Vom Pimpf zum Maler

Paul Piesker

Paul Piesker aus dem Spreewalddorf Lehde war einer von denen, die einfach zur falschen Zeit geboren wurden. Wer zwischen 1920 und 1930 in Deutschland auf die Welt kam und männlich war, hatte keine gute Prognose. Aber so etwas lässt sich heute nur im Rückblick sagen, damals war für jeden die Welt noch in Ordnung, ein normales Leben wie eh und je, mit Höhen und Tiefen schien vor ihnen zu liegen. Niemand ahnte, dass viele das Jahr 1945 nur mit viel Glück er- und überleben werden. Paul Piesker war Jahrgang 1926 und einer von den wenigen, die den Krieg überstanden, wenn auch schwer gezeichnet. Doch zunächst erlebte er eine unbeschwerte Kindheit, von einer liebevollen Mutter umsorgt, inmitten des Spreewaldes. Mit den braunen Machthabern hatte er früh schlechte Erfahrungen gemacht. Anfangs noch begeisterter Pimpf und gern das Braunhemd tragend, wurden ihm die Demonstrationen und Aufmärsche langsam lästig – es waren keine politischen Gründe, es war einfach die Zeit, die ihm fehlte. Je größer er wurde, desto öfter fuhr er mit dem Kahn Feriengäste. In guten Zeiten verdiente er mehr als seine Mutter, die im Café Venedig arbeitete. Sein Fahrrad, sein Konfirmandenanzug und noch so manchen anderen Wunsch finanzierte er mit selbstverdientem Geld. Wiedermal aus „Zeitgründen“ nahm er an einem Pflichtumzug zum 1. Mai nicht teil, aber sah vom Straßenrand zu, denn die Anwesenheit war befohlen worden. Er wollte danach so schnell es ging mit seinem Fahrrad zurück nach Lehde, die Urlauber warteten. Vielleicht war er in Gedanken schon bei der Kahnfahrt, sodass er vergaß, die Hakenkreuzfahnen zu grüßen. Eine schallende Ohrfeige war die Folge, er bekam sie von einem Zugordner. Für ihn war klar, dass er nie wieder zu den Pimpfen gehen wird, diese Demütigung saß tief. Erstmal blieb sein Entschluss scheinbar ohne Folgen, allerdings bekam er einfach nach der Schule keine Lehrstelle, was sich der gute Schüler, nicht erklären konnte …

Paul Piesker wurde 1943 mit knapp 18 Jahren zur Wehrmacht eingezogen. Er überlebte den Krieg, aber beinahe nicht die Gefangenschaft. In Belgien musste er in einem Steinkohlenbergbau Unmenschliches leisten und bekam eine schwere Lungenkrankheit, Tbc, die ihn nie wieder größere körperliche Anstrengungen erlauben sollte. Stark geschwächt und krank, kam er 1948 zurück in sein geliebtes Lehde. An die schwere Arbeit in der Landwirtschaft war nicht zu denken, außerdem standen mehrere Klinik- und Sanatorienaufenthalte an. In dieser Zeit besann er sich auf sein schon in der Schulzeit vorhandenes Zeichentalent. Zum Müßiggang verurteilt, blieb ihm das Zeichnen und Malen als sinnvolle und immer öfter auch geldbringende Tätigkeit. Als Vollkriegsrentner bekam er 55 DM im Monat. Für die Wohnung, die er sich inzwischen in Lübbenau genommen hatte, zahlte er 39 DM Miete. Seinen Eltern hatte Paul Piesker in dieser schweren Zeit viel zu verdanken, wenn er auch wenig zurückgeben konnte. Seine Mutter versorgte ihn regelmäßig mit Leinöl, denn sie war überzeugt, dass dies ihm guttun würde. Und tatsächlich trat eine leichte Besserung ein, die ihm sogar ein paar Stunden Lohnarbeit erlaubte. Bei seinen Elternbesuchen kam er öfters bei Frau Stühmert vorbei. Die alte Frau saß bei schönem Wetter vor ihrer alten Hütte in den Kaupen und malte. Paul Piesker, ohnehin von der Malleidenschaft längst gefangen, kam mit ihr ins Gespräch und bald folgten gemeinsame Sitzungen. Das größte Problem waren damals die Materialien, denn es gab weder gute Farben noch gute Pinsel, von Leinwand ganz zu schweigen. Hier half der Zufall ordentlich nach: Paul Piesker hatte eine Tante in Westberlin und bei einem seiner Besuche erfuhr er, dass sie auf dem Dachboden die gesamte Hinterlassenschaft ihres verstorbenen Ehemanns deponiert hatte – eines Malers. Die eine war froh, ihren Boden nun wieder in Ordnung zu haben, der andere war froh, für die nächste Zeit versorgt zu sein. Paul Piesker konnte sogar noch seiner malenden Bekanntschaft auf Kaupen ein wenig mit Material helfen. Die ersten in Öl gemalten Motive waren Blumen, es folgten Spreewaldlandschaften und immer öfter erste Auftragswerke. Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten legten ihm Fotos ihrer verlorenen Heimat vor, die er prachtvoll in Szene setzen konnte. Seine Maltechnik, seine künstlerische Ausdruckskraft wurde immer besser, erste Ausstellungen folgten, wie die 1963 im Lübbener Schloss. Seine Ölbilder sind vielleicht nicht Kunstwerke im eigentlichen Sinne, dazu sind sie zu realistisch, fast primitiv-naiv. Künstlerkollegen haben seine Malerei sicherlich als „Brotmalerei“ abgetan, aber genau das war sie schließlich auch. Paul Piesker kam es nicht darauf an, Kunst zu schaffen, die nur wenige verstehen würden, Kunst die letztlich nur polarisieren würde. Ihm war es wichtiger, für sich und seine Familie, inzwischen in zweiter Ehe verheiratet, tatsächlich das täglich‘ Brot zu verdienen. Dass er ganz „nebenbei“ den Menschen eine Freude machte, war ein gewünschter und angenehmer Effekt. Seine Ölgemälde zeigen die Schönheit des Spreewalds, sie zeugen von den Traditionen und der Liebe der Menschen zu ihrer Heimat. Noch heute sind seine Werke anzutreffen, ob in Privatwohnungen oder in öffentlichen Einrichtungen. Bis zu seinem Lebensende 2002 malte er unermüdlich, keiner hat seine Werke gezählt.

 

Peter Becker, Febr. 2018; nach Aufzeichnungen von Evelyne Lungwitz und mit Unterstützung von Hans-Joachim Nemitz

 

Über Peter Becker 359 Artikel
Jahrgang 1948, Diplomlehrer, Freier Journalist und Fotograf

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