Zum Erlkönig, Burg

Erlkönig Burg

Eigentlich gehört der „Erlkönig“ nicht in die Serie der Hunderte Jahre alten Gaststätten. Wenn auch diese Gaststätte vor mehr als 100 Jahren ihren Betrieb aufnahm, wurde sie lange Zeit, von 1945 bis 1983, als Wohnhaus genutzt. Sie steht aber dennoch als Zeugnis gelebter Geschichte, als Zeugnis dafür, dass Gasthäuser auch stets ein Spiegelbild der Zeitgeschichte sind.

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Burger erinnern sich, dass hier nach kurz nach Kriegsende der erste Tanz im Frieden stattfand. Unmittelbar danach wurde der Gaststättenbetrieb eingestellt. Vermutlich hat die allgemeine Wohnraumknappheit – Flüchtlinge aus den Ostgebieten mussten untergebracht werden- ebenso dazu beigetragen, wie der dramatisch zurückgegangene Ausflugsverkehr nach dem Krieg. Spreewaldgaststätten leben vom Tourismus, besonders vom Saisontourismus. Wenn Gäste aus wirtschaftlicher Not heraus ausbleiben, bedeutet das auch vielfach das Aus für solche Betriebe. Für die Einheimischen allein, hätte es nie der Vielzahl dieser Gaststätten bedurft.

Ende des 19. Jahrhunderts sah das alles ganz anders, viel hoffnungsvoller, aus. Der Ausflugsverkehr stieg sprunghaft an, Gaststätten entstanden an vielen beliebten Kahnfahrrouten wie auch am Burger Ostgraben (damals Prezna-Zerrafließ). Möglicherweise war es Goethes Erlkönig, der dem Erbauer zur Namensgebung inspirierte. Vielleicht dachte Heinrich Schenker dabei an die zahlreichen Erlen im Umfeld, vielleicht dachte er aber auch an die das Klassikerstück umgebende Mystik, die auch zum entlegenen Haus in der Tiefe des Spreewaldes passte.

Eine Zeitungsnotiz von 1909 belegt, dass am 25. Mai die Eröffnung der neu gebauten Gaststätte erfolgte. Sein Besitzer verpachtete sie im gleichen Jahr zum 1. Oktober an Hugo Achtel. Der Vetschauer war bis dahin Wirt in der dortigen Brandtemühle gewesen. Es ist anzunehmen, dass die Burger Gaststätte in den Folgejahren wirtschaftlich erfolgreich war. Ihre günstige Lage trug sicher dazu bei. Wanderer und Radler, Paddler und Kahnfahrgäste kommen an ihr vorbei, wenn sie im Burger Spreewald unterwegs sind. Nach dem besagten Nachkriegstanz wird es still um die Gaststätte. Ihre Räume werden für Wohnzwecke, zumeist für Umsiedler, genutzt. Erst Mitte/Ende der fünfziger Jahre gerät sie wieder in den Blickwinkel für eine mögliche gastronomische Nutzung. Der Ausflugsverkehr kam wieder auf Vorkriegsniveau.

Herbert Roschke vom Gasthaus Eiche war auf der Suche nach einer eigenen Immobilie. Sein Vater Gustav Roschke war noch nicht für eine Übergabe bereit, außerdem gab es ja noch weitere Geschwister, die als Nachfolger für die Eichegaststätte infrage gekommen wären. Herbert Roschkes jüngste Tochter, Marina, half damals schon kräftig in der Eiche mit. Der damals schon 55-jährige Herbert Roschke wollte mit dem Kauf des Wohnhauses, der ehemaligen Erlkönig-Gaststätte, auch seiner Jüngsten damit den Weg in die Zukunft bahnen, ihr eine gewisse Absicherung geben. Er sah auch die Wiederaufnahme des Gaststättenbetriebes als Möglichkeit, wenn es gelänge, die Mieter anderweitig unterzubringen. Den staatlich vorgegebenen Verkaufspreis hätte er aufbringen können, nicht aber den hohen Aufschlag des Verkäufers. Das war zwar illegal, aber durchaus üblich, wenn ein Objekt mehr wert war, als der genormte Preis. Josef Müller, der damalige Besitzer, vermutlich Schwiegersohn von Heinrich Schenker, nutzte diese Möglichkeit, einen Zuschlag zu erzielen. Dadurch zogen sich die Verkaufsverhandlungen hin und erst durch einen kleinen Lottogewinn war der Kauf 1960 endgültig möglich geworden. Dennoch blieb das Gebäude noch bis 1979 in Mietnutzung. Erst am 10. Juni 1983 war der “Erlkönig“ wieder eine Gaststätte – eröffnet durch Marina Ballaschk, geborene Roschke. Die Idee ihres Vaters wurde umgesetzt, leider konnte er nicht mehr großen Anteil nehmen, denn fünf Jahre später verstarb er 84-jährig.

Der Wiedereröffnung vorausgegangen war ein langwieriger Genehmigungsprozess. Die staatlichen Behörden taten sich schwer, einem Privatunternehmen die Gewerbegenehmigung zu erteilen. Als 18-Jährige stellte sie einen ersten Antrag, der sogleich wegen fehlender Berufserfahrung abgelehnt wurde. Marina Ballaschk qualifizierte sich zur Gaststättenleiterin, ihre praktischen Erfahrungen sammelte sie im elterlichen Eiche-Betrieb, in dem sie bis Ende 1979 angestellt war. Nach immer wieder neuen Anläufen erhielt sie dann doch noch 1983 die Betriebserlaubnis für ein Café, was sie auch so wollte. „Es war mein Traum, ein kleines Spreewald-Café zu betreiben. Schön gemütlich, angenehme Atmosphäre – ohne lärmenden Ausflugsverkehr“, blickt sie heute zurück. Von diesem Traum fiel sie bald auf den harten Boden zurück. Spreewaldurlauber sind zumeist Tagestouristen, die oft in großen Gruppen mit dem Kahn ankommen und nach einem Mittagstisch fragen. Nachmittags sind sie oft schon auf der Heimreise. Schnell musst umdisponiert werden, die Küche nahm mit Unterstützung ihrer Mutter Henriette Roschke den Betrieb auf. „Aber Gästezimmer richte ich nicht auch noch ein!“ Marina Ballaschk wollte sich wenigstens hier ein paar Freiräume erhalten. „Bis spät in die Nacht am Tresen und dann noch Frühstück machen – das kommt nicht infrage!“ Nach der politischen Wende nahm sie ganz schnell auch von dieser Haltung Abstand. Immer wieder wurde sie von Gästen gefragt, warum es in dieser traumhaften Umgebung keine Übernachtungsmöglichkeiten gibt. Die Wirtin räumte die bis dahin von ihr privat genutzten Räume über dem Gastraum und ließ sich nebenan ein Eigenheim errichten. Nach dem Umzug wurden im Erlkönig sechs und später noch zwei weitere Zimmer eingebaut. Auch das ehemalige Stall- und Wirtschaftsgebäude erfuhr einen Umbau. Heute befinden sich dort vier Zimmer, eine Sauna und ein Kaminzimmer.

Während heute Waren aller Art leicht zu bekommen sind, war das in der Vorwendezeit grundsätzlich anders. „Mit meinem mir staatlicherseits zugewiesenen Kontingent musste ich klarkommen“, erinnert sich die Wirtin an die sieben schweren Jahre. „Aber ich habe geschickt geplant, Likör und Sekt zu Silvester schon im Sommer geordert!“ Der Erlkönig blieb eine der ganz wenigen privat betriebenen Spreewaldgaststätten. Fast alle anderen waren Kommissionäre von HO oder Konsum.

Inzwischen war Sohn Peter (Jahrgang 1987) herangewachsen und hatte eine Kochausbildung absolviert. Er wurde danach von seiner Mutter in der Küche des Erlkönigs angestellt. Dennoch riet sie ihm, wie auch die ganze Familie, doch erst einmal „in die Welt“ zu gehen, um zu sehen, ob sich nicht noch was Besseres findet. Eine Zeit arbeitet Peter Ballaschk auf Baustellen, blickte aber immer wieder gern auf sein Elternhaus und Arbeit in der Küche zurück. Nach ein paar Jahren mehr oder weniger fern des Spreewaldes, fand er 2008 endgültig zurück in Mutters Gasthausküche. Marina Ballaschk ging es um 2011 gesundheitlich nicht besonders gut, sie wollte kürzer treten. Im Familienrat wurde besprochen wie es weiter gehen könnte. Ihre beiden anderen Kinder, Marion und Christian kamen nicht zur Übernahme infrage. Die Tochter wohnte inzwischen in Köln und Christian war einfach noch zu jung dafür. „Dann mache ich das!“, lautete das kurze Statement von Peter Ballaschk. Seit dem 1. Januar 2012 ist er der Besitzer. Große Veränderungen hat er eigentlich nicht vor, aber auch ihn zwingen gewisse äußere Bedingungen, das Geschäft anzupassen. „Wir finden einfach kein geeignetes Personal mehr. Die Bewerber habe leider falsche Vorstellungen von Arbeit und Gehalt.“ In der Saison 2015 führt die Gaststätte erstmalig einen Kioskbetrieb ein. Eine Mittagsküche mit Servicepersonal ist im Moment nicht zu betreiben. Der schnelle Gast bekommt seine Stärkung und kann sich wieder in sein Paddelboot oder auf sein Fahrrad schwingen. „Dennoch will ich Qualität und auch Spezialität bieten. Wenn es passt und ich Jagdglück hatte, gibt es Wildschwein vom Grill oder andere Wildspezialitäten“, erzählt der Jungjäger. Die Küche wird aber dennoch nicht kalt bleiben, denn die Hausgäste werden weiter bewirtet, auch so mancher Einheimische kommt gern am Abend mal vorbei. Auf der Terrasse am Fließ zu sitzen, gehört zu den liebgewordenen Gewohnheiten.

Der Erlkönig in Zahlen und Fakten:

25.10.1909 Eröffnung des „Erlkönigs“ durch Heinrich Schenker
01.10.1909 Verpachtung an der Vetschauer „Restaurateur Hugo Achtel“ (Brandtemühle)
1929 Adressbuch weist als  Besitzer Heinrich Schenker auf
1945 Letzte Nutzung als Gaststätte – erster Tanz in Burg nach dem Krieg
1945 – 1979 Nutzung als Wohnhaus
1960 Josef Müller verkauft das Haus an Herbert Roschke
10.06.1983 Wiedereröffnung als Gaststätte durch Marina Ballaschk
1993 Einbau von 4 Gästezimmern, später kommen noch 2 hinzu
1998 Abriss des Wirtschafts- und Stallgebäudes, Neubau an gleicher Stelle mit 2 Zimmer, Sauna, Kaminzimmer
1.1.2012 Peter Ballaschk übernimmt von seiner Mutter die Gaststätte

Peter Becker, überarbeitet Januar 2017

s.a. Becker/Franke: Spreewald kulinarisch, Limosa 2015

Über Peter Becker 361 Artikel
Jahrgang 1948, Diplomlehrer, Freier Journalist und Fotograf

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