Über das Leben in Myanmar in Zeiten von Corona – ein Vetschauer Auswanderer berichtet und vergleicht

Carsten Schmidt in Rangon

Carsten Schmidt wurde 1979 geboren und wuchs in Vetschau auf. Nach dem Abitur und nach der Bundeswehrzeit folgte eine Ausbildung zum Hotelfachmann im Hochsauerland und in einem Beach Resort in Myanmar – wo er nun schon seit 16 Jahren lebt. Als „Group Director of Operations & Products“ organisiert er für Reiseunternehmen aus aller Welt Kultur- und Erlebnisreisen, gestaltet Flitterwochen und betreut Film-Crews. Eigentlich hätte er alle Hände voll zu tun, sein Telefon würde nie stillstehen und er auch nicht, denn er wäre viel unterwegs – aber nicht in diesem Jahr: Schon vor sechs Monaten berichtete er das erste Mal über den Lockdown in seiner neuen Heimat, dabei immer der Hoffnung folgend, dass es bald wieder „losgehen“ würde, die Verluste wettgemacht werden und der Alltag wieder Fahrt aufnimmt. Doch es sollte alles noch schlimmer kommen. Carsten Schmidt hat aufgeschrieben, wie sein Leben heute aussieht:

„Hier in Myanmar ist die erste Welle zu Beginn der Krise, verglichen mit Europa und den USA, relativ mild verlaufen. Die Zahl der bestätigten Infektionen im Frühjahr war verhältnismäßig gering. Nichtsdestotrotz hatte die Regierung schon zu dieser Zeit rasch reagiert und entsprechende Maßnahmen getroffen. Auch während des Sommers blieben die Zahlen relativ stabil. Dennoch kam es ab Mitte August zu einer zweiten Welle und einem Anstieg der bestätigten Infektionen.

Inzwischen wurden im gesamten Land ca. 45.000 Fälle bestätigt und der durchschnittliche Anstieg beträgt in den letzten Tagen mehr als 1.000 neue COVID-19-Fälle. Es gibt über 1.000 Menschen, die an oder mit dem Virus gestorben sind, die meisten davon in Yangon. Die Stadt hat über fünf Millionen Einwohner und ist das wirtschaftliche Zentrum des Landes – und nahezu vom Rest der Welt abgeschottet, Reiseverkehr findet nicht mehr statt.

Meine Kollegen und ich arbeiten von daheim aus und haben uns schon einige Wochen nicht mehr persönlich getroffen. Sämtliche Restaurants, Bars und Schulen sind geschlossen. Das Angebot an Lieferservices dagegen ist förmlich explodiert und per App gibt es zahlreiche Optionen für die Lieferung von Lebensmitteln direkt bis an die Haustür.  Auf den Straßen ist nur sehr wenig los. Es gilt Maskenpflicht und am Eingang von Supermärkten wird die Temperatur gemessen. Auch die vielen Pagoden sind geschlossen.

Eigentlich findet während des Vollmonds im Oktober das Thadingyut Festival statt, welches auch als Lichterfest bekannt ist (s. Fotos). Nach dem Thingyan Festival, dem burmesischen Wasserfest im April, handelt es sich um das zweitbeliebteste Festival in Myanmar. Dabei wird an den Abstieg Buddhas vom Himmel erinnert. Normalerweise finden während des Thadingyut Festivals im gesamten Land kostenlose Filmvorführungen und Bühnenshows mit traditioneller Musik statt. Es gibt Straßenstände, an denen eine Vielzahl lokaler Snacks verkauft werden, aber auch Spielzeug, Küchenutensilien und andere nützliche Dinge. Feuerwerkskörper und Feuerballons sind ebenfalls sehr populär. Aufgrund der Pandemie werden die Festlichkeiten in diesem Jahr nicht oder nur begrenzt möglich sein. Mit Deutschland verglichen, kommt das fast einem Verbot von Weihnachtsmärkten gleich.

Auch die bevorstehenden Wahlen am 8. November 2020 werden die Behörden vor organisatorische Herausforderungen stellen. Die Regulierung für Ansammlungen wurde gelockert, so das während der Wahl auch mehr als 30 Menschen zusammenkommen können.

Das Tragen von Masken ist eine Selbstverständlichkeit in Myanmar, genauso wie alle anderen Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus. Ich verfolge täglich die Nachrichten aus Deutschland, lese LR-Online und fühle mich gut informiert. Wenn ich mit meinen Kollegen oder Freunden über die Diskussionen in Deutschland spreche, dann stoße ich nur auf Unverständnis. Dass sich in der Heimat anscheinend noch immer viele Menschen über die Einschränkung ihrer persönlichen Rechte aufregen oder gar die Existenz der Pandemie infrage stellen, das ist für uns und mich alle hier vor Ort unbegreiflich. Die Gefahren, die Art und Weise der Verbreitung des Virus sind bekannt. Ich habe in den sozialen Medien oft gesehen, dass eine Gesichtsmaske als „Maulkorb“ bezeichnet wurde – so etwas geht wohl gar nicht für so manchen „mündigen“ und „alles besser wissenden“ Bürger.

Masken bieten keinen hundertprozentigen Schutz, wie inzwischen jeder weiß, den werden wir damit wahrscheinlich nie erreichen. Es geht auch nicht hauptsächlich um den eigenen Schutz, sondern in erster Linie um die Eindämmung der Ausbreitung des Virus und dem Verhindern, das das Gesundheitssystem an seine Grenzen stößt, so wie es während der ersten Welle in der Lombardei der Fall war. Auf einer Intensivstation zu liegen und an einem Beatmungsgerät angeschlossen zu sein ist, sicherlich unangenehmer als das Tragen eines „Maulkorbs“.

In Anbetracht der globalen Lage denke ich, dass es keine Rolle spielt, wo man wohnt, welcher Religion man angehört oder welches politische Lager man unterstützt. Es ist ganz einfach nicht die richtige Zeit für eine Grundsatzdebatte. Es gilt, sich zusammenzureißen und die eigenen Interessen zum Wohle der Gemeinschaft in den Hintergrund zu stellen, um diese schwierige Krise gemeinsam zu bewältigen.“

Alle Fotos von Carsten Schmidt

(Quellen: https://mohs.gov.mm/Main/content/publication/2019-ncov und https://covid19.who.int/region/searo/country/mm)

Peter Becker, 27.10.2020

Über Peter Becker 366 Artikel
Jahrgang 1948, Diplomlehrer, Freier Journalist und Fotograf

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