Bei Koals schwimmt die Arbeit davon

Übergabe an Yves Schwarz, Neu-Zauche

Sie hießen und heißen alle Karl, die Koals, die Kahnbauergeneration seit 1884 in Lehde. Urgroßvater Carl Richter (der einzige mit „C“ im Vornamen), gründete das Traditionsunternehmen und führte es bis 1930, danach endete erst mal der Kahnbau in Lehde. Seine Tochter Johanna  bewahrte alle Werkzeuge auf, sie wollte sich nicht vom Lebenswerk des Vaters trennen. Eine gute Entscheidung, wie sich später herausstellen wird. Ihre Tochter Anna heiratete einen Karl Koal, ihr gemeinsamer Sohn Karl setzte nur auf Landwirtschaft und den Meerrettichanbau einschließlich dessen Verarbeitung, weniger auf das Bauen von Spreewaldkähnen. Erst wiederum sein Sohn Karl, 1960 geboren, der gelernte Tischler, wollte wieder mehr Kähne bauen. Aber Kahn bauen kann man nicht lernen, dass ist kein Lehr- höchstens ein „Abguck-Beruf“. Bei Karl Kolkwitz, einem Lübbenauer Kahnbauer, holte sich Karl Koal jun.  das nötige Rüstzeug und baute 1985 seinen ersten Kahn. „Das alte Werkzeug meiner Großmutter erwies mir nun gute Dienste. Ich hatte mich schon lange danach gesehnt, damit mal wieder einen Kahn zu bauen. Solches Werkzeug ist selten und schwer zu bekommen. Großmutter  Johanna hat mir deshalb, ohne dass sie es je hätte noch erfahren können, eine wesentliche Starthilfe geleistet.“ Karl Koal ist ihr heute noch überaus dankbar. Schwierigkeiten bereitete ihm dagegen die Holzbeschaffung. Das knappe Gut wurde damals in der DDR-Planwirtschaft streng kontingentiert. Die alteingesessenen Kahnbauer teilten sich die lange Stammholzware oft unter sich auf, der junge Koal musste meist mit Kurzbrettern zufrieden sein, wie sie für die Bodenbeplankung durchaus nötig waren. Auf die langen Seitenteile musste er sehr viel länger warten.

Aber vom Kahnbau allein kann man nicht leben, diese Erfahrung machten die Koals schon seit Generationen. Deshalb wurde der Parallelzweig Meerrettichanbau und –verarbeitung stets weiter geführt, die ganze Zeit, nur von den Kriegsjahren unterbrochen. „Eigentlich war mir das zu viel, ich wollte nur Kähne bauen, aber mein Vater hatte schon Recht, wir müssen ja auch im Winter was zu tun haben.“ Offensichtlich entwickelte sich das Unternehmen in der DDR-Wirtschaft doch recht prächtig. So prächtig, dass es kurz nach dem Bau des neuen Produktionsgebäudes kurzerhand enteignet wurde. Zu viel Kapitalismus passte nicht in den sozialistischen Staat. Karl wurde aber  wenigstens Betriebsleiter des eigenen Betriebes und konnte die Firma nach der politischen Wende, sein angestammtes Eigentum, von der Treuhand wieder zurück kaufen.

Der Kahnbaubetrieb musste sich nun in der Marktwirtschaft beweisen, was eigentlich auch gut gelang. Konkurrenz erwuchs ihm aber aus den Aluminiumkähnen die wesentlich pflegeleichter und auch haltbarer, allerdings etwas teurer  sind. Auch Karl  versuchte sich in deren Bau, ließ es aber nach sechs Jahren wieder sein: „Der Vorteil des Alu-Kahns ist auch sein Nachteil, denn der Markt ist ziemlich schnell gesättigt. Und man ist heute wieder traditionsbewusster, man setzt auf die alten Holzkähne, traditionell gebaut“, beschreibt er die gegenwärtige Situation.

Karl Koal findet seine Abnehmer inzwischen auch außerhalb des Spreewaldes, so in Mecklenburg und Niedersachsen. „Interessanterweise ist der Preis relativ konstant geblieben – jedenfalls der Zahlenwert: Um 1980 kostete er bis zu 2000 Mark der DDR, in den Neunziger Jahren zwischen 2000 und 3000 DM und jetzt genau so viel in Euro“, erzählt der Kahnbauer. Um 1930 wurde ein kleiner „Ochsenkahn“, wie die Wirtschaftskähne genannt werden, noch für 50 Reichsmark verkauft.

Karl Koal springt in seinem Unternehmen immer mal von rechts nach links: Im linken Teil  des Firmengebäudes wird der Meerrettich verarbeitet, hier ist sein Rat und manchmal seine Entscheidung erforderlich. Aber auch rechts, denn der Kahnbau ist eine hohe Handwerkskunst. Unterstützung bekommt er in letzter Zeit von Tochter Juliane (der Kahnbauertradition folgend hätte sie ja eigentlich Karla heißen müssen!), einer gelernten Tischlerin.

Juliane Koal – einzige Kahnbauerin Deutschlands

Juliane Koal ist sich sicher, dass sie eine der seltensten Tätigkeiten ausübt, die es in Deutschland gibt: Sie baut Spreewaldkähne nach herkömmlicher Art, aus solide gewachsenem Kiefernholz und in traditioneller Bauweise, so wie es schon die Vorväter taten. Sie dürfte damit die einzige Holzkahnbauerin Deutschlands sein, denn ihr sind keine Kolleginnen weit und breit bekannt. Diesen Beruf kann man nicht erlernen, weil es kein anerkannter Ausbildungsberuf ist. Nach einer Tischlerlehre, in der die grundlegenden Holzverarbeitungstechniken erlernt werden, bleibt nur die Möglichkeit, einem Holzkahnbauer über die Schulter zu schauen. In ihrem Fall war und ist es die Schulter ihres Vaters Karl Koal, der in Lehde die traditionellen Spreewaldkähne baut.

Die 1984 Geborene absolvierte die Lübbenauer Realschule und besuchte die Berufsschule in Lübben, ihre Tischlerausbildung machte sie im ersten Lehrjahr schon bei ihrem Vater, die beiden anderen Jahre absolvierte sie in einem anderen Traditionsbetrieb, der Tischlerei Petrick in Raddusch. Hier legte sie auch ihre Gesellenprüfung mit der Note 1 in Form einer kunstvoll gefertigten Hauseingangstür ab. Diese Tür wird wohl auf absehbare Zeit die einzige Tür gewesen sein, die sie gefertigt hat. „Sie steht noch gut verpackt bei uns in der Firma, mal sehen, ob sie überhaupt je Verwendung findet“, zweifelt Juliane ein wenig. Sie ist ja auch inzwischen fest in den Betrieb ihres Vaters eingebunden, ein  Zwei-Personen-Unternehmen. Beherzt packt sie zu, meistert die langen und schweren Kahn-Seitenwände, die schon mal acht bis neun Meter lang sein können. „Was soll ich machen? Kahnbau ist fast nur Handarbeit, da gibt es kaum Maschinen, da muss ich einfach ordentlich zupacken können. Und wenn ich abends den Hobel aus der Hand lege, dann spüre ich auch körperlich, was ich gemacht habe. Mal sehen, wie lange ich diese schwere Arbeit schaffe“, blickt sie ein wenig sorgenvoll in die Zukunft. „Wenn wir nicht grad Kähne bauen, putzen und reiben wir Meerrettich, aber oft genug müssen wir wegen der aktuellen Auftragslage beides tun. Da fällt schon mal das Wochenende komplett ins Wasser, dann ist Arbeit pur angesagt!“ Juliane Koal klagt aber nicht, im Gegenteil: „Wie soll das mein Vater allein schaffen? Ich muss ganz einfach mitziehen, es ist ja unser Familienunternehmen!“ Die Frage nach Urlaub stellt sich für sie damit auch nicht: „Wenn ich dreimal im Jahr mal einen Tag zum Shoppen nach Berlin fahre, dann ist das schon ein Hochgenuss für mich. Bei der Gelegenheit kann ich dann dort meiner Schwester Katharina einen Besuch abstatten!“ An den ganz wenigen freien Tagen oder Abenden spielt sie mit Freunden Inlinehockey, in strengen Wintern ist die Lehderin mit dem Puck auf dem Eis anzutreffen: „Wer hier geboren und aufgewachsen ist, ist für immer und ewig mit den Fließen, dem Wasser und dem Spreewald verbunden. Meine Kahnbautätigkeit ordnet sich da voll ein“, bekennt sie. Obwohl beim Vater fest angestellt, wird sie nie die verwandtschaftliche Nähe und auch Abhängigkeit für mehr Urlaub oder Gehaltserhöhungen nutzen oder gar einfordern: „Wenn ich streike, dann streike ich ja gegen mich und meinen Vater. Außerdem kenne ich ja die Bilanzen und weiß genau, was vielleicht mal für mich als kleines Plus übrig bliebe!“ Juliane ist Kahnbauerin, Buchhalterin und Personalchefin in einer Person, bei ihr laufen alle Fäden zusammen, sie hat auch immer öfter Kontakt mit den Kunden und nimmt Bestellungen entgegen. Aber ganz ohne Vater geht es dann doch noch nicht, denn Juliane ist noch oft auf seine Erfahrung angewiesen. Vieles ist nur überliefert und Erfahrung pur: „Woher soll ich wissen, wie lange eine Seitenwand über dem Feuer gebogen werden muss? Wie oft ich und in welchen Abständen ich mit Wasser befeuchten muss, damit sich die Bohle zwar verbiegt, aber nicht verbrennt?“ Juliane wird’s aber irgendwann mal allein probieren müssen.

Von der Bohle zum Kahn

„Ich erkenne alle meine Kähne“, behauptet Karl Koal. „Jeder Kahn hat so seine Besonderheiten, die man nur am Detail erkennt und so der Handschrift des Kahnbauers zuordnen kann.“ Karl Koal hat schon viele Kähne gebaut. Es dürften an die 600 sein, die er seit fast 25 Jahren „auf Kiel gelegt“ hat. Dabei hat das Spreewaldfahrzeug gar keinen Kiel, denn alles beginnt -anders als bei der großen Booten und Schiffen- mit den Seitenwänden und dem Steuerbrett. Der Lehder Tischlermeister baut Kähne auf Kundenwunsch, auch in verschiedenen Längen. „Bei maximal zehn Meter ist aber Schluss, dann stößt der Kahn an seine statischen Grenzen“, stellt Koal fest. Für die Kahnseiten bezieht er heute das Kiefernholz aus der Schorfheide, ganz früher kam aus der Lausitz und aus Ostpreußen. Nach zwei Jahren Lagerung vor Ort in Lehde werden die Seitenwände für größere Kähnen übereinander verleimt, ansonsten genügt ein langes Brett für den ganz normalen Kahn. Die wichtigste und zugleich auch ein hohes Maß an Erfahrung verlangende Arbeit: Das Biegen der Seiten im Bug- und Heckbereich über Feuer, bei gleichzeitiger Benetzung mit Wasser. „Da muss man sehr aufpassen, da man schnell die Seitenwände verbrennen kann oder das Holz Trocknungsrisse bekommt“, erklärt Koal und verteilt, unter den angewinkelten Seitenwänden liegend, Wasser mit einer alten Handspritze mal auf das Holz, mal ins Feuer. Das dauert etwa eine Stunde „oder je Millimeter Brettdicke eine Minute, aber darauf sollte man sich nicht verlassen, jedes Brett verhält sich da anders“.

Das Aufbauen des Kahnes erfolgt mit Hilfe von Aufstelllehren und der Befestigung der Seitenwände am Steuerbrett. „Wir verwenden immer noch die alten Maße: Der Mittelkahn ist zwei Fuß acht Zoll breit, der Ochsen- oder Mistkahn ist drei Fuß zwei Zoll.“ Vor dem Aufbringen der  Bodenbretter wird immer wieder die Maßgenauigkeit kontrolliert. „Dies ist der wichtigste Teil meiner Arbeit. Mit der Rauhbank, dem langen Hobel, passe ich die Seitenwände an die Bodenbretter an“, erklärt der Kahnbauer. Das letzte Brett wird eingefügt, in Fahrtrichtung gesehen ist es dann das erste quer vorm Bug, der „Konz“. Mit diesem letzten Brett ist der Kahn noch nicht fertig: Er muss noch mit einem Teergemisch gestrichen werden, das ihm dann auch das klassische  Aussehen gibt.

In der Zwischenzeit wird die Rudel aus Eschenholz gefertigt, die Bänke werden maßgenau vorbereitet und dann millimetergenau so eingemessen, dass sie in Fahrtrichtung ebenso passen wie entgegen der Fahrtrichtung – falls mal Tische auf den Kahn kommen sollten.

Nach etwa zwei Wochen Bauzeit erfolgt dann die Übergabe an den Kunden. An ihm wird es nun liegen, wie alt der Kahn mal wird, welche Nutzungsdauer ihm beschieden ist: „Für den Holzkahn muss man viel Verständnis haben, er ist kein Allwetterkahn und braucht so seine Hinwendung. Er kann 40 Jahre oder auch nur 10 Jahre alt werden- je nach Pflege.“ Diesen Tipp gibt der Kahnbauer dem Käufer Yves Schwarz aus Neu Zauche mit und schaut dann ein wenig wehmütig dem davonfahrenden Gefährt hinterher. „Es ist immer ein beeindruckendes Erlebnis. Sogar noch nach hunderten Kähnen – mir schwimmt meine Arbeit davon!“ Aber wie um sich abzulenken gehen seine Schritte gleich wieder in Richtung Lagerplatz, um sich zwei neue schöne Seitenwände auszusuchen. Seine Gedanken sind schon beim nächsten Kahn, diesmal ein Auftrag eines Lehd‘schen. Es soll ein kleiner Familienkahn für die Sonntagsausflüge werden.

Peter Becker, überarbeitet Jan. 2018

Über Peter Becker 359 Artikel
Jahrgang 1948, Diplomlehrer, Freier Journalist und Fotograf

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