Man muss schon genau hinsehen, um den Kahn von den anderen tausend Wasserfahrzeugen präzise unterscheiden zu können. In der Spreewaldstadt Lübbenau fährt ein Kahn über das Wasser, der nicht aus Holz, Stahl oder Aluminium hergestellt wurde. Manfred, Arwed und Renate Franke stellten im Jahre 1976 einen typischen Spreewaldkahn aus Kunststoff her.
Neugier, Fachwissen und Tatendrang prägen das Arbeits- und Freizeitleben von Manfred, Arwed und Renate Franke aus Lübbenau. So ist es nicht verwunderlich, dass das wissbegierige Trio sich im Jahre 1976 an ein spektakuläres Projekt wagte, dass selbst die Fachleute kaum für durchführbar hielten. Innerhalb von 2000 Stunden Arbeitszeit stellten sie einen 9, 67 Meter langen, 1,92 Meter breiten und 440 Kilogramm schweren Kunststoffkahn her.
„Mein Bruder Manfred baute die ersten Paddelboote aus Kunststoff in der DDR und hatte dadurch auch die entsprechende Qualifizierung und das Fachwissen für den Kahnbau“, so Arwed Franke (Jahrgang 1941), der im damaligen Kraftwerk Lübbenau als Elektromonteur arbeitete. Schon als Sechsjähriger stakte Arwed den traditionellen Holzkahn über das Fließsystem im Spreewald. Mit 14 Jahren übte er stolz und pflichtbewusst die Funktion eines Hilfskahnfährmannes aus. 1956 wurde er Mitglied bei der Genossenschaft der Lübbenauer Kahnfährleute. Seit 1984 gehört er zum Ausbildungs- und Prüfungsteam der Genossenschaft.
Als 1972 die ersten Kähne aus Aluminium gefertigt wurden, wurde auch bei Arwed Franke der Wunsch nach einem neuen Wasserfahrzeug wachgerufen. Doch die damalige Aluminium-Legierung war gegen das Spreewasser nicht vollständig resistent, es entstand teilweise an den Blechteilen der sogenannte „Aluminiumkrebs“, so dass Schutzanstriche notwendig wurden.
So entschloss man sich bei der Familie Franke aus Lübbenau, einen Kahn aus „Polymere“, einem Kunstharz, herzustellen. Die Form wurde von einem traditionellen Holzkahn abgenommen. In der Stahlblechform wurden bis zu zehn Lagen Glasfaserflies mit einem Kunststoffharz verbunden.
„Viele Kahnfährleute hielten den Werkstoff Kunststoff damals für ungeeignet, doch wir hatten uns das notwendige theoretische Fachwissen durch Lehrgänge erworben“, so Manfred Franke (Jahrgang 1939), der sich noch gut an die damalige Klebearbeiten und technische Details erinnerte. Durch das Arbeiten wurden die praktischen Erfahrungen und Kenntnisse erweitert. Die umfangreichen Klebearbeiten wurden wegen der kühleren Außentemperaturen immer nachts durchgeführt. Heizlüfter hielten die Temperaturen konstant, um das korrekte Aushärten zu garantieren. Auch an ständige Frischluft im Arbeitsraum, einer großräumigen Tischlerei, musste gedacht werden.
„Meine Frau Renate hat großes Geschick beim Anfertigen der notwendigen Kahnbänke bewiesen“, erklärte Arwed Franke. Heute sind diese blauen Sitzgelegenheiten die einzigen sichtbaren Anzeichen, dass Kunststoff verwendet wurde. Der schwarze Kahn aus Kunststoff ist von einem Holzkahn nicht auf den ersten Blick zu unterscheiden. „Die Fahrgäste sind immer Glauben, in einem traditionellen Holzkahn zu sitzen“, meinte lachend Arwed Franke. Erst seine fachlichen Erläuterungen bringen den Besuchern sachkundige Auskunft.
„Der Kahn hat bei der Probefahrt sehr gute Funktionswerte nachgewiesen“, so steht es im Prüfprotokoll des Amtes für Standardisierung, Messwesen und Warenprüfung beim Ministerrat der DDR. Seither fährt ein „unauffälliger“ Kunststoffkahn über die Fließgewässer im Spreewald.
1994 versuchte ein Unternehmen aus Flensburg, die in Polen hergestellten Kunststoffkähne, im Spreewald einzusetzen. Doch die damaligen Probefahrten entsprachen nicht den Erwartungen. Ein Kahn ist gebrochen, andere wurden entsorgt oder für andere Zwecke verwendet. „Ein Kunststoffkahn wurde mit Eisenprofilen verstärkt und fährt heute in Burg“, erklärte Arved Franke. Seit 1976 fährt er seine Fahrgäste im schwarzen Kunststoffkahn und den blauen Bänken über das weit verzweigte Netz der Fließe in der Lagunenlandschaft. Bernd Marx
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