Der, der nur ganz schwer Nein sagen kann

Den Winter 1945 vergisst Dieter Weißhahn nie: Eiseskälte, Berlin, Ostbahnhof, verzweifelte Menschen, Bomben, Hunger und viele Nächte kein Obdach … es ist zu viel für den Fünfjährigen, der aus seiner wohlbehüteten Kindheit in Pommern gerissen wurde. Die Mutter ist orientierungslos mit zwei Kindern inmitten anderer mit gleichem Schicksal – der Junge versteht die Welt nicht mehr! Erst nach Wochen in verschiedenen Lagern stabilisiert sich das Leben der Flüchtlingsfamilie etwas. In Wittstock/Dosse wächst Dieter auf und besucht die Schule. Doch das Schicksal hatte sich ihn ausgewählt, er sollte ein zweites Mal hart geprüft werden, zwanzig Jahre später sollte es ihn sogar noch ein drittes Mal treffen. Beim zweiten Mal rang ihn 1950 die Kinderlähmung nieder, ein verkürztes Bein verblieb ihm, bis heute. Dann begann eine etwas ruhigere Zeit, eine Lehre als Landmaschinen- und Traktorenschlosser folgte und eine abwechslungsreiche Arbeit als Binnenschiffer. Die Fahrten auf der Elbe bis Hamburg sind dem Schiffsheizer noch in guter Erinnerung. Damals wurden die Schiffe noch mit Dampfmaschinen angetrieben. Feuer, Wasser und Kohle waren die Elemente, die ihn später auch in den Kraftwerken Lübbenau/Vetschau begleiteten. Er befand sich mitten in der Qualifizierung zum Meister für Maschinentechnik, als 1970 das Schicksal ein drittes Mal anklopfte: Es kam zu einem unkontrollierten Ascheabgang, der ihm Verbrennungen  zweiten und dritten Grades einbrachte, immer noch leidet er unter den Folgen.

Doch Dieter Weißhahn ist nicht der Typ, der sich seinen Krankheiten und Verletzungen ergibt. Er kämpft dagegen an und füllt sein Leben mit Taten auf. Als der inzwischen zum Obermeister Qualifizierte 1995, kurz vor der Kraftwerkschließung, in den vorgezogenen Ruhestand ging, suchte er neue Herausforderungen. Mit seiner Familie war er 1986 in Raddusch sesshaft geworden, hatte sich ein Haus gebaut – und musste miterleben, wie es nach und nach im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Lot geriet: Die Grundwasserabsenkungen im Nahen Tagebau Seese-Ost führten auch zur Geländeabsenkung. Erst nach der Wende wurde das Haus als Bergbaufolgeschaden anerkannt und aufwändig saniert. Es war inzwischen 48 Zentimeter aus der Lotrechten geraten.

Dieter Weißhahn wurde Kreistagsabgeordneter, dann Radduscher Bürgermeister. Von 1998 bis 2006 engagierte er sich für seine Gemeinde, dann folgte eine mehrjährige Tätigkeit als Sozialausschussvorsitzender bei der Stadtverordnetenversammlung. In seine Bürgermeisterzeit fielen wichtige Entscheidungen und Ereignisse, wie die Hafeneinweihung 1999, der Bau der Slawenburg, wo er gemeinsam mit dem damaligen Vetschauer Bürgermeister Axel Müller den letzten Nagel einschlug. Die Vorbereitungen für die sportliche Nutzung der heutigen Sport- und Kulturscheune nahmen viel Zeit in Anspruch, wie auch die jährliche Durchführung des Dorf- und Reiterfestes. Das 20. war dann 2000 zugleich auch das letzte. Zu schwierig, zu aufwändig, gestalteten sich inzwischen Vorbereitung und Durchführung. Die 700-Jahrfeierlichkeiten gingen 1994 ein wenig im Nachwendetrubel unter, dennoch kümmerte er sich mit dem Radduscher Bernd Voigt um die Zulassung eines Radduscher Wappens und einer Ortsfahne anlässlich des Jubiläums. Dieter Weißhahn heute: „Allein hätte ich das und die anderen tausend kleinen und großen Aufgaben nie bewältigen können! Ich hatte immer ein rühriges Team um mich, Leute, auf die ich mich stets verlassen konnte!“ Im Dorf wird seine Arbeit immer noch sehr wertgeschätzt. Obwohl kurz vor der Achtzig stehend, tuckert er mal mit seinem Porsche oder mal mit dem UTB, den beiden Oldtimertraktoren, durchs Dorf. Aber nicht nur so zum Spaß: Er hat oft den Wassertank angehangen und bewässert die Rhododendronpflanzungen am Trafohaus. „8000 Liter waren es in diesem Jahr; das Wasser habe ich im Fließ geholt, den Diesel zahle ich aus meiner Tasche. Ich kann es einfach nicht sehen, wenn Pflanzen eingehen, nur weil sich niemand drum kümmert oder es ‚denen da oben‘ zugeschoben wird“, sagt er, der mit seiner Technik auch im Slawenburgumfeld häufig anzutreffen war.

Der Hang zur Alt-Landtechnik ist seiner Ausbildung geschuldet, acht Traktoren baute er auf und besuchte und besucht immer noch mit den beiden verbliebenen die Oldtimerschauen. Vor Ostern karrt er Strauchwerk zum Osterfeuerplatz und unterstützt die Feuerwehr bei der Annahme und Bewachung. Seit 2000 ist er dort Ehrenmitglied, er schätzt aus seiner Bürgermeistersicht immer noch die gute Zusammenarbeit zwischen Feuerwehr und Gemeindevorstand fürs Gemeindewohl.

Wenn ihn etwas wurmt, dann ist es der Umstand, dass er nicht alles erreichen konnte, weil politische Ränkespiele oder fehlendes Geld es einfach nicht möglich werden ließen. Eines dieser Beispiele, denen er sich seit 2006 widmet, wofür erst 8 000 EUR eingestellt und dann wieder gestrichen wurden, ist die Rekonstruktion einer Urkunde für Radduscher Musketiere. „Darüber ist fast nichts bekannt, aber mit der Rekonstruktion ließe sich ein Aspekt der Radduscher Geschichte etwas aufhellen. Diese Aufgabe werde ich nicht so leicht aufgeben…!“

Nach den frühen Schicksalsschlägen ist nun Ruhe in sein spätes Leben eingekehrt, die Gesundheit geht so und lässt ihn immer noch werkeln, und immer noch zuerst für die anderen einstehen. Monika, seine Frau und die beiden längst erwachsenen Söhne müssen ihn förmlich in den Urlaub schupsen. Der führt ihn oft an die Müritz, seiner Heimat der späten Kinder- und Jugendzeit. So viel Zugeständnis ringt er seiner Familie dann doch ab.

Peter Becker, 18.09.19

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Jahrgang 1948, Diplomlehrer, Freier Journalist und Fotograf