Die Leiper Schänke

 

Das Inseldorf hat eine über 350-jährige Gaststättentradition, die eng mit den Namen Bestro und Buchan verbunden ist. Bei den letzten Buchans stiften die Vornamen eine gewisse Verwirrung: Gustav Hugo Buchan, genannt Gustav, der Vater und Sohn Hugo Gustav, der sich selbst gern Gustav nannte und Hugo Gustav nur, wenn’s amtlich wurde.

Fotoalbum

Leipe, in wendischer Sprache Lipje – das Lindendorf, gehörte mindestens seit dem Jahre 1315 zur Herrschaft Lübbenau. Das abgelegene und bis 1969 praktisch nur per Kahn zu erreichende Inseldorf, in dem die Mehrheit der Einwohner wendischer Abstammung ist und viele von ihnen bis heute wendische Familiennamen tragen, besaß schon sehr lange eine Gastwirtschaft oder zumindest eine Schankstube. (Sie dürfte, wie überall üblich, eine Art Kommunikationszentrum gewesen sein, in der Neuigkeiten und dörfliche Belange ausgetauscht und diskutiert wurden. Wegen der isolierten Lage des Dorfes kam der Leiper „Zentrale“ vermutlich eine besonders große Bedeutung zu. Wer in Lübbenau, Burg oder an ferneren Orten weilte, brachte Neuigkeiten mit und hatte meist viel zu erzählen.

Früheste Hinweise auf einen Schankbetrieb beziehen sich auf das Jahr 1674. In einem gräflichen Kontrakt ist ein Landkauf des Leipers George Bestro (*1653)[1] vermerkt. Vermutlich handelt es sich dabei um das Grundstück, auf dem die heutige Gaststätte steht. Dies wäre somit der älteste bekannte Hinweis im Zusammenhang mit einer Gaststätte im inneren Spreewald! Für  Byhleguhre, Byhlen und Straupitz ist schon seit 1621 ein jeweiliges „Kruggut“ belegt. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich bei den Bestros die Berufs-/Tätigkeitsbezeichnung „Schenker“ eingebürgert hat, die den tatsächlichen Namen hat in den Hintergrund treten lassen – damals eine nicht unübliche Praxis. Außerdem gab es viele weibliche Nachfahren, die durch Heirat ihren Geburtsnamen Bestro ablegten.

Weitere Ländereien werden erworben, darunter Forst und Wiesen bei Wottschoff (Wotschofska/Wótšowska). In einer anderen gräflichen Urkunde von 1707 wird dem „Schenker Bestro“ der alleinige Fortbetrieb der Schankwirtschaft erneut gestattet. Es ist daher davon auszugehen, dass eine Genehmigung schon vor diesem Datum erteilt wurde und es mindestens einen weiteren Gastwirt mit Schankgerechtigkeit gab. Nachdem um 1680 bereits eine gräfliche Genehmigung dafür vorlag (George Bestro ehelichte 1680 eine Elisabeth Jank), erhielt der Leiper Kossät Medewesch 1706 eine solche für vorerst ein Jahr, als „Entschädigung für die durch die neue Dubkowmühle verursachten geringen Erträge seiner Wiesen“, die 1701 errichtet wurde. Bestro bot dem Grafen daraufhin einen freiwillig höheren Zins an, was ihm auch in der Folge das alleinige Schankrecht für Leipe sicherte. [34]

Der Gastwirtbetrieb, wie damals allgemein üblich, lief neben der Landwirtschaft einher. An die Grafschaft war ein jährlicher Pachtzins zu entrichten. Das Fischereirecht wurde verwehrt, dafür sicherte man das Braurecht Bier- und Branntweinherstellung und den Ausschank zu. Die Höhe der Abgaben an die Grafschaft war in Kontrakten geregelt und umfasste Schutzgeld, Zapfgeld, Zinsen und Naturalien. Im Kontrakt von 1707 heißt es dazu: „Das also dieser Schenker George Bestro zu dato jährlich der Herrschaft in allem geben muss 1 Taler 6 Groschen Schutzgeld, 12 Groschen Horst- und Wiesenzins, 7 Groschen neuen Wiesenzins, 2 Taler 12 Groschen wegen des Bieres- und Brandweinausschankes.“ Hinzu kamen noch kostenloser Bierausschank („sechs Viertel“) an die Herrschaft und fünf Kahnfuhren für den Grafen.[28] Interessant ist die Festlegung eines Schutzgeldes. Es zeigt, dass die Bestros keine erblichen Untertanen waren, sondern „Freisitzer“. Mit Übertragung des Schankrechtes auf den Sohn Hanneß Bestro, entfiel das Schutzgeld. Dafür musste er 1736 den Untertaneneid leisten. Sein Sohn Georg „Schenker“ (Bestro), geb. 1744, schloss mit seinem Vater einen Vertrag: „daß der mit Vater Hanneß Schenker gerichtlich getroffene Vergleich und resp. Kaufcontract von Wort zu Wort deutlich vorgelesen und wendisch erklärt, zu dessen Inhalt er sich nochmals gerichtlich bekennt…“ [34]

Tochter Christiane Bestro/Schenker heiratet um 1800 einen Matthes Buchan, über dessen Herkunft nichts bekannt ist (Vater: Kossäte Hannß Buchan aus Leipe ?). Ihr Vater George Schenker, verheiratet mit Margarethe Jedro, überschreibt 1805 die Gaststätte seinem Schwiegersohn Matthes Buchan. Das dürfte als die Geburtsstunde der dann fast 200 Jahre dauernden Familiengeschichte der Buchan[2]-Wirte gelten. Das Paar bekommt in der Folge sieben Kinder. Aus dieser Zeit stammt auch die verwandtschaftliche Verbindung zur Burger Bleiche-Gaststätte, denn eine weitere Tochter ehelichte in Burg den Leinewebermeister Matthes Lehmann[3]. Dieser hat sehr wahrscheinlich die dortige Gaststätte übernommen oder gar gegründet. Später fällt diese aus unbekannten Gründen wieder in die Leiper Buchan-Familie zurück. In der Bleiche wurde 1914 Hugo Gustav Buchan geboren, der dann in der Leiper Gaststätte aufwuchs. Ein Jahr vor seiner Geburt musste der Vater Gustav Buchan die Bleiche-Gaststätte zur Versteigerung freigeben. Ihr neues Aufgabenfeld fanden die Buchans in der angestammten Leiper Gaststätte, die weiter zum Familienbesitz gehörte. Der Vater verstirbt 1922, seine Witwe Anna heiratet drei Jahre später Friedrich (Fritz) Mockwitz. Der Breslauer hatte 1914 mit seiner Frau die Wotschofska als Pächter übernommen. Der Pachtvertrag lief 1922 aus. Ob die Ehe geschieden wurde oder seine Frau verstarb, ist nicht bekannt. Annas Sohn Hugo Gustav Buchan wurde gerade mal zehnjährig in eine Pension nach Cottbus gegeben. Seine Mutter erkannte, dass das Kind eine besondere Veranlagung hatte. Sie sah Hugos Zukunft fern der Gaststätte, fern von all den Mühen des Alltags, der viel zu oft bis in den frühen Morgen dauerte.

Für die Leiper Gaststätte selbst sah sie dagegen eine Zukunft. Nach dem 1. Weltkrieg begann der Tourismus wieder allmählich anzuwachsen. Das Haus erhält1925 einen zweistöckigen Aufbau, den die Lübbenauer Firma Trüstedt und Balke vornahm. Die Kosten in Höhe von 70 000 Reichsmark schulterte die Familie Mockwitz durch Kreditaufnahme. Ihr zweiter Ehemann, Friedrich Mockwitz, verstirbt 1933, nur wenige Jahre nach den Umbaumühen, die inzwischen erste Erfolge einbrachten. Anna Mockwitz muss sich nun allein um die Geschäfte kümmern. Im aufstrebenden Nationalsozialismus sieht sie eine Kraft, die ihr wirtschaftlich zu Gute kommen kann. Sie wird sogar Mitglied der Partei, weil sie sich mehr Zustrom erhofft. Das hält sie aber andererseits nicht davon ab, sich in den Folgejahren verstärkt um die Cottbuser Halbjüdin Elisabeth Hammerschmidt zu kümmern. Deren Ehemann, Hermann Hammerschmidt (*1887)[4], war ein jüdischer Rechtsanwalt und durfte noch bis 1942 jüdische Angelegenheiten vertreten, bevor er von den Nazis im Dezember 1944 ins Konzentrationslager Schwetig verschleppt und dort einen Tag nach der Einlieferung ermordet worden war [30]. Die Hilfefür die Ehefrau setzte sie verstärkt den Angriffen ihrer Leiper NSDAP-Ortsgruppe aus. Von den Anfeindungen bleibt auch Sohn Gustav Buchan auf seiner Schulein Cottbus nicht verschont. Dennoch und unbeirrt gelingt es der Familie, Elisabeth Hammerschmidt durch die Zeiten zu bringen. Sie darf als Hotelgast leben und auch einige Habseligkeiten unterbringen. Nach dem Krieg zeigt sich die Familie Hammerschmidt ihren ehemaligen Beschützern gegenüber überaus dankbar, noch viele Jahre lang bleiben sie in Verbindung.Hugo Gustav Buchan kann sogar einmal deren Dienst für eine Zeit in Anspruch nehmen – wie man unten lesen kann. Weiterhin liegt ein Dokument vor, in dem die „Halbjüdin“ Margarete Hausmeyer ebenfalls der Anna Mockitz für die erwiesene Unterstützung dankt. (Über deren Schicksal konnte bisher nichts in Erfahrung gebracht werden)

Anna Mockwitz überschreibt 1948 die Gaststätte auf ihre Kinder Hugo Gustav Buchan und Annemarie, inzwischen eine verheiratete Wintgen (verst. 1959). Beide verpachten 1953 an Gerhard Schröder und seine Frau Margot, geborene Callin. Margots Eltern Oskar und Marie Callin waren ehemals Pächter der Pohlenzschänke und nach dem Ende der Vertragslaufzeit 1946 arbeitslos. Sie fanden bei Tochter und Schwiegersohn in der Leiper Gaststätte eine Anstellung. Zur Gaststätte gehörten damals auch Wiesen, weit entfernt am Barzlin gelegen. Am sehr frühen Morgen ging es mit dem Kahn 4 Stunden hin und spät am Abend mit Heu oder Futter zurück. Die fast vier Stunden dauernde Fahrt teilten sich die Helfer ein, jeder stakte mal den Kahn, während die anderen sangen oder schliefen. Diese Fahrten sollen immer sehr lustig gewesen sein, wie sich noch heute einige der älteren Leiper erinnern.

Alleiniger Besitzer der Gaststätte ist über all die Jahre bis 1992 bleibt Hugo Gustav Buchan. Er, der nach dem Mutterwillen niemals Gastwirt werden sollte, wurde es der Not gehorchend dennoch. Allerdings blieb ihm die Arbeit am Tresen bald erspart, das übernahmen die zahlreichen Pächter. Hugo Gustav Buchan, der Cottbuser, hatte im Hotel ein Zimmer, in dem er sich aufhalten konnte, wann immer er es wollte. Und das war oft: Den Feingeist und philosophisch Veranlagten zog es immer wieder in den Spreewald. Hier fand er die Ruhe, hier entstanden viele seiner Gedichte und Theaterstücke. Er durchstreifte den Spreewald, mal zu Fuß, mal mit dem Kahn, den er selbst stakte. Mit den Leipern suchte er das Gespräch, wo immer es ging. Hier nannten sie ihn den „Schenkers Gustav“.

Hugo Gustav Buchan – Ein Schöngeist und Gastwirt wider Willen

Hugo Gustav Buchan kam am 1. Juni 1914 als Sohn des Bleiche-Gastwirts GustavHugo Buchan in Burg zur Welt. Der hatte nur wenige Wochen vorher die 15 Jahre jüngere Anna Weidling, eine Schlesierin, geheiratet. Unmittelbar nach der Geburt zog die Familie in die Leiper Gaststätte um. Aus heute nicht mehr erkennbaren Gründen, musste die Bleiche-Gaststätte 1913 versteigert werden, was letztlich auch den Auszug aus dem Geburtshaus bewirkte. Am Erfindungs- und Ideenreichtum des Gastwirts kann es kaum gelegen haben. Er soll sehr rührig und geschäftstüchtig gewesen sein. Das Reichspatentamt bescheinigt ihm 1901 unter der Nummer 115412 eine Fischentschuppmaschine – eine sehr wichtiges technisches Hilfsmittel in einer Region, in der Fischgerichte die Speisekarten bestimmen. Leider ist über den Verbleib und den technischen Nutzen der Maschine nichts überliefert.

Großvater Georg Gustav Buchan (1869 – 1930) hatte das Leiper Haus 1864 zum Ausflugslokal umbauen lassen. Vater Gustav Hugo Buchan verstarb im November 1922, Tochter Annemarie war gerade zweijährig geworden und Sohn Hugo Gustav Buchan besuchte damals die zweite Klasse der Leiper Dorfschule. Nach vier Jahren Schulzeit ging er an die Cottbuser Oberrealschule und legte dort sein Abitur ab. Der anfangs Zehnjährige wuchs praktisch bei seinen Pensionseltern auf. An vielen Wochenenden und in den Ferien besuchte er seine Mutter in Leipe und zog dabei mit Freunden durch den Spreewald. Mutter Anna Mockwitz verlor 1933 ihren zweiten Mann Friedrich Mockwitz, genau in dem Jahr, in dem ihr Sohn in Cottbus sein Abitur ablegte und in die dortige Hochschule für Lehrerbildung aufgenommen wurde. Etwas Unterstützung bekam die Wirtin von der Schwägerin aus erster Ehe, Anka Buchan. Sie war alleinstehend und lebte mit auf dem Hof, nachdem ihr erstes Kind sehr früh verstarb. Mit der Zucht seltener Hühnerrassen versuchte sie sich abzulenken und zog sich dabei immer weiter aus dem Leben zurück. In der Küche war jahrelang Annas Schwester Martha Lossack eine große Stütze. Ihr Gulasch war berühmt im Spreewald!  Ihr Zimmermädchen Anna Mlosch hat ihr Jahrzehnte treue Dienste erwiesen, auch nach der aktiven Zeit in der Leiper Gaststätte. Regelmäßig besuchte sie sie in ihrer Cottbuser Wohnung und musste der ehemaligen Gastwirtin jede Einzelheit aus dem Haus und dem Dorf berichten.

Kaum hatte Hugo Gustav Buchan das Lehrerdiplom in der Tasche, musste er zum Wehrdienst. Danach blieb ihm eine kurze Zeit, um als junger Lehrer diese von ihm geliebte Tätigkeit auszuüben. In Schlesien trat er eine Lehramtsstelle an, um gleich nach dem ersten Schuljahr wieder die Uniform anzuziehen. Hugo Gustav Buchan nahm vom Anfang bis Ende am 2. Weltkrieg teil, zuletzt als Hauptmann. Er war in Polen, später in Frankreich, Italien und in der Sowjetunion stets an vorderster Stelle mit dabei. Ein Oberschenkelschuss führte zu einem längeren Lazarettaufenthalt in Freystadt (Schlesien). Wenige Tage vor Kriegsende erhielt er am 28. April 1945 in Italien noch den „Durchhalteorden“, das Eiserne Kreuz 1. Klasse – um unmittelbar danach in amerikanische Gefangenschaft zu geraten. Nur wenige Monate später, im September, wurde er entlassen, da er eine westdeutsche Adresse vorweisen konnte. In die sowjetisch besetzte Zone wurden Gefangene erst viel später entlassen. Die Adresse war die von Familie Pawelke, die zur Hammerschmidtfamilie gehörte. Elisabeth Hammerschmidt, die dank der Unterstützung von Mutter und Sohn den Krieg unversehrt überstanden hatte, konnte nun zurückgeben, was sie in den schweren Jahren an Unterstützung und Mut erfahren hatte. Sie war es auch, die das NSDAP-Mitglied Anna Mockwitz entlastete und ihr öffentlich Dank zollte. Anna Mockwitz bewarb sich 1947 beim Alliierten Kontrollrat, um ihr Geschäft wieder aufnehmen zu können. Eine beigefügte eidesstattliche Erklärung der Elisabeth Hammerschmidt, ihres Schützlings, dürfte dem Ansinnen Nachdruck verliehen haben. Darin belegt sie deren Auffassung von Nächstenliebe in einer Zeit, die dafür eigentlich keinen Platz ließ.

Hugo Gustav Buchan nahm nach seiner Entlassung aus der Gefangenschaft in Westdeutschland ein Philosophiestudium auf, musste es aber nach knapp zwei Jahren wieder aufgeben. Sein Blick war die ganze Zeit auf die ferne Heimat gerichtet, auf die Mutter, die nun die schwere Nachkriegslast allein zu bewältigen hatte. Er folgte ihrem Ruf, den sie allerdings nie laut geäußert hatte. Zu sehr war ihm bewusst, dass sie für ihn eine andere Zukunft vorgesehen hatte. Gleichzeitig sorgte sich die Mutter um die Zukunft des Leiper Gasthauses, ihres Lebensinhaltes. Gemeinsam gelang es ihnen, die Gaststätte wieder in Betrieb zu nehmen. Sie fanden 1953 tüchtige Pächter für das Haus und konnten sich etwas zurückziehen. Im gleichen Jahr bezogen sie in der Cottbuser Seminarstraße eine Wohnung. Sie lag in dem Haus, in dem auch Elisabeth Hammerschmidt wohnte. Hugo Gustav Buchan pflegte dort seine Mutter, die 1974 verstarb, und er sorgte sich um die Hausangelegenheiten der Hammerschmidts.

Hugo Gustav Buchan zog es immer wieder nach Leipe, zum Nachdenken und zum Kraft schöpfen, wann immer es seine Zeit erlaubte. Er wirkte im Kulturbund der DDR mit, verfasste zahlreiche Gedichte und mehrere Bühnenstücke u.a. zu Andreas Hofer. Mit dem Landschaftsgestalter Otto Rindt war er eng befreundet. Vielleicht entstand aus dieser Freundschaft heraus der Plan, die Streuobstwiese vor dem Hotel zum kulturellen Mittelpunkt des Dorfes zu machen, durchsetzt mit Findlingen. Auch die alte Obstallee zum Fließ hin sollte wieder entstehen. In der Linde sah er den symbolträchtigen Baum der Leiper (die Linde heißt wendisch lipa). Im Herbst 1996 verfasste der 82-Jährige eine mehrseitige Denkschrift zur dörflichen Tradition, der Leiper Linde und zum Spreewald als Kulturlandschaft. Darin heißt es: „Was uns verbindet, darf sich nicht in Festen und Feiern erschöpfen, und der Dank an das Alte darf sich nicht mit Folklore begnügen, so erfreulich das alles auch sein kann. Gedenken und Dank an das alte Leben muss sich in der Treue zur alten Spreewaldgesinnung zeigen, die sagen kann, was in den Spreewald gehört und was nicht, was ihm helfen könnte und was ihm schadet. Darauf könnte sich eine neue Dorfgemeinschaft gründen. Meint es nun ernst mit der Linde! Sie ist das alte Wahrzeichen für alles, was das Gemüt anspricht. Und wo das Gemüt spricht, sind die Menschen auch innerlich verbunden.“ Das Werk seines Großvaters Georg Gustav Buchan vor Augen, hat er die alte Obstallee, die einst den Weg säumte, 1998 wiederaufleben lassen. „Mein Großvater hatte sie gepflanzt, zusammen mit den großen Gärten ringsum das alte Gasthaus herum. Für ihn war schlichte Bauernarbeit nicht das, was Natur ausnützt, sondern das, was Harmonie und Schönheit bringt.“ [28]

Hugo Gustav Buchan verfasste noch weitere Denkschriften zum Erhalt der Kulturlandschaft Spreewald. Eine richtete er an den damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, er wirbt darin um einen Sonderstatus des Spreewaldes: „Was in der Natur stets vereint ist, Kausalität und Gestaltungskraft, hat die Neuzeit getrennt. Wir müssen daher Wissenschaft und Technik vereinen, um der Landschaft zu dienen… ansonsten wird uns morgen von der Landschaft unsere ständig steigende Schuld präsentiert!“ [28] Hugo Gustav Buchan war tiefgläubig und sehr dem Natürlichen zugetan. Sein Credo: „Wahrhaft Philosoph zu sein ist ein höherer Rang als Doktor oder Professor zu heißen. Und noch höher: wahrhaft Mensch zu sein“.

Noch im hohen Alter von 88 Jahren erwarb er ein Wochenendgrundstück im Schlaubetal, um ganz dicht an der Natur zu sein. „Ich will einfach jeden Morgen ums Haus gehen können“, begründete er seinem Umfeld diesen Entschluss. Zu diesem gehörten in seinen letzten Lebensjahren die Cottbuser Familien um Christel Mennel und Marianne Undisz. Beide Damen kümmerten sich um ihn fürsorglich, besonders als es ihm immer seltener gelang, sein Leben selbstbestimmt zu führen. Er verstarb fast 95-jährig am 29. März 2009 in Cottbus. Gustav Buchan blieb Zeit seines Lebens Junggeselle, er hatte keine Nachkommen und auch keine Familie mehr. Der Lübbenauerin Christel Trüstedt, seiner einstigen Geliebten, widmete er eines seiner traurigsten Gedichte. Sie verstarb sehr jung. Vielleicht schloss sich für ihn ein Lebenskreis, als er deren Familie, nun in der Person von Christian Balke, das Leiper Gasthaus 1992 verkaufte. „Möge das Neue gelingen, indem ihr das alte Wahre pflegt“, gab er den neuen Besitzern mit auf den Weg. Er selbst sah sich außerstande, das vom Konsum heruntergewirtschaftete Haus instand zu setzen. Christian Balke nahm 1992 einige Umbauten und Modernisierungen vor. Es ist die gleiche Firma, die bereits 1925 die Aufstockung vornahm. Der Spreewaldreiseservice MuA (Mieth & Atte) übernimmt für zwei Jahre die Geschäfte, um sie dann dem Lübbener Manfred Klee 1994 zu übergeben. Seit 2013 ist Marc Brenner der Pächter.

Ein kleines Dorf und sein großes Gasthaus

Viele Leiper fanden in der Gaststätte Arbeit. Nach der Übernahme durch den Konsum 1958 folgten zahlreiche weitere Pächter, deren Namen nicht mehr lückenlos nachweisbar sind. Gertrud Fritsche und Heinz Sprung, Peter Habermann und Gabi Vogt sollen hier stellvertretend genannt werden. In den DDR-Jahren erfolgen einige Umbauten, die Gaststätte erhält Trinkwasseranschluss, Außentoiletten werden gebaut, die Küche wird modernisiert.

Die Leiperin Traute Romke erinnert sich: „Ich war Mitte der 50er Jahre Aushilfe bei Callins. Wochentags hatte ich in der eigenen Landwirtschaft zu tun und am Wochenende Ausflügler bedient. Gefragt war auch meine Mithilfe in der Küche, und ich habe Bierkästen aus dem Keller geschleppt. Oskar Callin war als Kriegsinvalide einarmig und benötigte viel Hilfe. Ich erinnere mich an die Fischzubereitung: Der Hecht wurde von mir an Kopf und Schwanz auf dem Gartentisch genagelt und Callin schuppte dann mit einer Hand den Fisch. Meine Aufgabe war es auch, seine Oberhemden zu bügeln – 18 Stück in der Woche, da er täglich mehrmals die Hemden wechselte. Ich half auch im Kiosk mit. Wurde Milch benötigt, ging ich einfach in den Stall und molk frische Milch für die Gäste.“ Fisch wurde in den Fischkästen lebend gehalten und bei Bedarf frisch geschlachtet. Mit Stammgästen wurde manchmal in der warmen Küche Skat gespielt, wenn es in der Gaststube schon zu kalt war. In der Weinstube war kaum Platz, sie wurde auch nur selten benutzt. Dort hatte einEnkel Callinsseine Modelleisenbahn aufgebaut. Die Leiperin Ingeborg Lossack half ebenfalls oft am Wochenende aus. „Am schlimmsten waren die vielen Treppen und das schwere Geschirr!“, erinnert sie sich an die mühevolle Arbeit dort.Georg Staritz war Anfang der 60er Jahre eigentlich Buffettier. „Wir haben aber damals alles gemacht: Teller geschleppt, zum Feierabend gewischt und zwischendurch immer wieder die Gäste bedient, die in langen Schlangen an der Selbstbedienungstheke standen. Den meisten Zulauf hatten wir, als wir den ersten Fernsehapparat im Dorf hatten. Da war jeden Abend die Kneipe auch von Leipern voll!“, erinnert er sich.

Die Leiperin Marlene Jedro war von 1986 – 1990 für den Kiosk zuständig. „Da es immer sehr schnell gehen musste, weil die Kähne weiter sollten und immer neue ankamen, habe ich an manchen Tagen Unmengen verkauft. Tageseinnahmen von 3000 DDR-Mark waren da schon mal drin – eine hohe Summe, wenn man die niedrigpreisigen Produkte dabei sieht“, erinnert sie sich. Sie weiß auch noch, dass das damalige Pächterpaar Gabi und Eckhard Vogt sehr um die Kulturarbeit bemüht war. Gerade in der besucherarmen Zeit, war ihnen sehr daran gelegen, dass die einheimische Kundschaft den Weg in die Gaststätte fand. Dorftanz, Trachtenball und Zampern sollen da als Beispiele genannt werden.

 

Zusammenfassung in Zahlen

1670 Gaststätte „Alte Schänke“[5] gelangt in Besitz der Familie
1674 George Bestro[6] bekommt gräfliches Land
um 1680 Erteilung Schankrecht für Bier
1707 Friedrich Casimir Graf zu Lynar gestattet George Bestro, den Bierschank „weiterhin“ zu betreiben und zusätzlich Branntwein zu brennen und auszuschenken[7].
1709 Eine gräfliche Urkunde bestätigt dem „Schenker[8]Geoge Bestroen aus Leipe“ zusätzliche Landnutzung
1736 Übertragung des Schankrechts von George Bestro auf seinen Sohn Hannß Bestro, Untertaneneid und Wegfall des Schutzgeldes.
1766 Hannß Schenker, Büdner zu Leipe, verkauft seinem Sohn George Schenker Land und Schänke
1805 George Schenker überträgt seinem Schwiegersohn Matthes Buchan Land und Schankrecht, vererbt aber gleichzeitig an Georg Schenker (Sohn) und die Töchter Anne Henzka und Margarethe Jedro.
1818 David Buchan verstorben; sein jüngster Sohn Matthes Buchan ist verh. mit Christiane Schenker (7 Kinder), weiterer Sohn Hanns Buchan (Holzknecht auf Wotschofska)
1821 Matthes Buchan übergibt an Matthes Buchan (jun.), der sein Erbe gleichzeitig an seinen Bruder Hanns Buchan abtritt ???
um 1840 Eine geborene Buchan heiratet den Burger Leinewebermeister Matthes Lehmann
17.06.1845 Georg Gustav Buchan geboren, später verh. mit Johanna Kreppel, geb. 17.12. 1845
1861 Gottlieb Buchan (?)
1864 Georg Gustav Buchan (Großvater von Hugo Gustav Buchan) baut das Ausflugslokal
29.12.1873 Matthias Hugo Buchan geboren (Vater Schankwirt Georg Gustav Buchan, Mutter Anna, gebn. Kreppel), der spätere Bleiche-Wirt bis 1913
Um 1875 In Leipe soll es zwei Gaststätten gegeben haben, Buchan und Rogatz.
1914 Er heiratet am 14.05.1914 die mit Gustav Hugo hochschwangere Anna Weidlich (geb. 05.08.1888 in Mellenau, Kr. Ohlau)
1908 Hugo Buchan wird in einer Werbeanzeige von 1908 als Besitzer der Burger Bleiche genannt.
1913 Hugo Buchan muss die Gaststätte Bleiche versteigern lassen
01.06.1914 Sohn Gustav geboren (Bleiche, Burg) – sein Pate war der „Alte Fritz“, wie er später gern vermerkte (Denkmal an der Bleiche)
1915 Gräfin Lynar bedankt sich bei der Gastwirtschaft für die Birnen mit
1917 Gräfin Lynar bedankt sich mit einem für die „schönen Äpfel“
14.11.1922 Matthias Hugo Buchan (geb. 29.12.1873) verstirbt in Leipe
1924 Bauherrin Anna Mockwitz beantragt Umbau der Gaststätte
1925 Witwe Anna heiratet den Gastwirt Friedrich Mockwitz (1914 Wotschofska übernommen) – s. Wotschofska
1925 Aufstockung des Gebäudes durch die Lübbenauer Firma Trüstedt & Balke: Ein Saal entsteht und 21 Fremdenzimmer

14. Mai 1925, Donnerstag, Lübbenauer Tageblatt Nr. 75

[…] In Leipe sind dem alten, festen Steinbau zwei Stockwerke aufgesetzt worden, wodurch nicht nur ein großer Saal, sondern auch 21 Fremdenzimmer gewonnen wurden.

1928 Das Hotel bekommt eine Elektroinstallation
06.08.1930 Georg Gustav Buchan (geb. 17.06.1845) verstirbt in Leipe
27.07.1933 Friedrich Mockwitz verstirbt
ab 1936 Anna Mockwitz und Sohn Gustav kümmern sich um die Halbjüdin Elisabeth Hammerschmidt und bieten ihr Unterkunft und Verpflegung. Dabei sind sie Anfeindungen aus der Leiper NSDAP-Ortsgruppe ausgesetzt.
1946 Gebäudewert wird für die Feuerversicherung auf 127 000 Reichsmark festgesetzt.
1948 Gaststätte wird von der Mutter Anna Mockwitz auf die Kinder Gustav Hugo Buchan und Annemarie Wintgen (gebn. Buchan) übertragen
1950 – ca. 1960 Landkinoveranstaltungen im Haus
1954 (1953?) Gerhard und Margot Schröder, gebn. Callin, pachten die Gaststätte, die Eltern Oskar und Marie Callin (ehemals Pächter der Pohlenzschänke) werden angestellt
15.12.1958 Konsum pachtet Gaststätte (bis 1991 jährliche Pacht: 500 DDR-Mark), Schröders übernehmen den örtlichen Konsumladen
09.06.1959 Inventarwert: 7392,20 DM
1962 – 1965 Leipe bekommt einen zentralen Trinkwasseranschluss. Bis dahin versorgten sich die Einwohner mit Wasser aus den Fließen und den wenigen Brunnen.
Ende 1960er Jahre Konsum baut die alte Holzterrasse ab und ersetzt sie durch einen spartanisch-modern gehaltenen Neubau, ebenso werden die Außentoiletten und Küche umgebaut
1973 (?) Errichtung von 7 Bungalows durch Konsum
1980 Konsum erweitert Kahnanlegstelle, Ulme wird gefällt (Stubben verbleibt)
19.12.1990 Wertermittlung des Hotels durch Gutachter: 11 386,50 DM
31.12.1991 Pachtverhältnis mit Konsum endet: Elektro- und Wasserinstallation sind verwahrlost und nicht mehr zumutbar – Streit wird zwischen Vermieter und Pächter (Konsum) wird vor Gericht ausgetragen
1992 Übergabe der Gaststätte durch Hugo Gustav Buchan an die Lübbenauer Familie Trüstedt-Balke
1992 Neueröffnung nach Renovierung und einiger Umbauten durch Fa. Trüstedt-Balke
Pachtvertrag mit MuA-Reiseservice[9]
01.03.1994 Der Lübbener Manfred Klee wird Pächter (s. LR 30.03.94). Gemeinsam mit Frau, Sohn und Tochter führt er das Hotel. Er war vorher 13 Jahre Chef im Lübbener Strandcafe, musste dies aber wegen der Ansprüche des Alteigentümers aufgeben.
1998 Hugo Gustav Buchan lässt die Obstbaumallee wieder neu anlegen
29.03.2009 Hugo Gustav Buchan verstirbt in Cottbus
1.1.2013 Marc Brenner übernimmt die Gaststätte von Manfred Klee

 

Peter Becker, 20.01.17

aus: Becker/Franke; Spreewald kulinarisch-Rezepte und Gasthäuser, Limosa, 2015

[1] In den Urkunden taucht der Name auch als Pestro, Bestroen, Böstrow, Boestro oder Bestro auf

[2] Buchan: wendisch “buchaś” erläutert (= klopfen, knallen, schlagen, einen starken Laut erzeugen).

[3] Lehmann = wend. Lehnigk

[4] In der Cottbuser Bahnhofstraße 62 erinnert ein Stolperstein an ihn und sein zwei Brüder: Fritz (*1894) und Walter Hammerschmidt (*1900)

[5]Gustav Buchan gibt in seinen handschriftlichen Unterlagen die „Alte Schänke“ an, ohne auf eine genaue Quelle zu verweisen.

[6] In den Urkunden tauchen verschiedene Schreibweisen auf; sie können nicht eindeutig entziffert werden. Vermutlich wurde der Name von den jeweiligen Amtsschreibern unterschiedlich geschrieben.

[7]Das Schankrecht für Bier war bereits vor 1707 erteilt worden („seit nahezu 30 Jahren“).

[8] Bestro könnte auch Vorbesitzer der um 1875 erwähnten Gaststätte Rogatz gewesen sein [16]

[9] MuA = Mieth und Atte-Spreewaldreiseservice

 

Über Peter Becker 367 Artikel
Jahrgang 1948, Diplomlehrer, Freier Journalist und Fotograf

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