (13.12.1843), deren Kapital bald ausreichte, den Beginn des Baues ein knappes Jahr später (04.11.1844) zu starten. Der Cottbuser Tuchfabrikant Albert Heinrich Liersch gilt als Initiator, als Investor und Geldsammler. Vermutlich war man sich sehr sicher, dass der König auch im Nachgang die Genehmigung erteilte, was auch so geschah. Die Strecke wurde am 24.06.1846 eröffnet. „Der Unterbau ist so eingerichtet, dass später der Umbau in eine Bahn mit Dampfbetrieb leicht bewirkt werden kann.“[2] Dies sollte sich als Irrtum erweisen, denn weder Unterbau noch Trassierung (zu enge Kurven) waren letztlich für die schnellere und schwerere Dampfbahn geeignet. Einen weiteren Irrtum konnte man noch rechtzeitig korrigieren: die anfangs verlegten Flachschienen wurden nur sechs Jahre später (1852) gegen Hochschienen ausgetauscht, eine weitere unabdingbare Voraussetzung für den Dampfbetrieb. Insgesamt wurden 44 Wagen für Güter, einige wenige davon waren für Personentransport gedacht, angeschafft. Etwa 15 Mitarbeiter sicherten den technischen Ablauf, hinzu kam einen unbekannte Zahl von Pferdelenkern/Kutschern, die sich vermutlich aus der Bauernschaft  der anliegenden Dörfer rekrutierte.

Das Startkapital betrug damals 273 000 Taler, eine Summe, die mehr als ausreichte. Wer fünf Aktien zum Preis von 10 Talern erwarb, bekam zugleich ein Stimmrecht in der Cottbus-Schwielochseer-Eisenbahngesellschaft (CSE). In den Jahren von 1847 bis 1857 wurden im Durchschnitt 3,5 Prozent Dividende an die Aktionäre ausgezahlt – die Bahn arbeitete in den Anfangsjahren wirtschaftlich erfolgreich, doch das sollte sich bald ändern. 

Aktie der CSE (Quelle: Stadtarchiv Cottbus)

Die Pferdebahn hat recht zuverlässig den Transport von Waren und Personen abgesichert. Allerdings muss dabei nicht von heutigen Möglichkeiten und Verhältnissen ausgegangen werden: Damals war es eher eine moderne Postkutsche auf Schienen, nur mit mehr Frachtraum, auch weil mehrere Wagen aneinander gekuppelt werden konnten. Schneller war sie nur bedingt , das war auch nicht maßgeblich, wichtig war die Erhöhung der Transportkapazität. Nicht ganz klar ist überliefert, wie die technische Umsetzung des Bahnbetriebs erfolgte. Es kursieren ziemlich abenteuerliche Varianten des Pferdeantriebs, allen voran die „Impulsoria“: Auf einem Wagen treten die Pferde ein nach vorn oben geneigtes Fließband unter sich weg, über ein Räderwerk wird dabei die Kraft auf die Wagenachsen übertragen. Dieses technische Gebilde soll allerdings nie im Spreewald, auch nicht in Deutschland, im Einsatz gewesen sein, obwohl es einige Bildnisse im Spreewaldraum (Goyatz) gibt, die aber wohl eher der Phantasie ebenso entsprungen sein dürften, wie die gelegentlich auffindbaren Zeichnungen und Aquarelle von lokalen Künstlern. 

Die „Impulsoria“ von 1850, hier als Entwurf des Konstrukteurs Clemens Mazerano – sie kam nie im Spreewald zum Einsatz (Quelle: Wikipedia)
Darstellung der frühen Spreewaldbahn wie es sie nie gab (Ausschnitt aus einer Zeichnung von Röder, Hafenterrassen Goyatz): Vermutlich war der Künstler von der Idee fasziniert, aber gegeben hat es diese Form des Pferdeantriebs im Spreewald nicht. Andernfalls wären mehr Dokumente überliefert worden; hier und da auffindbare „Kunstwerke“ zeigen den Pferdeantrieb jeweils unterschiedlich!

Bei der Spreewaldbahn gingen die Pferde sowohl neben den Gleisen, als auch in den Gleisen – je nach Platz und Situation. Gut vorstellbar ist das Traideln, besonders an Steigungen. Bei Lieberose waren es immerhin ein Meter Höhenunterschied auf 150 Meter Strecke. Bei Normalspurbreite war das für ein Pferd (oder auch mehrere hintereinander) auch möglich. Je nach Last und Strecke kamen Mehrgespanne zum Einsatz. Die Regel war jedoch ein Pferd für zwei Güter- und einen Personenwagen. In Fehrow wurden die Pferde gewechselt und Güter, die auf dem Hammerstrom und der Malxe per Kahn in Fehrow anlangten, auf die Güterwagen umgeladen. Über die Spree und die Malxe waren zwei größere Brücken für die Bahn gebaut worden. Noch heute kann man einen Geländeeinschnitt nördlich der Straße nach Schmogrow kurz vor dem Ortsausgang Fehrow und weiter nördlich im Waldgebiet einen aufgeschütteten Damm der ehemaligen Bahnstrecke erkennen.[4]

Glaubwürdig sind folgende Beschreibungen: „Die Züge bestanden aus einem Personen- und zwei Güterwagen und wurden von einem Pferd gezogen“.[5]„F. Mathesius, der Betreiber der CSE, unterhielt insgesamt 15 bis 20 Pferde, die während der achtstündigen Fahrt in Byhlen gewechselt wurden.“[6] Gegenüber Fuhrwerken, die vorher auf den damals schlechten Straßen unterwegs waren, konnten Pferde Schienenfahrzeuge bis zur achtfachen Last bewegen.[7] Dazu war der Gleiskörper nicht mit dem heute üblichen Schotter ausgelegt, sondern mit einem (ziemlich trittfesten) Kies-Lehmgemisch. Ob der Pferdelenker/Kutscher dabei auf einem Wagen saß, auf einem der Tiere mitritt oder daneben herlief …? Das wird wohl je nach Gelände, nach Last, Wind und Wetter -und Laune unterschiedlich gewesen sein. Bekannt und überliefert ist, dass manche Tiere bis zur Erschöpfung ziehen mussten und die Pferdewechselstation (Byhlen, in manchen Quellen wird auch Fehrow genannt) manchmal nicht erreichten. Sie legten sich hin und waren nur mit großer Mühe zum Aufstehen zu bewegen. Dabei musste oft die Hilfe von Bauern aus der Nähe in Anspruch genommen werden, die, mit wenig Tierliebe im Herzen, die erschöpften Pferde mit aller Gewalt auf zwangen. Die Helfer bekamen vom Bahnpersonal dafür einen Schnaps, den diese immer für solche und ähnliche „Notfälle“ bei sich führten – was dabei ein Notfall war, war wohl reine Definitionssache …

Nicht unerwähnt bleiben soll der Umstand, dass bei allem Fortschritt auch Existenzen darunter litten. Die Fuhrunternehmer, die vorher mit Pferde- und Ochsengespannen die Fracht vom Schwielochsee nach Cottbus brachten, waren plötzlich ohne Aufträge. Manche gingen zur Pferdebahn, manche mussten sich umorientieren.

Nach fast 34 Jahren, am 1. April 1879, fuhr dann die letzte Pferdebahn. Der technische Fortschritt hielt in Form von Dampflokomotiven überall in Deutschland Einzug. Die Inbetriebnahme der Berlin-Görlitzer Eisenbahn 1866, mit den Bahnhöfen Lübben und Cottbus, ersetzte in weiten Teilen die Pferdebahn. Waren und Personen gelangten in wenigen Stunden von Berlin nach Cottbus und umgekehrt, vermutlich auch preiswerter. Dennoch hielten die Lokalpolitiker und die lokale Wirtschaft an den alten Plänen einer Bahnverbindung -nun mit Dampfbetrieb- fest. Die Bahn sollte den Anschluss an die Normalspur zwischen Lübben und Cottbus herstellen, aber den Spreewald östlich umfahren. Anders als gedacht und geplant, war das verlegte Normalspurbett mit der Kiesfüllung doch nicht für eine einfache Umstellung geeignet. Man konnte nicht einfach das Pferd gegen die Dampflok austauschen – die Umstellung der gesamten Bahnanlagen, immerhin inzwischen über 80 Kilometer, hätte nicht finanziert werden können. Daher lag der Bahnverkehr erst mal über 20 Jahre still, bevor am 29. Mai 1898 gegen zahlreiche Widerstände die erste Kleinbahn-Dampfzug in Lübben starten konnte – die Geburtsstunde der „Spreewaldbahn“, die 72 Jahre lang ihre Zuverlässigkeit zeigen sollte. Dann war auch deren Aus aus wirtschaftlichen Gründen gekommen: am 3. Januar 1970 fuhr die letzte Bahn.

Fundstellen:

Richard Hilpert: Über die Pferdebahn, Stadtarchiv Cottbus

Freiberg: Cottbusser Heimatkalender 1957

Großstück: Die Cottbus-Schwielochsee Eisenbahn AG (CSE), in Cottbuser Blätter, Jg. 2010


[1] Erlass Friedrich Wilhelm, 2. Mai 1845, Potsdam

[2] Julius Michaelis: Deutschlands Eisenbahnen: ein Handbuch für Geschäftsleute, Privatpersonen …, Amelangs Verlag, Leipzig 1859 (S. 111 ff)

[3] https://en.wikipedia.org/wiki/Impulsoria

[4] Stog 2005: Siegrid Buder; Die Pferdebahn von Cottbus zum Schwielochsee 1846 bis 1879

[5] Freiberg: Cottbusser Heimatkalender 1957

[6] Erich Preuß: Die Spreewaldbahn, transpress-Verlag, Stuttgart, 2017

[7] Rolf Radochla: Zwischen Cottbus und Schwielochsee über Fehrow auf der Schienenkutsche, Stog

Über Peter Becker 366 Artikel
Jahrgang 1948, Diplomlehrer, Freier Journalist und Fotograf

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