Der Neu Zaucher Weinberg – wo Spreeewälder fliegen lernten

Fliegerberg Neu Zauche, um 1940

Der nur 88 Meter hohe Weinberg, zwischen Neu Zauche und Straupitz gelegen, war einst Weinanbaugebiet – und in der Nazizeit Fliegerschule. Heute erinnert nur noch eine verfallene Baracke an diese Zeit.

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„Ich konnte als Junge nicht auf höhere Bäume klettern wie meine Schulfreunde. Karussell fahren und sonstige luftige Sachen erzeugten immer ein Zittern und Kribbeln in meinen Beinen. Aber mich faszinierten Flugzeuge und alles, was sich in der Luft bewegte.“ Der dies sagt, ist der gebürtige Radduscher Fritz Koal, heute 93 Jahre alt und in Husum lebend. Seine Höhenangst überwand er durch Mut und Vordringen in immer größere Höhen. Die Folge war ein Jahrzehnte andauerndes Fliegerleben. Es begann unweit seines Heimatdorfes auf einem der wenigen Hügel die es im Spreewald gibt, dem Neu Zaucher Weinberg. Wie einst bei Otto Lilienthal wurden auch seine Hopser mit steigendem Mut immer weiter. Seit April 1939 übte der Lehrling der Vetschauer Firma Fahrzeug- und Gerätebau (FaGeb) an fast jedem Wochenende am Weinberg. Die Firma, damals ein Luftwaffen-Rüstungsbetrieb, fuhr ihn und seine Kameraden mit einem Lkw zum Weinberg. Übernachtet wurde im Hangar, direkt unter den Gleitflugzeugen. „Wir schliefen dort in einer einfachen Fliegerhalle. Neben und unter den abgestellten Flugzeugen. Den Geruch von Spannlack und Farbe wurde ich nie wieder los“, erinnert sich Fritz Koal. Gestartet wurden die Gleiter von einem zusätzlich auf den Weinberg aufgeschütteten Hügel, dem Pickel, wie er genannt wurde. Eine Zugmannschaft spannte die Seile, die Haltemannschaft ließ auf Kommando das Heck los und schon ging es ein paar Meter bergab, manchmal mehr auf den Kufen rutschend, als fliegend. Mit dem Querruder wurde geübt, dass Flugzeug im Geradeausflug zu halten. Das Sekundenerlebnis wurde zur Mühsal, denn jedes Mal musste der Gleiter mit vereinten Kräften wieder auf den Pickel getragen werden. Fritz Koal: „Unser Fluglehrer war Fritz Juhrmann, der Dorfschulmeister in Neu Zauche. Er kam mit Gehrock und Melone auf dem Kopf zum Flugdienst. Ob er selbst fliegen konnte, wussten wir nicht, aber als Pädagoge war er in der Lage, uns die in Büchern beschriebene Handhabung eines Flugzeuges beizubringen.“

 

Viele Flugwillige machten auf dem Berg ihre ersten Erfahrungen, unterstützt und gefördert von der deutschen Wehrmacht. Die Piloten sollten bald gebraucht werden, viele verloren ihr Leben im Krieg und mussten ersetzt werden. Fritz Koal schulte nach der Neu Zaucher Zeit in Finsterwalde auf Schleppwindenflugzeuge um, danach in Guben auf Motorflugzeuge. Inzwischen war er in der Wehrmacht und wurde zum Jagdflieger ausgebildet. In verschiedenen Kriegsgebieten eingesetzt, war er als Höhenjäger in einer Messerschmitt  Bf 109 unter anderem auch dafür verantwortlich den Luftraum von feindlichen Bombern freizuhalten. Letztlich folgten Einsätze in ganz Europa, er schoss mehrere Feindflugzeuge ab und wurde selbst mehrmals abgeschossen. Mit viel Glück kam er immer noch gerade rechtzeitig mit dem Fallschirm aus seiner Me 109. Fritz Koal war 20 Jahre alt und wie viele seiner Generation davon überzeugt das Richtige zu tun. Jeder Bomber, den er vor seinem Ziel zu Boden schickte, rettete Menschenleben – so seine Überzeugung und Rechtfertigung. Dennoch war er froh, wenn er die Besatzung des von ihm abgeschossenen Bombers am Fallschirm in die Gefangenschaft schweben sah. „Es war zwar der Feind, aber auch ein Mensch, ein Fliegerkamerad. In Gefangenschaft konnte er nun niemanden mehr gefährlich werden“, so seine Sicht auf den Krieg.

Später kam er selbst in Gefangenschaft, konnte aber bald wieder eine Tätigkeit als Segelfluglehrer aufnehmen. „Nach den schlimmen Kriegsjahren endlich wieder eine Gelegenheit, das Fliegen im Frieden zu genießen. Die ersten Luftsprünge meiner Schüler erinnerten mich an meine eigenen in Neu Zauche, meine Erfahrungen von damals konnte ich gut einbrigen“, erinnert sich Fritz Koal an die Anfänge der bundesdeutschen Fliegerei in Schlewig/Holstein, seiner neuen Heimat. Nach dem Fall der Mauer fuhr er regelmäßig in seine Spreewälder Heimat, oft dabei einen Abstecher nach Neu Zauche machend. Manchmal steigt er die wenigen Meter den Weinberg hinauf und blickt dabei in die Ferne. „Eigentlich ein Wunder, dass ich das alles, was hier begann, überlebt habe – die meisten meiner Kameraden hatten dieses Glück nicht.“

Der gebürtige Radduscher Fritz Koal kam über seine Leidenschaft fürs Fliegen über den Neu Zaucher Fliegerberg mit kurzen Hopsern im primitiven Gleiter bis in die Me 109. Er riskierte sein Leben für eine falsche Sache und widmete es nach dem Krieg der Ausbildung von jungen Piloten. Hier sein Bericht: Koal_Meine_Fliegerei

Peter Becker, überarbeitet Januar 2017

Über Peter Becker 404 Artikel
Jahrgang 1948, Diplomlehrer, Freier Journalist und Fotograf

1 Kommentar

  1. Es existiert noch auf dem Berg ein Bauteil der Seilzuganlage…
    Mein Vater hatte dort auch seinen Segelflugschein I gemacht. LG Dietrich

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