Eine Nutriaspur führt nach Los Angeles

Die inzwischen überall im Spreewald vorkommenden Nutrias sind keine einheimischen Nager. Die Pelztiere stammen ursprünglich aus Südamerika und wurden bereits Ende des 18. Jahrhunderts in Europa eingeführt und in die Natur ausgesetzt. Sie galten aber bald als ausgerottet, weil der Nutriapelz sehr hohe Preise als Robenfellersatz erzielte. Spätere Importe wurden in Pelztierfarmen gehalten, aus denen allerdings immer wieder Tiere in die Wildnis entwichen. Besonders in Krisenzeiten waren Pelz und Fleisch der Tiere sehr begehrt. In der DDR wurde es gern als Kaninchenersatz angeboten, auch die Felle fanden guten Absatz.

In den 50-iger Jahren gab es einen Zuwachs an Farmen, auch, weil sich so mancher einen Zusatzverdienst erhoffte. Einer von ihnen war der Lübbenauer Kurt Krügermann. Der 1932 als Sohn der bekannten Gurkenverarbeiterfamilie Krügermann in Lübbenau Geborene musste sich 1949 nach dem frühen Unfalltod des Vaters, bei dem er mit seinem Bruder Ernst Zeuge war, gemeinsam mit der Mutter in den Verarbeitungsbetrieb einbringen. Mangel herrschte an allen Orten, die Gurken wurden zum großen Teil von der sowjetischen Besatzungsmacht konfisziert, es gab kaum Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Die Familie, die Mutter und die sechs Geschwister, galt es irgendwie zu versorgen.

Kurt Krügermann mit Jung-Nutrias in Lübbenau (um 1960)
Kurt Krügermann mit Jung-Nutrias in Lübbenau (um 1960)

Kurt Krügermann legte sich Schafe und Bienen zu – und 40 Nutrias. „Alles wurde von den Behörden genau registriert, die Felle mussten wir in Leipzig abliefern, jedes Gramm Fleisch musste nachgewiesen werden, der Eigenverbrauch war möglich, aber eher unwirtschaftlich“, erinnert sich Kurt Krügermann, der seit Jahrzehnten in Los Angeles wohnt. Das Gespräch wird via Skype geführt, meist abends. Dann hat er gefrühstückt und sein iPad eingeschaltet – die Zeitverschiebung beträgt 9 Stunden! Der 87-Jährige nimmt dank der medialen Möglichkeiten am Leben in seiner Spreewaldheimat teil, liest die Online-Zeitung und studiert facebook und Co. So kam er auch auf die zahlreichen facebook-Nutriafotos zu sprechen, die einige für Biber halten. „Das die sich so stark ausgebreitet haben…! Aber ein wenig ist das auch meine Schuld“, gesteht er ein. Als die Preise für die Nutria-Felle sanken, ebenso für das Fleisch, welches die staatlichen Aufkaufstellen den Erzeugern zahlten (und nur an diese durfte verkauft werden), fasste er mit Helga Geißler, der angehende Ehefrau aus der Lübbenauer Bergstraße 7, einen Entschluss: Nach Amerika wollten sie auswandern, ganz von vorn anfangen. Im Juli 1961, wenige Wochen vor dem Mauerbau, gelang ihnen die Flucht über Westberlin und Monate später die Umsiedlung in die USA. „Meine Tiere konnte ich noch unauffällig loswerden, nur nicht die Nutrias. Inzwischen waren ohnehin schon im letzten Winter einige übers Eis ausgebüxt, den Rest habe ich am Tag der Flucht in die Kamske entlassen“, erinnert sich Kurt Krügermann an seinen Weggang. „Wenn ich in die Freiheit gehe, können das auch meine Tiere“, war seine etwas zusammenkonstruierte Logik. Gattin Helga unterstützt ihn bei seinen Gesprächen mit der Heimat aus dem Hintergrund. Sie weiß noch, dass es in Lübbenau viele Nutriahalter gab, alle versuchten den weißen Nutria herauszuzüchten, der Spitzenpreise fürs Fell einbrachte. Sie paarten die hellfarbenen Tiere und tauschten die Zuchttiere auch aus, wegen Fellfarbe und dem „frischem Blut“. Bei einer Reproduktionsrate von 6-8 Tieren und 2-3 Würfen im Jahr, schien das nicht ganz ausweglos zu sein, es gelang in Lübbenau aber wohl nie. Die besten Lübbenauer Züchter waren der Gärtner Neumann und „einer aus Stottoff“, aber an dessen Namen kann sich auch seine Helga nicht mehr erinnern.

Hintergrund:

Um 1967 fielen in der DDR zur gewerblichen Verwertung jährlich 60.000 Nutriafelle an, damit wurden gleichzeitig 180.000 Kilogramm Fleisch produziert. Ein Fachbuch für Pelztierzüchter der DDR aus dem Jahr 1953 beschreibt die Verarbeitung des Fleischs zu Rouladen, Mettwurst und Kochsalami. Auch in den Gefängnissen der DDR gab es Nutria mit Pellkartoffeln. (Quelle: Wikipedia)

Peter Becker, 24.04.19

Über Peter Becker 404 Artikel
Jahrgang 1948, Diplomlehrer, Freier Journalist und Fotograf

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