Spreewälder Höflichkeit ist eine Zier – doch kommt man wirklich weiter ohne ihr?

Spreewaldhof Leipe

Falls der vom Paddeln müde gewordene Spreewaldtourist mal eine Pause einlegen will, gestaltet sich das für ihn nicht ganz einfach. In der weiten Natur wird es nicht gern gesehen, aber meist toleriert, wenn er an Land geht. In den Dörfern ist das etwas anders: „Anlegen verboten“, steht an vielen privaten Grundstücken. „Bitte rausziehen“ dagegen an den offiziellen Stellen, meist den Gaststätten, denn dort ist man aus nachvollziehbaren Gründen etwas höflicher. Was der Paddler aber nicht soll, steht schon auf dem nächsten Schild: „Das Verzehren von mitgebrachten Speisen und Getränken ist verboten!“ oder „Picknicken nicht gestattet!“. Vom Toilettengang ganz zu schweigen. Bleibt nur bei schmaler Geldbörse das Weiterpaddeln. Also die mitgebrachte Stulle beim Paddeln verdrücken; auch das andere.

Spreewaldhof Leipe

Dass es auch höflicher geht, beispielsweise mit Humor, zeigt der Leiper Spreewaldhof: „Danke, dass Sie Ihre mitgebrachten Speisen und Getränke in Ihren Booten lassen!“ Oder an der Kino Klause in Lübben: „Bitte seien Sie nett zu unseren Kellnern, denn diese sind schwerer zu bekommen, als Gäste!“ Die Kellner tragen T-Shirts, auf deren Rückseite steht: „Wenn Sie das lesen, befinde ich mich grad im Gespräch mit einem Gast.“ – ausgesuchte Spreewälder Höflichkeit!

Damit kein falsches Bild entsteht: Die übergroße Mehrheit der Touristen verhält sich so, wie es zu erwarten wäre. Nur fällt dies, weil absolut selbstverständlich, nicht weiter auf. Auffallen tun die wenigen, die ihren Müll in der Natur hinterlassen, lautstark dem Alkohol zusprechen und dann oft jegliche (Körper-)Kontrolle verlieren. An den Radduscher Kaupen befindet sich eine vom örtlichen Tourismusverein aufgestellte Sitzgruppe. Anwohnerin Simone Holzheimer versprach, ein Auge drauf zu werfen. Anfangs hatte sie dort einen Mülleimer platziert, der ständig von ihr geleert werden musste (oft taten dies auch schon die Vögel…). Als sie keinen mehr aufstellte, kam es auch zu keinem Müllaufkommen mehr! Das lässt nur den Schluss zu, dass die Urlauber ihren Müll auch wieder mitnehmen – Papierkörbe dagegen aber zum Entleeren einladen, was nur zu verständlich ist.

Manche Gastgeber meinen, mit einem Regelwerk Ordnung auf ihrem Gelände schaffen zu können. Manches Schild ist so groß, dass das Lesen allein schon Minuten verschlingt. Beispiele gefällig? „Es ist verboten, Schilf aus den Dächern zu ziehen … Fahrräder dürfen nicht an Bäume gestellt werden…, Plastikmüll gehört in die gelbe Tonne…, Hundekot ist zu entsorgen und in die schwarze Tonne zu entleeren…“. Die Radler scheinen auch nicht gerade beliebt zu sein, außer, sie kehren als Gast ein. Von „Radfahren über das Grundstück verboten“ bis hin zu „Liebe Radler, bitte steigen sie ab – und kehren Sie ein!“ reicht die Palette. Regeln gehören nun mal zum Leben in einer Gemeinschaft, fast alles davon ist aber nicht dokumentarisch-regelungsnötig, denn der gesunde Menschenverstand sollte allein schon ausreichen. Dass es immer mal Zeitgenossen gibt, die dagegen verstoßen, wird sich wohl nie ändern lassen. Verbotsschilder werden von denen ohnehin nicht respektiert. Und die „Verbotskultur“ bringt auch eine Gebotskultur mit, denn was nicht verboten ist, ist erlaubt. Spätestens hier muss der aus der Kinderstube mitgebrachte Anstand und die Höflichkeit einsetzen.

In der Straupitzer Mühle wird der Gast (vielleicht etwas überflüssigerweise) daran erinnert, dass er sich „sicher freut, wenn er einen sauberen Tisch vorfindet“. Die Spreewälder Gastgeber spiegeln ebenso alle menschlichen Verhaltensformen wider, wie ihre Gäste.  Von kategorischen Verboten („Widerrechtliches Parken wird umgehend zur Anzeige gebracht!“) bis hin zu Bitten („Bitte stellen Sie das Geschirr in den Wagen“) ist alles dabei. In den sozialen Netzwerken werden täglich Urlauber, die sich nicht benehmen können, beschimpft und pauschal abgeurteilt, manches ist gar nicht zitierfähig. Niemand nennt die positiven Beispiele, die berühmten 99 Prozent!

Manche Gastgeber setzen dennoch auf den viel zitierten gesunden Menschenverstand und vertrauen auf gegenseitige Vorbildwirkung und verzichten auf jegliche Beschilderung. In einer schilder- und somit gebots- und verbotsfreien Umgebung sitzt es sich auch einfach schöner! Das geht automatisch schon dort, wo die Schilder (wenn überhaupt vorhanden) nicht verstanden werden. Oder hat sich schon jemand im Urlaub an griechische, spanische, türkische oder gar chinesische Schilder gehalten oder halten können?

Peter Becker, 16.05.19

Über Peter Becker 367 Artikel
Jahrgang 1948, Diplomlehrer, Freier Journalist und Fotograf

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