Den Spreewald im Herzen – Marga Morgenstern
„Marga‘chen, es ist nicht die pauer’sche, es ist die wendische Tracht!“ Dieser Satz ihrer wendischen Großmutter hat sich zeitlebens in ihr Gedächtnis gegraben, damals noch gar nicht wissend, was er bedeutet. Marga Morgenstern wuchs in Straupitz auf. In der finstersten Zeit Deutschlands erlebte sie den Druck und den Widerstand der Nationalsozialisten gegen alles Wendische, aber auch den gelebten alltäglichen Humanismus ihrer Eltern, dem wendischen Vater und der deutschen Mutter mit Hugenottenwurzeln. Ein kriegsgefangener Franzose, Marschan, zur Arbeit in der elterlichen Stellmacherei verpflichtetet, aß grundsätzlich am Familientisch mit. Dies brachte ihnen oft Ärger der Nazi-Oberen ein, die aber stets zu hören bekamen, dass der „wendische Tisch immer und für jedermann“ gedeckt sei. Das Wendische war in der Familie Konzack allgegenwärtig, die kleine Marga ahnte wohl schon das Mystische, das Ursprüngliche, welches sie ihr ganzes späteres Leben begleiten sollte. Besonders stolz war sie, wenn sie ihrer Großmutter beim Ankleiden der Sonntagstracht zusehen durfte. Dies wurde von ihr fast zelebriert, alles musste korrekt sitzen und durfte keinesfalls verrutschen. Wie eine kleine Königin fühlte sich Marga, wenn sie Großmutters Haube während des Ankleidens aufsetzen durfte.
In den Nachkriegsjahren waren andere Dinge in den Vordergrund gerückt, der Kampf ums tägliche Brot drängte Brauchtum und Kultur vorübergehend in den Hintergrund. Als Marga 1955 heiratete, trug sie keine Tracht, sie heiratete „bürger’sch“, obwohl noch viele ältere Familienmitglieder die wendische Tracht aus den Truhen holten und zur Feier des Tages nach langer Zeit wieder trugen. Sie arbeitete bei einem bäuerlichen Handelsbetrieb in Straupitz und Lübben, später beim Rat für Land- und Nahrungsgüterwirtschaft und beim Amt für örtliche Versorgungswirtschaft. 1963 und 1966 wurden ihre Töchter geboren – es war das normale Leben in einer, wie es schien, ganz normalen Zeit. Mit der politischen Wende und dem Vorruhestand konnte sie sich wieder verstärkt auf ihre Wurzeln besinnen, auch angestoßen von der eigenen Familie: “Nun lebe doch endlich deinen Traum vom Spreewald!“
„Und so begann mein neues Leben, ich konnte endlich das tun, wofür ich immer brannte: Den Spreewald in seiner Einmaligkeit den Menschen näherbringen!“ Marga Morgenstern, nun in Lübben wohnend, übernahm Stadtführungen, Wanderungen in den Spreewald und schrieb schon 1992 ihr erstes Buch, dem noch weitere folgen sollten. „Mit Büchern wird man nicht reich. Ich möchte manches so gern meine Großmutter fragen, kann es aber nicht, weil sie nicht mehr lebt und nichts aufgeschrieben hat. Meine Kinder und Enkel sollen wenigstens mal nachlesen können, wie das Leben früher so war, denn das Heute wird ja mal das Früher.“
Als überzeugte Trachtenträgerin fällt sie im Stadtbild auf, sie ist häufig in der Ausgehtracht unterwegs, wenn auch inzwischen des Alters wegen seltener. Sie wird immer noch zu Präsentationen, Eröffnungen und vielen weiteren wichtigen Veranstaltungen eingeladen, zu denen sie selbstverständlich die Tracht trägt. „Die Leute spüren mit dem Herzen, dass sie eine echte, eine originale Spreewälderin vor sich haben und keine, die sich in ihrer Verkleidung nicht wohlfühlt, die ständig von falsch sitzenden Nadeln gepikt wird.“
„Älter werden ist wie Bergsteigen: Desto steiler der Weg nach oben, desto schwerer wird es, aber immer besser der Überblick.“ Marga Morgenstern denkt oft über das Leben im Spreewald nach, sie sieht es „im milden Licht der späten Jahre“: „Es ist nicht so wichtig, ob man Wende oder Deutscher ist, es ist auch nicht wichtig, ob man hier geboren ist oder nicht. Wichtig ist aber, dass man mit dem Herzen dabei ist und seine Sache, den Spreewald und das Spreewäld‘sche überzeugend vertritt. Wenn man dabei möglichst viele Menschen und ihre Seelen erreicht, dann ist man vielleicht ein Original-Spreewälder, vielleicht sogar ein origineller, wenn man zusätzlich noch über einen gewissen Unterhaltungswert verfügt.“ Dieses Credo lebt sie tagtäglich vor, vielleicht wirkt sie auf die Touristen sogar exotisch, die sich verwundert nach ihr umdrehen. Aber irgendwie halten sie ein und fragen nach: Was sind das eigentlich für Menschen hier im Spreewald, wo kommen sie her? Und so leistet Marga Morgenstern ihren manchmal auch ganz stillen Beitrag zum Verständnis der Lebensumstände im Spreewald: „Es ist gut, wenn hier und da die sorbische/wendische Sprache wieder gelehrt und die Kultur gepflegt wird, ich finde es auch wichtig, diese eigentümliche spreewälder Mundart zu pflegen, die so direkt ist und von allen verstanden wird“, ergänzt sie noch und gibt ein Beispiel: „Ich treeme von Friedn und Zärtlichkeit, treemen is Sunntag des Denkens bei diese Zeit. Ich winsche eich Glick, keen Hass und keen Streit, nee, imma bloß Zufriedenheit – eure alte Spreewald’sche.“
Kinderglück Hefeplinse – Marga Morgenstern erinnert sich:
„Was schmeckt dem Spreewälder zur Sonntagsruh? Kaffee und Plinse dazu!“ Das dichtete einst der Heimatdichter Otto Lucas aus den Byhleguhrer Kaupen. Genauso war das auch bei uns zu Hause. Wenn Großmutter nach dem Mittagessen ihre Kirchgangstracht ablegte, sich eine Sonntagsbluse anzog und die große blaue Schürze über den schwarzen Rock band wurde der Sonntag erst so richtig gemütlich. So stand sie dann, natürlich ohne Haube, nur ein Samtband im grauen Haar. Das Haar war sowieso immer straff gescheitelt, in Zöpfe geflochten und zu einem Knoten im Nacken aufgesteckt. Die feinen schwarzen Lederpantoffeln glänzten sonntags besonders.
Dann holte sie, mitunter erst auf unsere Bitten, ein kleines Wassereimerchen hervor und es wurde Plinsteig aus Milch, Mehl, Eier und Hefe eingerührt. Der Herd wurde angeheizt, die eisernen Ringe aufgelegt, damit sie das Ofenloch völlig zudeckten – und es wurde der Plinsstein geholt.
War der Teig ausreichend gegangen, wurde der „Plinsstein“, eine ganz flache gusseiserne Pfanne, auf den Herd gesetzt. Mit einer dicken Schwarte vom Speck wurde er eingefettet. War er heiß genug, ging das Backen los. Plins für Plins wurde dann auf dem warmen Teller, der ebenfalls auf dem großen Herd Platz gefunden hatte, abgelegt. Aufgeregt verfolgten wir Kinder das Geschehen und konnten das große Schmausen kaum erwarten. Mutter spendierte saure Sahne und hatte Butter zerlassen. Der Zucker stand auch schon bereit. Dann wurden die Plinse mit einem Pinsel mit Butter oder Sahne bestrichen und mit Zucker bestreut. Fein zusammengerollt lagen sie dann auf dem Teller. Es wurde Kaffee gekocht – manchmal sogar Bohnenkaffee für die Erwachsenen, den Großmutter und Mutter vorher im Kaffeebrenner sorgfältig rösteten. Unsere Spielgefährten aus der Nachbarschaft durften wir manchmal dazu einladen. Darunter die Kinder vom Bäckermeister, der eigentlich selbst genug feinen Kuchen buk. Aber bei uns gab es frische Plinse – dafür ließen sie zu Hause den Kuchen stehen.
Großmutters Hefeplinse
1 Liter Milch | und |
30 g Hefe | verquirlen. |
1 Prise Salz | |
40 g Zucker | und |
4 Eier | hinzufügen. |
500 g Mehl | löffelweise darunter geben. |
Den Teig 1 Stunde gehen lassen und in einer mit | |
Speckschwarte (oder Öl) | eingefetteten möglichst flachen Pfanne die Plinse goldgelb backen. |
Plinse mit zerlassener | |
Butter (oder saurer Sahne) und mit Zucker | bestreuen, zusammenrollen und auf vorgewärmte Teller geben. |
Peter Becker, überarbeitet Jan. 2021
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