Matthias Härtig, der Theatermensch im Spreewald

Matthias Härtig

Wer im „Arzgebirg“, in einer musikalisch-künstlerischen Familie aufgewachsen ist, der kann nur Künstler werden. Matthias Härtig erlebte noch die Hausmusik in der guten alten Art. „Wenn die acht Geschwister meines Großvaters zu Besuch kamen, wurde zuerst Musik gemacht, von allen – das reinste Orchester“, erinnert sich der 1955 in Olbernhau Geborene. Sein Vater jazzte mit, die Mutter rezitierte dazu eigene Gedichte. Seine Familie war eine Bühne, und auf die wollte er auch. Das ging aber nur mit solider Ausbildung, Klavierunterricht stand an, nicht immer gern gemocht. Draußen, in der Welt, lärmten inzwischen die Stones – Rockmusiker wollte der Heranwachsende nun werden. Er brachte sich das Gitarrenspiel bei und trat an der EOS, der Erweiterten Oberschule, im Singeklub auf, wie die Talentschmieden damals hießen. „Wir waren eine lustig-sangesfreudige FDJ-Gruppe, mit dem Sohn des Pfarrers als Bandsänger“, blickt Matthias Härtig auf seine künstlerischen Anfänge zurück. Noch war allerdings nicht ganz klar, was er eigentlich werden wollte, denn er verfasste auch Texte im Zirkel schreibender Arbeiter. „Ich werde singender Schauspieler“, ließ er seine Familie und Freunde kurzentschlossen wissen. An der Theaterhochschule Leipzig meldete sich Matthias Härtig zur Aufnahmeprüfung an. Ihm war etwas flau im Magen, denn trotz aller Bemühungen konnte er sein vorbereitetes Kleist-Stück nicht vollends vom erzgebirgischen Singsang befreien. Die Prüfungskommission konnte nicht genug von ihm hören: Sein angesächselter Kleist wurde mit viel Humor auf- und er auf Anhieb angenommen.

Viele Theater, viele Engagements vor, auf und hinter der Bühne, folgten nach dem Studium. Es ging von Stralsund über Potsdam bis Zittau, um dann in der geografischen Mitte anzukommen, die erst mal Cottbus hieß. Der Diplomschauspieler kam hier über die Theaternative C in Kontakt mit den ebenfalls aus Sachsen stammenden Schauspieler*innen Sylvia Burza und Matthias Greupner, man schmiedete gemeinsam Pläne – der „SachsenDreyer“ wurde 2005 geboren. Sie tingelten anfangs noch von Ort zu Ort, von Frauentagsfeiern zu Weihnachtsfeiern – was fehlte, war ein eigener Rückzugsort, ein eigenes Haus. Der berühmte Zufall bescherte ihnen 2006 einen Auftritt in Lübbenau, zur Neujahrsfeier der Stadtverwaltung. Man kam danach ins Gespräch. „Wir haben da in Bahnhofsnähe ein Haus, aber keine Künstler …“ ließ die Verwaltung durchblicken, was bei den Künstlern auf sehr offene Ohren stieß – der Rest ist Geschichte. Die Eröffnung der Bunten Bühne erfolgte am 11.11.2011. Lübbenau hatte sein Theater und seine Schauspieler. Und genau so wollen die drei auch wahrgenommen werden, als „unsere Schauspieler“, die für Ablenkung im Alltag, für Kultur und gute Laune in der Stadt sorgen.

Matthias Härtig sieht darin seine Hauptaufgabe: „Den Menschen beizustehen, sie zu erheitern und ihnen somit den Alltag meistern helfen – darin sehen wir unseren Beitrag, ganz konkret hier im kleinen Lübbenau, wo jeder jeden kennt, wo man im Supermarkt angesprochen wird, wo man dicht dran am Publikum ist.“

Die Stadt nimmt Anteil an ihrem Theater, gerade jetzt, wo Einschränkungen aller Art an der Tagesordnung sind. Die wenigen Vorstellungen, zuletzt im Sommer das Härtig-Stück „Ein ungleiches Paar“, wurden zum Erfolg, wenn auch mit Beigeschmack. Matthias Härtig: „Die Logik, dass eine Veranstaltung ausverkauft ist, aber nur ein Drittel Zuschauer im Saal sitzt, ist schwer zu begreifen. Von diesem Drittel kommt natürlich auch nur ein Drittel zurück auf die Bühne: als Zustimmung, Applaus und was auch immer der Schauspieler da oben braucht, was ihn motiviert – und wir haben eben auch nur ein Drittel der Einnahmen“.

Das Schauspielerteam bereitet aktuell das Weihnachtsprogramm vor – wohl wissend, dass es womöglich gar nicht aufgeführt werden kann. Höchstens als Film im Netz, in der Hoffnung auf Spenden. Keine leichte Zeit für Schauspieler, die als Freiberufler auf Einnahmen angewiesen sind! Matthias Härtig: „Abwarten ist für uns keine Option. Wir sehen uns in der Pflicht, für unser Publikum gerade jetzt da zu sein, ihm zu helfen durch die Zeiten zu kommen. So wie sie uns über die Jahre die Treue hielten“. Er, der nebenbei noch als Dozent für Musikpädagogik an der Cottbuser Universität tätig ist, sitzt in der übrigen Zeit am Keyboard, im leeren Saal der Bunten Bühne. Er komponiert und dichtet an der „Pension Spreewald“, Teil 6, einem der Erfolgsstücke der Bunten Bühne. Ab und zu schaut einer der Schauspieler*innen vorbei – auch sie haben Sehnsucht nach der Bühne. Gemeinsam wird nach Lösungen gesucht, um Theater machen zu können oder sich irgendwie den Lübbenauern zu präsentieren. In der ersten Lockdownphase gab es sogar eine Art Autotheater auf dem Gelände des ehemaligen Lübbenauer Kraftwerks. „Leider mit mäßigem Erfolg“, schränkt Härtig ein. Ferienlesungen mit Kindern – und mit gehörigem Abstand zwischen allen – brachten da schon eher Erfolg und Zustimmung. Das Theater der Lübbenauer war und ist nicht nur Spielstätte. Matthias Härtig: „Wir sehen uns als eine Art Gemischtwarenladen und stellen unsere Räume für Veranstaltungen aller Art zur Verfügung, aber selbst das funktioniert gerade nicht“, schätzt er ein. Es ist ihm anzumerken, dass es ihm und seinem Team in vielerlei Hinsicht weh tut, die Füße stillhalten zu müssen. „Wir wollen für alle da sein und können es nicht, das schmerzt, das legt sich aufs Herz“, so Härtig.

Peter Becker, 18.11.2020

Über Peter Becker 361 Artikel
Jahrgang 1948, Diplomlehrer, Freier Journalist und Fotograf

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