Lieblingswetter der Spreewälder? Trockenkeit! Für die Gurken!

alle Repros aus dem Archiv Nemitz, Lübbenau

Gurkenernte im Spreewald, Ölgemälde von Paul Piesker, Lehde

Eine schwülwarme Sommernacht bricht herein. Tiere und Kinder hat Elisabeth Bader versorgt, nur den Mann noch nicht. Er fehlte zur abendlichen Mehlsuppe. Ihr Max ist seit Vormittag unterwegs, Gurken wollte er in Lübbenau auf den Markt bringen. Der Kahn wurde schon am Abend mit Körben verladen, die Gurken nach Größe und Güte sortiert, damit er frühzeitig seine Ware feilbieten kann, möglicherweise einen guten Preis dabei erzielend. In diesem Jahr war es sehr trocken, die Bauern aus dem Umland hatten keine gute Gurkenernte. Nicht aber die Spreewälder, besonders die Lehd’schen. Warm und immer noch genügend Wasser im Fließ, ließ der heurige Sommer eine prächtige Ernte heranwachsen. „Doch wo blieb er nur…, hoffentlich ist nichts passiert?!“ Elisabeth band sich eine bessere Schürze über und machte sich mit dem kleineren Fischerkahn auf den Weg, um ihn zu suchen. Mit der Stalllaterne leuchtet sie jeden entgegenkommenden Kahn an. Man kannte sich ohnehin und Nachbar August Lehnigk konnte den entscheidenden Tipp geben: Max zecht bei Müller-Jäger, schon seit Mittag, denn er hatte gute Geschäfte gemacht und nach wenigen Stunden nur noch leere Körbe im Kahn, wie er gesehen haben will! „Der wird doch nicht etwa die ganze Ernte einer Woche ….?!“ Kaum den Kahn in Strubels Gässchen festgemacht, erkennt sie auch den Ochsenkahn ihres Ehemanns, denn der hatte, der guten Ernte wegen, den größten Kahn nehmen müssen. Die Luft im Gastraum war voller Männer, voller Rauch, Bierdunst und Lärm. Max war nicht zu sehen. Die an- und vollgetrunkenen Gurkenver- und -käufer feierten ihren jeweiligen Erfolg, der sich zunehmend mehr in klingender Münze für den Wirt verwandelte. Die Käufer hatten zwar grad nicht mehr viel Geld in der Tasche, aber den Gewinn vor Augen. Elisabeth bekam im allgemeinen Lärm mit, wie August Schutt, ein anderer Nachbar, seinem Gurkenkäufer, den Lübbenauer Verarbeiter Tellermann, um den Hals fiel und sich bei ihm lautstark mit einer Saalrunde für „das gute Geschäft“ bedankte. In der hintersten Ecke schlief halb unter den Tisch gesunken Max Bader. Endlich hatte sie ihn gefunden. Ihre angestaute Schimpfkanonade hätte jetzt keine Wirkung gehabt, die musste sie sich noch aufheben. Aufheben musste sie auch ihren Mann, ihm die Hosen hochziehen, die vom letzten Hofgang noch nicht wieder an ihrem Platz war. Tellermann, der das mitbekam, half ihr, ihren Gatten abzuschleppen und zum nahen Gässchen zu transportieren. „Ich will nur noch mein Bier austrinken…“ lallte Max, bevor er aus dem Lokal mehr oder weniger getragen wurde. Die Landung im Kahn verlief naturgemäß unsanft: wer einsteigen wollte, musste schon selbst aktiv werden, um im schwankenden Gefährt die Balance zu halten. Folglich plumpste Max zwischen die leeren Körbe und schlief sofort ein. Dort erwachte er auch am frühen Morgen, durchnässt, weil es nachts geregnet hatte. Die alte Decke, die ihm seine Elisabeth noch mehr oder weniger mitleidsvoll zugeworfen hatte, hatte ihren Zweck kaum erfüllt. Reuevoll krabbelte Max aus dem Kahn und schlich sich in die Küche zu seiner Elisabeth, die ihn keines Blickes würdigte. Zufällig kam Nachbar August zum gleichen Zeitpunkt und brachte die geborgten Körbe zurück. „Nicht Max, dass war ein guter Verkauf gestern! Wir hatten die beste Ernte seit Jahren, meiner Frau kann ich endlich mal eine neue Sonntagstracht spendieren, seit langem wünscht sie sich das. Was kaufst du denn deiner Frau?“ …  „Irgendwie scheint ihr beiden nicht in Stimmung zu sein, ich geh‘ dann mal wieder!“

 

Die im Mikroklima des Spreewaldes besonders gut wachsenden Gurken waren eine der wichtigsten Einnahmequellen. Der Samen wurde aus den größten Gurken gewonnen, die man einfach auf dem Acker liegen ließ. War das Wetter günstig, also warm und trocken, war eine gute Ernte zu erwarten. Die Bodenfeuchtigkeit reichte oft dafür aus, manchmal wurde aus dem Fließ nachgegossen. Doch bei der dann oft folgenden Gurkenschwemme fielen die Aufkaufpreise deutlich. In knappen Jahren wurden fast die gleichen Preise erzielt, so dass es eigentlich nur darauf ankam, überhaupt Gurken verkaufen zu können. In guten Zeiten fand zweimal wöchentlich in Lübbenau der Gurkenmarkt statt. Wenn nicht gerade Hochwasser und ein verregneter Sommer die Ernte nahezu komplett vernichtete, war der Gurkenhandel für Erzeuger wie Verarbeiter eine der wichtigsten Geldquellen. Sehr vieles konnten die Spreewälder selbst herstellen: Lebensmittel ohnehin, Stoffe wurden aus Leinenstroh (Flachs) gewebt, Wolle der Tiere verstrickt – für den Hausrat, mal das eine oder andere Trachtenteil, für Schuhe, Stiefel, den Arzt… dafür wurde Geld benötigt, Geld aus dem Obst- und Gemüseverkauf, auch aus dem Verkauf von Tieren und Eiern.

Die Spreewälder Gurkenverarbeiter ließen sich allerlei „Geheimrezepte“ für ihre eingelegten Gurken einfallen. Neben Salz, Pfeffer- und Gewürzgurken waren es die größeren Senfgurken, ein handliche Stücke zerkleinert, die in den Handel kamen. Einem Gurkenverarbeiter soll man auf die Schliche gekommen sein, wie er seine Gurken, damals noch in Steingutgefäßen lagernd, sehr lange haltbar machen konnte: Er hatte Kupferpfenninge in Salzwasser gekocht und nach einer Stunde den Sud über die Gurken gegeben. Diese Praxis wollten andere nachmachen, was aber durch eine Polizeiverordnung bald verboten wurde.

Ernst Krügermann – ein Gurkenverarbeiter im Porträt 

Gurkenernte heute – Gastarbeiter im „Gurkenflieger“

Text und Fotos von Peter Becker; nach Aufzeichnungen von Paul Piesker (1924 – 2002), Lehde

 

Über Peter Becker 366 Artikel
Jahrgang 1948, Diplomlehrer, Freier Journalist und Fotograf

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