Kernlose Kürbisse gibt es nicht? Falsch, im Spreewald schon!

Archiv Nemitz

 

Martin Hübner wuchtet mit den Söhnen Günther und Werner den riesigen Kürbis auf die Schubkarre. Mit Stricken vorn ziehend und dem Vater hinten schiebend bewegen die Männer die Karre über den schlammigen Acker zum Kahn. „Der hat mindestens einsfuffzig im Umfang und einsfuffzig auf der Waage“, vermutet Werner, der Jüngere. „Von dem müsste man den Samen aufheben, für die nächste Saison, aber Vater wird ihn ja verkaufen, wie immer, stimmts?“, so der Ältere in Richtung Vater. Der schmunzelt in sich hinein und sagt: „Es geht doch beides, schaut euch nur mal den Kürbis genauer an!“ Erst jetzt entdecken sie eine kleine quadratische und gut verwachsene Narbe an der Unterseite. „Nun kann ich ihn sogar noch als kernlos verkaufen, was noch eine Mark mehr bringt – und ich habe den Samen!“

Es war nicht unüblich, dass die Spreewälder gern mal etwas schlitzohrig vorgingen, wenn sie sich davon Vorteile verschafften konnten. Der „kernlose Kürbis“ ließ sich in Berlin bestens verkaufen. Drei oder vier Wochen vor der Ernte, wenn die Kerne bereits ausgereift sind, wurde ein sauberer quadratischer Schnitt an der Unterseite vorgenommen, gerade so groß, dass eine Faust hindurch passte. Nach der vollständigen Entnahme der Kerne (schließlich sollten sie ja wirklich „kernlos“ sein), wurde die Öffnung wieder verschlossen und mit Wurstspeilern „vernäht“. Der Kürbis verwuchs sich wieder und oft war der Schnitt nur noch für das geübte Auge sichtbar. Selbst wenn die Manipulation entdeckt wurde, war das weniger schlimm: Kein Städter konnte viel mit dem Kürbiseingeweide anfangen und war froh, es nicht entsorgen zu müssen.

Angebaut wurden die Früchte eher nebenbei, auf Erdaufwürfen vorjähriger Ernteabfälle, auf Komposthaufen, entlang der Grasstreifen zwischen den Äckern, der Uferfahre oder irgendwo am stets feuchten Gewässerrand. Die zahlreichen Ranken wurden in Richtung des Wassers geführt, damit die Pflanze sich damit versorgen konnte. Im Mikroklima des Spreewalds, in dem Gurken besonders gut wachsen, wachsen die Kürbisse zu beachtlichen Exemplaren heran. Sie dienten auch den Spreewäldern als willkommenes Kompott in der obst- und gemüsearmen Jahreszeit.

Kürbiskompott nach lehd’scher Art:

Der Kürbis wird geschält und in kleine mundgerechte Würfel geschnitten, darüber kommt reichlich Zucker. Nach ein paar Stunden hat sich der Fruchtsaft gebildet. In ein Leinensäckchen werden Nelken und eine Zimtstange gegeben und alles zusammen aufgekocht. Anschließend, wenn der Kürbis noch beißfest ist, wird mit viel Weinessig abgeschmeckt. Ist es zu sauer, wird mit noch mehr Zucker ausgeglichen. In einem Steinguttopf und an einem kühlen Ort, hält sich der Kürbiskompott monatelang. Kartoffelbrei mit Rührei und Kürbiskompott – ein typisches Spreewälder Gericht.

Text und Fotos von Peter Becker; nach Aufzeichnungen von Paul Piesker (1924 – 2002), Lehde

Über Peter Becker 359 Artikel
Jahrgang 1948, Diplomlehrer, Freier Journalist und Fotograf

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