Spreewälder Zivilcourage in einer schweren Zeit

Spreewaldhotel Leipe 2017

Als rechte Ideologien vom Herrenmenschen hoffähig wurden und immer mehr Menschen dieser kritik- und widerstandslos folgten, bewahrte sich die Leiper Gastwirtin Anna Mockwitz Menschenwürde und Nächstenliebe. „Tue Gutes und es kehrt zu dir zurück“, war ihr Leitspruch – und das Gute kehrte zurück.

Beinahe wären wertvolle Zeitdokumente in der blauen Tonne gelandet. Die Cottbuserinnen Marianne Undisz und Christel Mennel wollten den Nachlass des 2009 in Cottbus verstorbenen Gustav Buchan (geb. 1914 in Burg) entsorgen. Sie hatten den Hochbetagten in den letzten Lebensjahren begleitet und betreut, denn eine eigene Familie hatte er nicht. Die beiden Frauen erinnern sich an die zahlreichen Gespräche, in denen er „seinen“ Spreewald erwähnte und wie er sich für den Erhalt der Kulturlandschaft eingesetzt hatte. Dementsprechend umfangreich waren die hinterlassenen Dokumente, darunter alte gräfliche Urkunden, behördliche Bescheide und Fotos aus seiner Kinder- und Jugendzeit in Leipe, wohin die Eltern kurz nach seiner Geburt verzogen waren. Alle Schubladen waren geleert, die Bündel lagen zur Entsorgung bereit. Die Frauen unternahmen einen letzten Versuch, doch noch jemanden zu finden, der sich der -wie sie richtig vermuteten- wichtigen Dokumente annahm. Nach einigen Telefonaten in die Leiper Heimat des Verstorbenen, gelangten die Dokumente schließlich in die Hände des Autors dieses Artikels. Wie bei einem Puzzle formte sich aus dem ungeordneten Material nach und nach ein Bild der damaligen Zeit, besonders über die schwärzesten deutschen Jahre.

Spreewaldhotel Leipe kurz nach dem Umbau (1926)

Leipe gehörte seit Jahrhunderten zur Lübbenauer Grafschaft. Das abgelegene und bis 1969 praktisch nur per Kahn zu erreichende Inseldorf besaß schon sehr lange eine Gastwirtschaft oder zumindest eine Schankstube. Ein erster Beleg ist aus dem Jahr 1674. Das Leiper Gasthaus erhält 1925 einen zweistöckigen Aufbau, den die Lübbenauer Firma Trüstedt und Balke vornahm. Die Kosten in Höhe von 70 000 Reichsmark schulterten Gustavs Mutter Anna Mockwitz, eine verwitwete Buchan und ihr zweiter Ehemann, Friedrich Mockwitz, durch Kreditaufnahme. Auch dieser verstirbt nur wenige Jahre nach den Umbaumühen, gerade als sich erste wirtschaftliche Erfolge einstellten. Anna Mockwitz muss sich nun allein um die Geschäfte kümmern, auch um ihren Sohn, der inzwischen in Cottbus die Schule besucht. Im aufstrebenden Nationalsozialismus sieht sie eine Kraft, die ihr wirtschaftlich zu Gute kommen kann. Sie wird 1935 Mitglied der Partei, weil sie sich mehr Zustrom für ihre Gaststätte erhoffte. Ihre Mitgliedschaft hält sie aber andererseits nicht davon ab, sich bis zum Kriegsende verstärkt um die Cottbuser Familie Hammerschmidt zu kümmern, der sie zeitweise Unterkunft im Hotel gewährte und die sie mit Lebensmittel unterstützte. Hermann Hammerschmidt war ein jüdischer Anwalt, der noch bis Ende 1944 „in jüdischen Angelegenheiten“ praktizieren durfte, dann aber verhaftet und bereits einen Tag nach seiner Einlieferung im Lager Schwetig ermordet wurde. Seine Frau verkehrte von 1935 bis 1945 mit der Leiper Gastwirtin. Bekannt wurden die Frauen wohl durch den Aufenthalt von Gustav Buchan, Anna Mockwitz‘ Sohn, der schon als Zehnjähriger nach Cottbus kam und dort in Pension war. Gustav Buchan wurde später Lehrer. Die NS-Ideologie hielt ihn nicht davon ab, mit der ihm sehr freundschaftlich verbundenen Hammerschmidt-Familie weiterhin zu verkehren. Ihm wurde Berufsverbot angedroht, aber eine Einberufung zur Wehrmacht kam dem zuvor. Bereits im Kriegseinsatz befindlich und zum Offizier aufgestiegen, nutzte er immer wieder Gelegenheiten, die Hammerschmidt-Familie mit Geld und Lebensmittel zu unterstützen.

Hugo Buchan
Anna, Mutter von Gustav Buchan – hier noch an der Bleiche

Daheim in Leipe war seine Mutter inzwischen verstärkt den Anfeindungen ihrer Leiper NSDAP-Ortsgruppe ausgesetzt. Immer wieder wird Druck auf sie ausgeübt, Juden nicht zu beherbergen oder zu bewirten. Diesem gab sie nur zum Schein nach. Die Nazi-Ortsgruppe ihrerseits verlegte ihre Versammlungen in die Leiper Schule, ihre Mitglieder wollten nicht mehr im „Judenlokal“ verkehren. Anna Mockwitz hatte die Unmenschlichkeit des Systems längst erkannt und ihren Parteibeitritt bereits bereut, wie aus ihren schriftlichen Stellungnahmen 1947 gegenüber dem Alliierten Kontrollrat hervorgeht. In diesen Unterlagen finden sich weitere Dokumente, so die Bürgschaften von Elisabeth Hammerschmidt und von Margarethe Hausmeyer, der sie ebenfalls Unterstützung gewährt hatte. Anna Mockwitz‘ Entnazifizierung erfolgte problemlos, ihre Gaststätte wurde nicht enteignet. Zur gleichen Zeit wurde ihr Sohn Gustan Buchan aus gleichen Gründen vorzeitig aus der Gefangenschaft entlassen. Jetzt war es Elisabeth Hammerschmidt, die inzwischen im Westen wohnte und die ihn aufnahm, denn eine Entlassung aus der amerikanischen Gefangenschaft war mit der Auflage verbunden, einen Wohnsitz im Westen Deutschlands zu nehmen.

Dank an Marianne Undisz und Christel Mennel, Cottbus, die den Nachlass von Hugo Gustav Buchan verwalteten.

Peter Becker, 23.01.19

Quellen

https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Hammerschmidt  (1925 – 2006, Sohn der Hammerschmidts)

Literatur:

Wolfgang Hammerschmidt: Spurensuche – Zur Geschichte der Familie Hammerschmidt; Psycho-Sozialverlag, 2001

Helmut Hammerschmidt: Chronik der Familie Hammerschmidt; Verlag für Berlin-Brandenburg. 1996

Über Peter Becker 404 Artikel
Jahrgang 1948, Diplomlehrer, Freier Journalist und Fotograf

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