Zu Besuch bei Thomas Lubkoll, Aluminiumkahnbauer, Lübbenau

Der Mann mit dem Alu-Virus

Der Spreewälderjunge wächst in Lübbenau zwischen Hobelspänen und Blechresten auf. Die Hobelspäne gehören in die frühe Kindheit des Thomas Lubkoll*, geboren 1957. Verursacht hat sie sein Vater Albert, der als Möbeltischler zahlreiche Lübbenauer Türen gefertigt hat. Das Blech kam später hinzu, als sich die Tischlerei nicht mehr lohnte. Opa Richard Lubkoll hatte zuvor noch den traditionellen Kahnbau betrieben und 1973 den letzten Holzkahn gebaut. Da war er schon 75 Jahre alt. Die Lubkolls stiegen so nach und nach auf Stahlblechkähne um, auf Arbeitskähne, die von Wasserwirtschaftsbetrieben geordert wurden. Thomas Lubkoll besuchte in diesen Jahren eine Bootsbauerlehre in Niederlehme. „Vater und Großvater drängten mich dezent in diese Laufbahn, und ich habe mich nicht gewehrt. Es war ja klar, dass ich in deren Fußstapfen zu treten hatte“, erinnert er sich an Lehrzeit und Gesellenjahre, die ihn auch nach Roßlau an die Elbe führten. Hier wurden Schiffsaufbauten aus Aluminium für sowjetische Flusskreuzfahrtschiffe gebaut. Die Lehrzeit hatte er in nicht gerade bester Erinnerung, denn Bootsbauer wurden zwar geduldet, aber ihnen haftete ein gewisser Duft von Dekadenz an: zu aristokratisch, zu versnobt. In Roßlau dagegen konnte er sich qualifizieren, er wurde Aluminium-Schweißer und lernte mit diesem Werkstoff umzugehen. „Da habe ich mir den Alu-Virus geholt, der ließ mich nicht mehr los“, erklärt er heute seine Begeisterung für die Aluminiumkähne. Aber noch war es nicht soweit. Erst mal folgten der Armeedienst in Berlin und die Familiengründung. „Ich war 24 Jahre alt, sollte im Frühjahr 1982 entlassen werden und war auf der Suche nach einer Frau fürs zivile Leben“, erinnert sich Thomas Lubkoll. Da kam ihn das Jugendmagazin in die Hand, eine damals beliebte Zeitschrift für junge Leute. Eine Karin suchte darin ebenfalls einen Partner fürs Leben. Er schrieb ihr, ohne dabei viel Hoffnung zu haben. Doch die junge Lehrerin hatte ihn in die engere Wahl gezogen. Am 28. April wurde er entlassen, am Tag darauf verlor er beim herzhaften Biss in die heimische Bäckersemmel einen Schneidezahn und einen weiteren Tag darauf war das erste Treffen mit seiner vielleicht Zukünftigen geplant. „Mir war das peinlich, aber ich muss ihr trotz Zahnlücke gefallen haben“, zeigt er sich noch heute glücklich über den Ausgang des ersten Treffens. Tochter Friederike kam 1983 zur Welt. Die Familie war da, an Arbeit fehlte es nicht, nur am Material. In den letzten DDR-Jahren fehlte es an so ziemlich allen: Stahlblech wurde zugeteilt, Aluminium gab es „nur für Geld und Gurken“, bis auch das vorbei war. Nach der Wende gab es genug Material, aber keine Arbeit. Thomas Lubkoll fuhr mit dem Familienkahn zehn Jahre Gäste durch den Spreewald und konnte so zum Unterhalt der jungen Familie beitragen. Unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen wurde der Kahnbau fortgeführt. Der Bedarf war bei der Wirtschaft und auch bei den Fährleuten hoch, das Geld aber knapp. „Den Fährleuten konnte der Kahn nicht groß genug sein. Je mehr Leute drauf passten, desto besser der Verdienst. Nicht Lubkoll hat die großen Kähne in den Spreewald gebracht, sondern die wurden von denen bestellt, die sich heute darüber aufregen“, räumt er mit einem vielbehaupteten Vorurteil auf. Zu den Vorurteilen gehört auch, dass Alu-Kähne im Falle des Kenterns sinken, Holzkähne dagegen als Rettungsinsel dienen können. „Es ist genau umgekehrt: Ein voll gesogener Holzkahn hat kaum noch Auftrieb, meine Alu-Kähne haben eingebaute Hohlräume, dadurch sinken die wirklich nicht. Zwecks behördlicher Zulassung musste ich im Lübbenauer Hafen mal einen Kahn versenken – was genau deswegen nicht gelang. Er schwamm und ließ sich noch nicht mal mit üblicher Gewalt unter Wasser drücken.“ Thomas Lubkoll bricht noch eine Lanze für seinen Metallkahn: „Der ist wesentlich wartungsärmer, hält demzufolge eigentlich ewig. Die etwas höheren Herstellungskosten werden so schnell wieder reingeholt – wenn er richtig behandelt wird!“ Der Kahnbauer verweist auf eine gewisse Unverträglichkeit zwischen verschiedenen Metallen, denn wenn Aluminium unter Wasser lange Zeit Kontakt mit Eisen oder Stahl hat, leidet das Material. „Manche binden den Kahn an einer Stahlstange an und beschweren sich dann, wenn das Aluminium ‚aufblüht‘. Mit einem einfachen Unterwasseranstrich hätten sie diesem Problem aus dem Wege gehen können“, erklärt der Kahnbauer. Seine Kähne fahren inzwischen auch an der Nordsee, im Berliner Gebiet und in Niedersachsen. Aber es sind keine Spreewaldkähne, denn die sind nur im Spreewald zugelassen. Außerhalb des Spreewaldes gelten andere Bestimmungen, die von den Ländern vorgegeben werden und vom Kahnbauer einzuhalten sind. „Da ist jeder Auftrag anders, fordert mich auch anders und zwingt mich zur Kreativität.“ Solche Aufträge nimmt er gern an, das ist mal etwas Abwechslung im Kahnbaualltag.
Wenn er mal vom Gedröhn der Maschinen genug hat, geht es für ein paar Tage zum Wandern in die Berge. Mit dabei natürlich Karin – und Jay-Dark von Eitzum. Der bewegungshungrige Belgische Schäferhund treibt die beiden zu Höchstleistungen. Frisch durchgeatmet geht es dann wieder in der Lübbenauer Gerbergasse ans Werk. Der nächste Kahnauftrag wartet und soll natürlich wie immer möglichst schnell ausgeführt werden.

Peter Becker, aus Becker/Marx: Faszination Spreewaldkahn, Edition Limosa

 

*Lubkoll (wend; lieb, nett, könnte auch vom Ort Lubochol abstammen)

 

Über Peter Becker 367 Artikel
Jahrgang 1948, Diplomlehrer, Freier Journalist und Fotograf

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