Einsam und doch nicht einsam – Leben auf den Radduscher Kaupen

Christa Lamster
Christa Lamster

Christa Lamster sitzt in diesen Tagen, an denen es spät hell und viel zu zeitig dunkel wird, an ihrem Fensterchen, den Blick in die Ferne gerichtet. „Morgens geht manchmal die Sonne ganz blutrot über den Spreewaldwiesen auf, manchmal stehen dann die Rehe bis zum Bauch im Nebel. Dieses Schauspiel möchte ich nicht verpassen und es auch noch oft erleben“, erzählt die 86-Jährige, die seit Jahren allein in einem der ältesten und wohl auch kleinstem Radduscher Haus lebt. Klein ist in diesem Haus tatsächlich alles: Fenster und Türen, die Küche (das Küchlein), Schlafzimmer mit Bad und Wohnzimmer – alles ist auf den Zentimeter genau verplant und eingerichtet. Die Waschmaschine steht im ehemaligen Bullenstall, ein ebenso kleines Nebengelass. Das 1850 auf den Radduscher Kaupen entstandene Haus verfiel zu DDR-Zeiten und nur Siegfried Lamster, ihrem verstorbenen Ehemann, ist es zu verdanken, dass es gegen alle behördlichen Widerstände neues Leben erhielt. Für die 1200 Quadratmeter Grundstück in bester Spreewaldlage und dem Häuschen mit 33 Quadratmeter Wohnfläche sollte er 3 000 DDR-Mark entrichten – über diesen Preis mag man heute lächeln. Der passionierte Angler und Jäger entdeckte es vor fast genau 50 Jahren bei seinen Streifzügen durch den Spreewald, er war sofort Feuer und Flamme. Die Familie, aus dem sächsisch-anhaltinischen stammend, bewohnte mit ihren drei Kindern eine Lübbenauer Neubauwohnung. Der Energiewerker und die Erzieherin suchten nach einer Wochenendbleibe, die sie nun in Raddusch gefunden zu haben schienen. Zuerst notdürftig, dann solider repariert und restauriert, wurde es bald das Wohnhaus der beiden, denn die Kinder gingen inzwischen eigene Wege.

Die räumliche Enge erwies sich bald als Vorteil, alles ist greifbar nah, besonders wenn „die Beine und das Herz nicht mehr so wollen“. Im Sommer ist es durch die kleinen Fenster angenehm kühl, im Winter dagegen sind die kleinen Räume schnell zu beheizen. Glücklicherweise sind alle Kinder in der Nähe, sie können bei Besorgungen helfen und bei den vielen kleinen Dingen, die der Gehbehinderten schwerfallen. Christa Lamster ist stolz auf ihre Kinder, „aus denen alle was geworden ist“, besonders auch auf ihre Enkel. Sie nimmt Anteil an deren beruflicher und schulischer Entwicklung, kennt sich aus bei Bachelor- und anderen Studiengängen und weiß über vieles aus deren Berufsalltag Bescheid. Leider machen die Augen nicht mehr so mit, denn noch bis vor Kurzen hat sie viel, besonders die Tageszeitung, gelesen. „Nun sind Fernseher und Telefon meine besten Freunde. Wenn ich es mir auf der Couch bequem mache, mein Strickzeug dabeihabe und auch sonst noch das, was ich so brauche, geht es mir ganz gut. Ich stricke dann Handschuhe -mit Muster- für meine Familie, schaue mir (manchmal kopfschüttelnd) das Programm an und warte dann nur noch auf die allabendlichen Anrufe“, spricht Christa Lamster über ihren Tagesablauf. Neben den Anrufen aus der Familie sind es auch die ihrer Müchelner Schulfreundin. Seit über 70 Jahren sind sie im Kontakt, erzählen sich beinahe wöchentlich Jugenderlebnisse und teilen ihre Alltagssorgen. Manchmal so lange, dass sich die Familie wegen des ständig besetzten Telefons beginnt Sorgen zu machen.

Obwohl eigentlich in der Einsamkeit der Radduscher Kaupen lebend, ist es besonders im Sommer alles andere als einsam. Vor ihrem Fenster paddeln Urlauber laut schwatzend vorbei, auf dem Deich kommen radeln Urlauber und aus den Kähnen werden Handys hochgehalten, um das schöne kuschlige Spreewaldhaus zu fotografieren. Manchmal verlässt Christa Lamster ihren Fensterplatz und setzt sich auf die Bank vorm Haus und erfreut sich über die Kurzweil. Die Lage des Hauses und die charismatische Besitzerin sind es auch, die immer wieder TV-Teams anlocken. Erst kürzlich war das Regionalfernsehen bei ihr, auch eine Spreewald-Krimi-Szene wurde bei ihr gedreht. Besucher kann sie nicht genug warnen, ihren Kopf einzuziehen. „Unsere nur 1,56 Meter hohe Eingangstür zwingt jeden zu einer demütigen Haltung beim Betreten des Hauses, andernfalls wird er sogleich schmerzhaft bestraft“, erzählt die Besitzerin, die trotz aller Alltagsmühen ihren Humor nicht verloren hat.

Christa Lamster, Kaupen, Raddusch

Info-Box: Die Radduscher Kaupen sind erst seit etwa 80 Jahren auf dem Landweg erreichbar. Bis dahin galt der Kahn als einzige Zugangsmöglichkeit. Hier sind auch einige Spreewälder Sagen verortet, etwa die von der Froschleiter, vom letzten Sparren und vom Fischer Jedro.

Peter Becker, 03.01.2019

Über Peter Becker 367 Artikel
Jahrgang 1948, Diplomlehrer, Freier Journalist und Fotograf

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