Osterreiten und andere Osterbräuche

Das 23. Zerkwitzer Osterreiten wird in die Geschichte eingehen – weil es gar nicht stattgefunden hat. Die allgemeine Lage lässt eine Ausrichtung nicht zu. Der evangelische Zerkwitzer Kirchenrat, dem auch Marlies Sergel angehört, orientiert sich damit an den aktuellen Vorgaben zu Großveranstaltungen. Marlies Sergel kümmert sich von Beginn an, seit 1998, gemeinsam mit ihrem Ehemann Jürgen Sergel, als ausrichtender Reiterhof um das Wohl von Mensch und Pferd. Der Hof befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft zur Zerkwitzer Kirche. Zerkwitz ist ein Lübbenauer Ortsteil. Kirchenratsmitglied Juliane Burisch hält die organisatorischen Fäden in der Hand. Juliane Burisch: „Wir sind zwar an der frischen Luft und mit großem Abstand unterwegs, aber wir müssen auch mal Pause machen und uns und die Tiere versorgen. Da die Veranstaltung seit jeher zahlreiche Besucher anzieht, wäre das Risiko für alle zu groß geworden.“ Fast 30 Reiterinnen und Reiter hatten sich inzwischen angemeldet.

Das Osterreiten ist eine uralte, heidnische Tradition mit wendischen Wurzeln. Erst viel später wurde es von der katholischen Kirche aufgenommen und damit „christianisert“. Seinen Ursprung hat es in dem Wunsch, durch Umrunden der Felder für eine gute Ernte zu sorgen – ein nur zu verständlicher Wunsch in Zeiten der ausschließlichen Selbstversorgung. Diese Umrundung wurde stets in der Osterzeit vorgenommen, einer Zeit, in der der oft lange und kalte Winter dem Frühling und damit dem neuen Wachstum dann endlich gewichen ist.

Ostern ist somit das traditionell wichtigste Fest der Sorben/Wenden, viele symbolhafte Handlungen sind mit Wachstum und reichem Erntewunsch verbunden. Die mitunter prachtvoll gefärbten Ostereier sind nur ein Beispiel. Das Ei steht am Anfang des Lebens, es symbolisiert den Neubeginn ihm kommt eine spirituelle Bedeutung zu. In der sorbischen Oberlausitz wurden regelrechte Kunstwerke durch Kratz- und Ätztechnik geschaffen, in der Niederlausitz dagegen wurden einfache Färbungen mit Rote Beete-Saft, Zwiebelschalen oder Roggengrün bevorzugt. Die Oberlausitzer Art der Eierverzierung hielt erst in den letzten Jahrzehnten Einzug in der Niederlausitz.

Das Osterwasser ist eine weitere rituelle Handlung: Um Mitternacht wurde von den Mädchen und Frauen Wasser geschöpft, dem man eine Heilwirkung zusprach. Oft wurden damit Tiere, Felder und auch Menschen bespritzt, verbunden mit dem Wunsch für eine stabile Gesundheit.

Das „Osterreiten der Neuzeit“ wurde 1998 vom damaligen Zerkwitzer Pfarrer Michael Oelmann und dem Landwirt Jürgen Sergel ins Leben gerufen. In Anlehnung an den einst heidnischen Brauch, mit inzwischen neuzeitlicher katholischer Prägung in der Oberlausitz, wurde das Osterreiten in der Niederlausitz ins Leben gerufen. Pfarrer Oelmann konzipierte das neue Osterreiten als ein evangelisches Fest des Zusammenkommens, des Innehaltens und des Neuaufbruchs – ganz im lutherischen Sinne. Neben dem Gottesdienst und der rituellen Umrundung der Kirche erfolgt nach dem Segen des Pfarrers mit den Worten: „So reitet hin, ihr Osterreiter, seid so frei, die Auferstehung zu verkünden!“ der Ausritt in Feld und Flur des Kirchspiels.

Neben dem imposanten Ausritt der Reiterinnen und Reiter in die Dörfer, sind es die vielen kleinen ehrenamtlichen Helfer, die dem jährlichen Zerkwitzer Osterhöhepunkt mit stetig steigenden Zuschauerzahlen einen Erfolg bescheren. Dabei gab es immer mal Schwierigkeiten zu überwinden: „In letzter Zeit war die Beschaffung des Buchsbaums für die Hoffnungssträußchen außerordentlich schwierig, denn es gibt ihn wegen des Schädlingsbefalls kaum noch in den Gärten, aber die Zerkwitzer Frauen haben es immer wieder geschafft, viele Sträußchen zu binden, die unterwegs verteilt werden“, weiß Juliane Burisch, eine ehemalige Lübbenauerin, zu berichten. Sie arbeitet in einer Berliner Rechtsanwaltskanzlei und ist ihrer Heimat durch den Reitsport und dem Osterreiten immer noch eng verbunden.

Die Ragower Frauen unterstützen das Osterreiten mit der Aufstellung des Hoffnungsbogens. Das Gestell, immerhin ziemlich groß und sperrig, wird das ganze Jahr über bei Herbert Herbig aufbewahrt und in der Ostervorzeit mit Tannenzweigen von den Frauen umwunden. Die Frauen tragen am Ostersonntag den geschmückten Bogen zum Ragower Dorfplatz und halten ihn beim Durchreiten der Reiter. Hier bekommt ein Mädchen von einem der Reiter einen Hoffnungskrug überreicht. Dieser ist leer, er soll erst noch mit guten Taten und Wünschen gefüllt werden.

Peter Becker, 18.03.2020

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Jahrgang 1948, Diplomlehrer, Freier Journalist und Fotograf