Von den frechen Hühnern – das, was hinter einem Foto steht

Das verrückte Huhn

Klara Puschisch lacht und kann sich gar nicht beruhigen: „Das von Früher soll jemanden interessieren? Das alte Zeug!? Die Leute werden mich auslachen, wenn sie erfahren, wie einfach ich gelebt habe….“Sie, die 1927 im Spreewald geboren, kann sich immer noch nicht so richtig mit dem Gedanken anfreunden, dass ihr Leben vielleicht doch interessant war und viele wissen wollen, wie es auf dem Land, vor und nach dem Krieg so war. Die meiste Zeit ist sie heute mit ihren Hühnern, den letzten noch verbliebenen Haustieren, allein auf dem großen Hof. Sie baut noch ein wenig Mais an und unterhält einen Gemüsegarten. Meist sitzt sie auf einer alten Kiste, mit dem Rücken an die Scheune gelehnt und redet ihren Hühnern zu. Diese sind besonders zutraulich und klettern an ihr herum, was ihr sichtlichen Spaß bereitet. Und ihr das Siegerfoto bei einem jüngst stattgefundenen Fotowettbewerb einbrachte.

Nachdem sich ihre Hühner die Körner ausreichend Körner geholt hatten und mit einem dankbaren Tuck-Tuck von dannen zogen, erzählt sie. Von einer Kindheit in Alt Zauche, von der Landwirtschaft und von der Mithilfe im elterlichen Haushalt und von den vielen frühen Pflichten. Eine war, beim jährlichen Flachsverarbeiten körperlich schwere Arbeiten zu übernehmen. „Ich musste gemeinsam mit den Eltern immer wieder auf der Scheunentenne mit dem Dreschflegel das Flachsstroh bearbeiten, damit der Samen für das Leinöl gewonnen werden konnte. Das ‚Eins-Zwei-Drei, Eins-Zwei-Drei, …‘ des Dreschens höre ich noch heute“, erinnert sich Klara Puschisch. Das Stroh wurde in Bößchen gebündelt, mit Roggenstroh verschnürt und in das Luch gebracht. Hier kam es für mindestens zwei Wochen unter Wasser. „Dann musste ich die nassen schweren Bündel wieder rausholen und auf Müldners Wiese als Puppen zum Trocknen aufstellen. Die Resttrocknung erfolgte dann kurz vor der Weiterverarbeitung daheim – im Backofen.“ Die zierliche Klara musste dann in den noch restwarmen Backofen kriechen und die zugereichten Flachsbündel aufschichten. Immer wenn abends Zeit war wurden Bündel aus dem Backofen geholt und in der Küche mit der Flachsbreche geschäbt. Ziel war das Lösen der Außenhaut, der Fasern, vom holzigen Kern. „Ich musste die Abfälle sortieren und bündeln, denn sie waren alles andere als Abfall: Die Klempner nahmen uns das Werg, wie sie das Material nannten, als Dichtungsmittel ab. Und immer wieder wurde zwischendurch gesponnen. Ich habe mich auch ab und zu darin versucht, aber so richtig viel Geduld habe ich nicht gehabt. Im zeitigen Frühjahr machte sich die Mutter ans Weben, das war ihre Arbeit. Sie konnte so schöne Muster in die Hand- und Betttücher weben.“ Der große Webstuhl nahm viel Platz in der engen Stube ein. Damit er aufgestellt werden konnte, mussten die Betten abgebaut und wo immer noch ein wenig Platz im Haus war, wieder aufgestellt werden.

Die Puschisch’s hatten auch ein Fremdenzimmer, das jährlich an Stammgäste vermietet wurde. Klara erinnert sich noch an die Namen und die Herkunft der Gäste und an die vielen Abende mit Erzählungen über das für sie so ferne feine Leben in der Stadt. Einem urlaubenden Fotografen aus Leipzig verdankt sie die vielen Fotos aus den Dreißigern, die sie immer noch in den Zigarrenschachteln des Vaters aufbewahrt. Mit den Sommergästen durfte sie, wenn gerade mal nicht viel Arbeit war, eine Kahnpartie mitmachen. Vater Karl war auch als Kahnfährmann und Fremdenführer tätig. Später stakte sie auch schon mal selbst den Kahn mit den Urlaubern oder wenn es mit dem Vater zum Fischen mit der Wade ging. Hier wurden ohnehin zwei Kähne benötigt: Klara band sich das eine Netzende ans Bein, der Vater das andere und an den Ufern entlangfahrend zogen sie das Netz durch das Fließ. „Man, was haben wir für Fische gefangen!“, schwärmt sie noch heute.

Mit dem Einmarsch der Sowjetarmee im Frühjahr 1945 wurde es gefährlich für die damals 18-Jährige. „Meine Eltern haben mich versteckt. Ich, unbedarft, wie ich war, erfuhr erst später den Grund. Einmal hat ein Russe Haus, Hof und Stall abgesucht – und beinahe hätte er mich im Stroh über den Kuhstall gefunden, aber die im Hof schreienden Gänse brachten ihn dann wohl auf eine andere Idee. Mit zwei Tieren unter dem Arm verschwand er wieder.“ Nach der Schule war keine Gelegenheit für eine Lehre, gerne wäre Klara Köchin geworden. So blieb nur die Mithilfe in der Landwirtschaft, die später, mit dem Altwerden der Eltern, zur alleinigen Tätigkeit wurde. Ausgleich von der harten Arbeit fand sie bei den dörflichen Festen. Mit ihrer schönsten Tracht, der „bunten“, war sie fast immer beim Zampern, der Fastnacht und beim Stollereiten dabei. Gleich nach dem Krieg fand ein Kostümball statt. „Kostüme hatten wir in großen Mengen. Ein Berliner Theater hatte wegen der Bombenangriffe seinen ganzen Bestand in die Alt Zaucher Gaststätte Klaus ausgelagert und wohl vergessen, wieder abzuholen“, so ihre Erinnerung.

Mit der Aufnahme in die LPG änderte sich das Leben der Klara Puschisch. Sie war von nun an nicht mehr für den eigenen Hof und das Vieh verantwortlich, sondern nur noch für die genossenschaftlichen Jungbullen. „Mein Stolz waren meine 20 Tiere, die immer gut gestriegelt waren, im besten Futter standen und für die ich gelobt und ausgezeichnet wurde“, erinnert sie sich an diese Zeit, die auch eine Zeit allermöglicher Wettbewerbe um irgendwelche Titel war.

Nun ist es ganz ruhig geworden auf dem Grundstück in Alt Zauche. Manchmal schaut der 1971 geborene Sohn Roland mit seiner Familie vorbei. Dann nimmt sie die Enkelin Charlotte auf den Schoß, lacht und scherzt mit der Einjährigen. „Tja, arbeiten und nochmals arbeiten war mein Leben, meine Lebensgewohnheit. Für Außenstehende sicher nichts Besonderes, arbeiten müssen schließlich alle. Ich kann heute noch nicht wegsehen, wenn es etwas auf dem Hof zu tun gibt!“ Als Klara nach einer Hüftoperation wieder daheim war, konnte sie das Unkraut im Garten nicht ersehen. Sie stellte die Krücken an den Zaun und brachte erst einmal unter Schmerzen Ordnung in die Beete. Nun erst hatte sie die Ruhe, sich auf ihre weitere Genesung einzustellen.

 

Peter Becker, aufgeschrieben nach Erzählungen von Klara Puschisch, Alt Zauche

Über Peter Becker 361 Artikel
Jahrgang 1948, Diplomlehrer, Freier Journalist und Fotograf

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.