„Guten Tag, mein Name ist Momper, wo treffe ich Herrn Reiter?“ Die so an der Haustür Angesprochene war die Ehefrau, ihr Gatte Robert Reiter wartete im Garten auf den angekündigten, aber verspäteten Gast. In Zeiten ohne Mobilfunk war es eben nicht ganz einfach, zueinander zu finden. Das ging dem Regierenden Berliner Oberbürgermeister nicht anders, zumal er ganz privat und in Familie einen Spreewaldausflug plante. Robert Reiter war ihm von der Tourist-Information empfohlen worden.
Der im Spreewald Geborene wuchs praktisch im Kahn auf, er kennt jede Ecke und jede Geschichte, er kennt wendische Begrifflichkeiten und Traditionen. Besonders prägend für den 1945 Zwölfjährigen: Die Flucht der Familie mit etwas Hausrat auf dem Kahn im April in den Spreewald nach Leipe und später zur Pohlenzschenke. Er unterstütze die Mutter beim Staken, nur schnell weg von der auf Lübbenau zurollenden Front! Ein Wissen, welches er, gepaart mit zahlreichen anderen Erlebnissen, später an seine Kahnfahr-Gäste weitergab. Walter Momper war nur einer von den vielen Prominenten, die inkognito den Spreewald privat und regelmäßig bereisten.
Robert Reiter hat inzwischen das Rudel in die Ecke gestellt. Dabei ist der fast 87-Jährige durchaus noch ganz gut unterwegs, aber das lange Stehen im Kahn geht nun doch nicht mehr. Auf seinem Schreibtisch in der Ehm-Welk-Straße liegen viele Bücher: Chroniken mit Zeitungsausschnitten – und Lehrbücher der wendischen Sprache! Er hält sich geistig fit und besucht die von der Lübbenauerin Ute Henschel angebotenen Sprachkurse.
Das Wendische fällt ihm gar nicht so sehr schwer, denn er wuchs mit wendischen Begriffen, die vor allen Dingen seine Mutter, eine geborene Konzack(!), gebrauchte, auf. „Komisch, damals bekam man das einfach so nebenbei mit, heute muss ich mir die neuen Wörter immer wieder einprägen – um sie dann wieder und wieder erneut aufrufen zu müssen!“
Robert Reiter wurde 1933 im gleichen Haus geboren, in dem er mit seiner Margarethe heute noch lebt. Erst kürzlich feierten beide die Goldene Hochzeit. Sein Vater war ein anerkannter Tierarzt. „Die Liebe zu den Tieren war auch bei mir vorhanden, aber es zog mich mehr zu den Pflanzen hin“, blickt Robert Reiter auf Kindheit und Schulzeit zurück. Eine Lehre in der örtlichen Gärtnerei Vater war die logische Konsequenz. „Vaters haben mich wie ein Familienmitglied behandelt, es war eine schöne Lehrzeit“, erzählt er rückblickend über seinen Berufseinstieg. Nach zwei folgenden Jahren in einer Senftenberger Gärtnerei, ging es zum Gartenbaustudium nach Pillnitz. Das Aufnahmegespräch hätte er beinahe verhauen: „Ich stritt mich mit dem Dozenten darüber, dass die Meerrettichableger Schwiegatze heißen und nicht Fechser, wie er meinte. Glücklicherweise ließ sich das auflösen. Im Spreewald kennt man eben nur Schwiegatze!“
Nach dem Studium ging es über verschiedene Stationen letztlich zum Rat des Kreises Cottbus, hier war er für den Gartenbau zuständig. Langsam wurde es dem Vater zweier Söhne doch etwas zu aufwendig, viel Zeit in der Bahn versitzen zu müssen, das Pendeln zwischen Lübbenau und Cottbus sollte ein Ende haben. Beim OGS (Obst – Gemüse- Speisekartoffeln) arbeitete er bald in verantwortlichen Funktionen, wie im Konservenlager Ragow oder als OGS-Betriebsleiter in Lübbenauer Güterbahnhofstraße. Wendebedingt kam das vorzeitige Aus – für den Betrieb und für ihn, mit 59 Jahren! Aber es warteten neue Aufgaben auf ihn: Die Lübbenauer Schützengilde, 1991 wiederergründet, suchte einen Schriftführer. Robert sagte dem Schützenverein ebenso zu, wie dem neu gegründeten Heimatverein Rubisco. Sein Wissen über Heimatlich-Traditionelles kam ihm in beiden Vereinen zu Gute. Für die Schützengilde führt er heute noch die Chronik, akribisch wird ausgeschnitten und gesammelt, was in Erfahrung zu bringen ist. Für den Rubisco-Verein geht er schon mal in Frack und Zylinder durchs Freilandmuseum, wenn wieder mal „feine Berliner“ für diverse Traditionsveranstaltungen gebraucht werden. Aber er macht nicht nur die edlen Sachen, sondern zeigt sich auf Volksfesten als Schafwolleverarbeiter oder in anderen traditionellen Tätigkeiten. Robert Reiter ist sich für nichts zu schade, alles ist ihm gleich wichtig. Rubisco-Vereinsvorsitzende Andrea Pursche: „Er ist ein treuer und verlässlicher Mensch mit sehr viel Empathie, der seine Mitmenschen ernst und wichtig nimmt. Die Geschichte seiner Stadt und des Spreewalds, das Brauchtum – das alles zu erhalten und zu bewahren, ist ihm eine Herzensangelegenheit.“
Auf seine Lieblingsbeschäftigung, das Kahnfahren, muss er zwar aktiv verzichten, aber zumindest einer der Söhne, beide ebenfalls dem Spreewald erhalten geblieben, hat immer mal Zeit für einen Sonntags-Nachmittags-Kaffeeausflug mit dem Kahn. Dann werden Geschichten von früher erzählt, etwas, was die Söhne dankbar aufnehmen. Die VIP-Gäste sind dabei nur Randnotizen, aber oft sehr amüsante.
Peter Becker, 25.10.2019