Am frühen Morgen und leicht fröstelnd fanden sich 60 Spreewälder Touristiker auf dem neuen Lübbener Parkplatz ein. Grit Bandemer (Tourismusverband Spreewald), Melanie Kossatz und Andreas Traube (Spreewaldverein) wiesen in den Tagesablauf ein, bevor sich die Teilnehmer der Info-Tour in die Busse begaben. Insgesamt sechs Ziele sollten im Laufe des Tages angesteuert werden. Dabei handelt es sich überwiegend um Anbieter von regionalen Produkten und Spezialitäten der Land- und Ernährungswirtschaft, die unter der Dachmarke Spreewald vereint sind und mindestens einen Teil ihrer Produkte direkt vermarkten. Die ausgewählten Anbieter stehen beispielhaft für gegenwärtig 128 Erzeuger und Dienstleister, von denen Angebote über das Qualitätssiegel der Dachmarke Spreewald beworben werden. Die Tour sollte bei den touristischen Dienstleistern das Bewusstsein betreffend Regionalität, regionalen Spezialitäten und Kulinarik schärfen.
Noch in Lübben gab es nach wenigen Fahrminuten den ersten Stopp bei Gisela Christl. Die als „Spreewald-Christl“ bekannte Steinkirchenerin ist als Reiseleiterin, Traditionspflegerin und Gastgeberin, hier besonders für das Spreewälder Gurkenseminar, tätig. In ihren Räumlichkeiten spiegelt sich das Spreewaldleben wider. Ein riesiger Bauernhof mit zahlreichem Federvieh aller Art ist besonders für die Kinder ein Magnet.
Der nächste Stopp war in Reichwalde. Der Landwirtschaftsbetrieb Lühmann unterhält eine Milchtankstelle, die täglich von 5 bis 21 Uhr geöffnet ist. Auch Käse und Wurst, alles Dachmarkenprodukte, kann der Nutzer aus dem Automaten ziehen – de facto ein automatischer Dorfkonsum mit sehr freundlichen Öffnungszeiten. „Schade nur, dass wir keine Werbung an der nahen B115 aufstellen dürfen! Wir brauchen noch mehr Absatz!“, klagte Milchbäuerin Simone Jermis.
In der Brennerei Sellendorf erfuhren die Teilnehmer von Geschäftsführerin Annette Diebow noch mehr zu den aktuellen Problemen aller Landwirte, die wegen der Trockenheit schlechte Ernten einfuhren. Ihr Betrieb hält Tiere und verarbeitet das selbstgeerntete Korn zu „Korn“ und anderen sogenannten Stimmungsaufhellern. Sie verdeutlichte, wie sie besonders in diesem Jahr auf guten Absatz angewiesen sind, um die Folgen der Dürre einigermaßen kompensieren zu können. „Wir verfüttern jetzt schon Stroh – wir wissen nicht, wie es weitergehen soll!“, so die besorgte Geschäftsführerin des Landgutes.
Dieser Umstand wurde in der Göritzer Agrar GmbH noch mehr verdeutlicht. Geschäftsführer Thomas Goebel (er hatte für die Veranstaltung extra seinen Urlaub unterbrochen) berichtete von den enormen Schwierigkeiten des Pflanzenproduktionsbetriebes. Als eine der zusätzlichen Einnahmequellen, die touristisch vermarktet werden, nennt er den Gurkenflieger. Urlauber können auf dem Bauch liegend ihre Einlegergurken selbst pflücken. Im Internet kann man die „Abflugzeiten“ erfahren. Daneben erfreut sich die hauseigene Bauernküche regen Zuspruchs. „Wir könnten aber noch mehr vertragen“, sagt Thomas Goebel, „es gibt jede Menge Platz und vor allen Dingen Gerichte aus Selbstangebauten.“ Vorm Haus ist ein großer Spielplatz für die Kleinen und ein weiterer mit Alttechnik für die Großen.
Der Vetschauer Gemüsebauer Ricken führt einen Betrieb mit 70 Vollbeschäftigten und zahlreichen Saisonarbeitern. Ihn plagen noch ganz andere Sorgen: „Wir produzieren in einem wenig freundlichen Umfeld, unterliegen dem Preisdruck der Abnehmer und sind der Witterung ausgeliefert, die in diesem Jahr keine ist!“ Was Ricken meint, ist, dass mit wenig Sachkenntnis seine Produktionsmethoden kritisiert werden. Ein Teil seiner Folien ist aus Stärke und somit biologisch abbaubar, es fehlt nur der dafür notwendige Regen. Seine Produkte, besonders die Erdbeeren, sind leicht verderblich und manche Handelsketten bitten „aus heiterem Himmel“ um einen Lieferstopp für eine Woche. Wohin mit den Früchten, möglichst ohne finanziellem Verlust? Seine über 100 Erdbeerkioske im weiten Umfeld können auch nur aufnehmen, was abgekauft wird. „Die, die Lebensmittel angeblich lieben, lieben aber nicht die Erzeuger! Ich bin auch für die Einführung eines ‚fair trade‘ für deutsche Bauern!“, bringt Ricken in seinem 45-minutigen Vortrag seine Sorgen zum Ausdruck. Ein herzlicher Applaus der 60 Touristiker zeigt, dass er verstanden wurde!
Der Bischdorfer Landwirt Helmut Richter setzt auf große Nähe zwischen Erzeuger und Verbraucher. Bei ihm kann man auf der Koppel wohnen, den Tieren auf der Wiese und im Stall zuschauen und es sich vor allen Dingen schmecken lassen. Große Räumlichkeiten laden zum Feiern ein, besonders beliebt sind seine Schlachttage. „Bei mir gibt es ‚ne Nase voll würziger Landluft und jede Menge ehrlich erzeugter Produkte in Direktvermarktung.“
Am späten Nachmittag trafen die Busse wieder am Ausgangspunkt ein. Aus den Gesprächen der Teilnehmer war zu entnehmen, dass die Sorgen der Anbieter angekommen sind, dass man nur in einem gut funktionierenden Netzwerk mit mehr Hinwendung zum Regionalprodukt eine gewisse Kompensation schaffen kann – und dass es vor allen Dingen ein sehr gelungener Tag war. Mit herzlichem Applaus wurden den Organisatoren gedankt!
Peter Becker/peb1, 17.10.18
Infos zur Dachmarke
Der Spreewaldverein e.V. ist Zeichengeber der regionalen Dachmarke für den Wirtschaftsraum Spreewald. Mit der regionalen Dachmarke wird eine Unterstützung für die integrierte und vernetzte Entwicklung aller Lebens- und Wirtschaftsbereiche im Spreewald angeboten, von landwirtschaftlicher Rohstoffproduktion bis zur Lebensmittelveredelung in der Gastronomie. (Quelle: Spreewaldverein)
Voraussetzung für die Vergabe: Der Betrieb ist im Wirtschaftsraum Spreewald ansässig, er erstellt oder verarbeitet Waren, die überwiegend aus dem Raum stammen. Die Vergabe wird jährlich überprüft.
Der Finsterwalder Künstler Host Bahr schuf die Vorlage für das Gütesiegel, auch Dachmarke genannt, weil es ein „Dach“ für die Erzeuger ist und auch als Dachgiebelzeichen (Schlangenkönig) bekannt ist. Der Wirtschaftsraum Spreewald, der größer als der Spreewald selbst ist, also auch die nähere Umgebung mit einbezieht, ist maßgeblich auf das Wirken des Burgers Hans-Joachim Kohlase zurückzuführen. Er übernahm 1992 das „Regionalbüro Spreewald“, ein von der europäischen Union und vom Land Brandenburg gefördertes Projekt. Es ist mit sein Verdienst, dass die Spreewaldregion und die Spreewälder Produkte unter europäischem Schutz gestellt wurden. Der „Wirtschaftsraum Spreewald“ wurde nach geografischen, hydrogeografischen, und kulturhistorischen Gesichtspunkten untersucht und abgegrenzt und durch die Spreewaldlandkreise sowie durch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes 1999 bestätigt. (Quelle: http://www.spreewaldoriginale.de/kohlase.html)
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