„Wer blaudrucken kann, kann auch hexen!“

Blaudruckerin

Blaudruck ist Weltkulturerbe – Cottbuser Werkstatt startete damit vor 35 Jahren

„Was gut grünt, tut auch gut blauen!“ Diesen alten Färberspruch hatte Evelin Rühtz-Müller immer dann parat, wenn der erstaunte Gast statt dem zu erwartenden blauen Stoff einen gelb-grünen sah, der da aus dem Färbebad kam. Kurz an der Luft, geht der Stoff bald wieder ins Färbebad, um dann nach vier- bis sechsmaliger Färbezug am Ende tatsächlich blau zu sein. Doch inzwischen ist es still geworden in der Cottbuser Werkstatt, der Blaudruck ist Geschichte!

Evelin Rühtz-Müller am Färbezug

In ihrer Werkstatt färbten jahrelang Blaudruckmeisterin Evelin Rühtz-Müller und Ehemann Bernd Müller in reiner Handarbeit meterweise Stoffe nach traditionellem Verfahren. So entstanden Tischtücher in den verschiedensten Mustern und Formen, Servietten, Brot- und Zwiebelbeutel, Gardinen und natürlich die Blaudruckschürzen der Spreewälderinnen. Das Färben selbst geschieht üblicherweise mit Indigo[1]. Unter den vielen hundert Druckstöcken, den Modeln, wie sie in der Blaudruckersprache heißen, wurde das passende Muster ausgewählt. Das Model besteht aus tausenden kleinen Messingstiften und –blechen, die in Birnenholz entsprechend dem gewünschten Muster eingeschlagen wurden. Diese Arbeit zeigte Bernd Müller auf Handwerkermärkten der Region, wo er mit Engelsgeduld Stiftchen auf Stiftchen ins Holz trieb, beobachtet von den Besuchern und begleitend von deren unendlich vielen Fragen. Leider gibt es auch diese öffentlichen Vorführungen nicht mehr, denn Bernd Müller verstarb vor einigen Jahren.

Beim Setzen des Models

Die Cottbusser Blaudruckerei war die einzige in der Region; in ganz Deutschland gab und gibt es nur sehr wenige. „Unsere Muster sind von besonderer Feinheit und Detailtreue, ich erkenne sie immer wieder“, so die Meisterin. Großvater Max Rühtz hatte einst mitten in Cottbus eine Blaudruckwerkstatt. Unterschwellig spürte die heranwachsende Evelin ebenfalls den Wunsch nach kreativem Entwickeln und Gestalten. Unter nicht gerade leichten (DDR-)Bedingungen, gelang es ihr eine Blaudruckerei aufzubauen. Die behördliche Erlaubnis war dafür nicht ganz so einfach zu bekommen. Am 16. Juli 1984 hatte sie den begehrten Schein in der Hand und bald danach auch den Meisterbrief als Blaudruckerin, exakt vor 35 Jahren!

Bernd Müller

Inzwischen sind ballenweise Stoffe verarbeitet worden und nicht nur im Jahr 1991 eröffneten Laden in der Cottbuser Burgstraße über den Tisch gegangen. In der Lübbenauer Dammstraße existierte ebenfalls eine Filiale. „Viele Leute kauften Blaudruck als Mitbringsel für ihre Auslandsreisen, als etwas Typisches aus der Lausitz. Unsere Waren gingen schon nach Japan, Frankreich, Mexiko und in die USA, aber hauptsächlich produzierten wir natürlich für den heimischen Markt“, erzählt Evelin Rühtz-Müller. Zum Kundenkreis gehörten die Liebhaber echten Blaudrucks, wie Trachtenhersteller, Modedesigner, Tanz und Trachtengruppen sowie Hotels.

Die Zutaten – die Mischung bleibt geheim

Für Evelin Rühtz-Müller haben die wendischen Blaudruckmuster immer noch etwas Besonderes, die Vielfalt der Motive lässt erstaunen. Wenn die Meisterin ihr Model ausgewählt hatte, ging es die Herstellung einer Druckmasse, eines Breies aus Ton und Gummiarabicum[2] und weiteren Zusätzen. Aber dabei durfte kein Fremder zusehen, denn das Mischen erfolgte nach einem streng gehüteten Geheimrezept – wie es wohl alle Blaudrucker einst hatten. Evelin Rühtz-Müller: „Durch Probieren hatte ich herausgefunden, welche Mischung sich am besten aufbringen ließ und welche letztlich ein ganz sauberes weißes Muster, auch nach mehrmaligem Färben, ergab.“ Ganz vorsichtig wurde das Model in den Papp gesetzt und dann noch viel vorsichtiger auf dem Stoff aufgedrückt. Bei den oft meterlangen Bahnen darf dabei kein grober Fehler passieren, eine Nachkorrigieren ist nicht möglich – verdruckt ist verdruckt. Kaum zu glauben, dass aus dem weißen Stoff mit dem gräulich-bräunlichen Muster ein tiefblauer Stoff mit strahlend weißem Muster entstehen soll. „Wer blaudrucken kann, kann auch hexen!“ Diesen Spruch aus dem Mittelalter bekommt man als Erklärung für diese seltsame Wandlung des Materials von der Meisterin immer noch zu hören. Irgendwie schon vorstellbar, dass damals den Blaudruckern mit viel Ehrfurcht begegnet wurde.

Inzwischen ist die Werkstatt verwaist. Evelin Rühtz-Müller ist Ruheständlerin, Tochter und Enkeltochter gehen ihre eigenen Wege. Wenn die Wehmut kommt, geht die Blaudruck-Meisterin in die Werkstatt hinter ihrem Haus in der Cottbuser Franz-Schubert-Straße, sortiert die Model nach Muster und sortiert die Stoffproben. Zurzeit arbeitet sie an einem Musterbuch, einige hundert Muster sind zu katalogisieren. Evelin Rühtz-Müller ist sehr erfreut darüber, dass diese uralte Handwerkskunst nun zum Immateriellen Weltkulturerbe erhoben wurde – etwas, was ihren Überlegungen und Plänen neuen Aufschwung verleiht. „Ein Blaudruckmuseum oder ähnliches könnte es vielleicht werden“, denkt sie laut über die Zukunft der einstigen Werkstatt nach, die jahrzentlang das Familienleben bestimmte.

Peter Becker, 17.05.19


[1] Indigo: früher aus Färberwaid oder der Indigopflanze gewonnen, heute auch oft synthetisch hergestellt

[2] Gummi arabicum: Harz der Akazie

Über Peter Becker 361 Artikel
Jahrgang 1948, Diplomlehrer, Freier Journalist und Fotograf

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.