Die Pohlenzschänke

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Eigentlich gehört sie zu Leipe, aber von da aus ist sie auf direktem Wege nur per Kahn erreichbar. Wählt der Leiper den Fahrradweg über Waldschlößchen, kann er im großen Halbkreis auf die Gaststätte zufahren. Mit dem Auto geht es nur in einem noch größeren Halbkreis, nämlich über Burg. Dem Ort ist die Gaststätte zumindest wirtschaftlich ohnehin zuzuordnen. Postalisch und telefonisch schon seit langem. Die Straße führt von der Ringchaussee am Waldhotel Eiche vorbei direkt zur Gaststätte und verliert sich dann auf einem Feldweg. Die Straße hat den Namen Polenzweg – ohne „h“. Irgendjemand hat bei der Auftragsvergabe den Buchstaben weggelassen und sorgt somit jährlich neu bei den Urlaubern für etwas Verwirrung („Sind wir auf dem richtigen Weg? Wir wollen eigentlich zur Pohlenzschänke..“! )

Die Gaststätte hat ihren Namen seit Jahrhunderten von den Besitzergenerationen der Pohlenz. Deren Namen wiederum ist aus dem Wendischen (polenca) abgeleitet und bedeutet so viel wie überschwemmte Wiese oder der auf einer Wiese Wohnende (polenc) [1] – was auch nachvollziehbar ist. Das Haus steht auf einer der wenigen Talsandhorste, umgeben von zahlreichen Fließen, Gräben und sumpfigen Wiesen. Der Einheimische nennt die kleinen, kaum bemerkbaren Erhebungen Kaupen. Durch Beobachtungen wissen sie, dass hier das jährliche Hochwasser eher selten Schäden anrichtet. Schlangen halten sich gern an solchen Stellen auf, hier ziehen sie erfolgreich ihren Nachwuchs auf – wo Schlangen leben, können auch Menschen wohnen, so der logische Schluss der Neusiedler. Vielleicht ist das der tatsächliche Ursprung der Schlangenverehrung durch die wendische Bevölkerung?

Der Überlieferung nach soll sich der Leiper Fischer Christian Pohlenz auf solch einer Erhöhung 1765 niedergelassen haben. Es liegt nahe zu vermuten, dass Besucher dieser Einöde, zumeist Fischer, Landwirte und Jäger, auch bewirtet wurden – liegen hier die Anfänge der Pohlenzschänke? Marie, seine Frau, soll schon damals mit ihren Fischgerichten einen gewissen Ruhm in Leipe und Burg erlangt haben. Sohn Friedrich hat später auf der Erfolgsgeschichte seiner Mutter aufgebaut. Er errichtete an gleicher Stelle ein größeres Blockhaus, nun schon mit Schankstube. Er soll 1786[1] das offizielle Schankrecht bekommen haben. Was in den folgenden einhundert Jahren geschah, ist nicht überliefert. Vermutlich wurde die Gaststätte ganz unspektakulär über die Generationen fortgeführt, kein Ereignis war es den Chronisten wert, notiert zu werden.

Um 1870 suchte der Ritter a.D. Karl Albinus Ruhe und Zurückgezogenheit, um sein Leberleiden zu kurieren. Auf welchen Hinweis hin der aus Sachsen stammende Hauptmann zur Pohlenzschänke fand, ist nicht bekannt. Auf jeden Fall war es letztlich ein glücklicher Umstand, denn aus seiner Feder gibt es in der Folge zahlreiche Abhandlungen über den Spreewald und besonders über seine wendische Bevölkerung. Seine Publikationen, besonders in den Berliner Zeitungen in den 1880er Jahren, dürften wesentlich zur Weckung des Interesses am Spreewald beigetragen haben. Nicht zu Unrecht befindet sich auf der Gedenktafel, die noch heute am Kahnanlegesteg der Pohlenzschänke steht, der Zusatz „Des Spreewalds treuester Freund!“ Als Karl Albinus starb, war vermutlich schon Friedrich Pohlenz (1862 – 1938), von allen und auch von ihm selbst nur Fritz genannt, Besitzer der Gaststätte. Seine Mutter, eine geborene Sniegulla aus Raddusch, war ihm eine große Stütze in der Wirtschaft. Sie ging ihr Leben lang in wendischer Tracht und sprach auch Wendisch. „Fritz“ Pohlenz, selbst schon über Dreißig, verliebte sich in die 18-jährige Dienstmagd Marianne Witka (wendisch Marjana Witkojc). Aus dieser Verbindung entstammt die am 28. Mai 1893 geborene Wilhelmine, die spätere bedeutende wendische Dichterin Mina Witkojc. Zwei Jahre später gebar ihm Marianne noch Tochter Anna. In den Tauflisten der Gemeinde Burg ist für Mina Witkojc nur die Mutter eingetragen, insofern gibt es keine amtliche Bestätigung der Vaterschaft Pohlenz´, er hat sie und ihre Schwester wohl auch nie als leibliche Kinder anerkannt. Mina Witkojc schreibt später über ihre Kindheitsaufenthalte in der Pohlenzschänke, und es sind keine Zweifel aus dem Umfeld bekannt, dass Fritz Pohlenz der Vater war. Ein damals wohl eher zufällig aufgenommenes Foto zeigt eine Idylle, die eigentlich keine war: Fritz Pohlenz umgeben von Frauen und Kindern.
Fritz Pohlenz heiratet nicht seine Dienstmagd, wie von dieser erhofft, sondern die Lübbenauerin Marie Görsch (1864 -1944). In der Folge wandte sich Marianne Witkojc von der Pohlenzschänke und dem untreuen Wirt ab und ging als Plätterin nach Berlin. Ausschlaggebend war sicher auch die Tatsache, dass im gleichen Jahr, als ihre Tochter Anna geboren wurde, eine andere Magd einen unehelichen Sohn gebar – Vater wieder Fritz Pohlenz. Es wird berichtet, dass er ihn später anerkannte und auf seinen Namen eintragen ließ. Aus der späteren Ehe mit Marie ging Tochter Gertrud hervor (1897 – 1987). Sie heiratete später den Werbener Mühlenbesitzer Martin Voigt (1888 – 1945).

Neben dem sicher ein wenig aufreibenden privaten Leben des Fritz Pohlenz, war auch ein stetig steigender Besucherstrom zu bewältigen. Um die Jahrhundertwende herum besuchten immer mehr Ausflügler den Spreewald. Sie kamen mit dem Kahn auch bis zur entlegenen Pohlenzschänke. Der Besucherandrang ist auf verstärkte Werbung zurückzuführen und auch auf den technischen Fortschritt. Von Berlin aus fuhren Züge, immer öfter auch Sonderzüge, in nicht einmal zwei Stunden nach Lübbenau – ein enormer Fortschritt nach der Postkutschenzeit. Für Werbung sorgten die Ausflügler selbst, wie aus Leserzuschriften in der damaligen Presse zu entnehmen ist. Ihre begeisterten Schilderungen von dem so anderen Land nicht weit von Berlin, fielen auf immer fruchtbareren Boden. Angestoßen hat den Ausflugsverkehr kein Geringerer als der Lübbenauer Lehrer und Publizist Paul Fahlisch (1844 – 1930). Seine und die von Karl Albinus veröffentlichen Berichte und Schilderungen in der Berliner Presse trugen maßgeblich zur Bekanntheit des Spreewaldes bei.

Gastronomen und Fährleute mussten sich auf den Besucheranstieg einstellen. Die meist zu kleinen Gaststätten waren dem Ansturm oft nicht mehr gewachsen. Übernachtungsmöglichkeiten waren knapp, zumeist sehr primitiv und so gar nicht dem Geschmack der Großstädter entsprechend. Anbauten waren die Folge, so auch in der Pohlenzschänke. Um 1896 erhielt die Gaststätte, immer noch ein kleines Blockbohlenhaus, einen Saalanbau, den „Altwendischen“, wie er in der Werbung dann genannt wird. Es wird bis heute immer wieder darauf verwiesen, dass er nach Plänen Schinkels entstand. Angeblich hatte ein Familienmitglied der Pohlenz‘ beim Bau der Kirche in Straupitz als Zimmermann gearbeitet und dort Kontakt mit dem berühmten preußischen Baumeister gehabt. Das ist schon insofern fragwürdig, weil Karl Friedrich Schinkel nachweislich nie selbst in Straupitz war und der Altwendische Saal erst 55 Jahre nach dessen Tod gebaut wurde. In jedem Fall aber ist er dem damaligen Zeitgeschmack entsprechend errichtet worden und zeigt Züge der schinkel’schen Handschrift.

Künstler haben dennoch der Gaststätte ihren Stempel aufgedrückt. Der Dresdener Kunstmaler Heynemann schuf 1905 die noch heute gut erhaltenen Wandbilder. Fritz Pohlenz hat den Maler gern gewähren lassen, der bekam statt Lohn freie Unterkunft und Verpflegung. Der Lübbenauer Maler Grüßer hat später das Jagdzimmer mit Motiven aus der Natur- und Tierwelt gestaltet. In der Zeit, als die Pohlenzschänke Kinderferienlager war und von der HO Weimar verwaltet wurde, wurden bei Renovierungsarbeiten diese Wandbilder einfach übertüncht. Erst vor wenigen Jahren konnten wenigstens einige von ihnen wieder aufwendig freigelegt werden.  Von Grüßer stammt auch der kunstvoll verzierte Wandspruch in der Fährmannsstube. Otto Belaschk, ein Fährmann und von allen nur „Kaupchen“ genannt, hatte ihn verfasst.

Einen Saal für die zahlreichen Tagesbesucher hatte die Gaststätte nun, aber immer noch nicht genügend Übernachtungsbetten. Anfang der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts reiften Pläne, einen Steinbau zu errichten. Geld dürfte inzwischen angespart worden sein, kreditwürdig war die Gaststätte vermutlich ohnehin. Das Blockbohlenhaus wurde auf Erlenrollen gesetzt und etwa 50 Meter nach hinten verschoben. Die Lübbenauer Firma Trüstedt & Söhne errichtete im Winter 1924/25 am alten Platz den heute bekannten Ziegelbau mit Aussichtsturm. Das Baumaterial wurde ausschließlich mit Kähnen transportiert und im Mai 1925, pünktlich zu Saisonbeginn, konnte die neue Herberge eröffnet werden. Im Lübbenauer Tageblatt vom 14. Mai 1925 heißt es: „Vollständig neu erhob sich auf dem alten Platze der Pohlenzschänke ein ganz neues  Gebäude mit einem stattlichen Aussichtsturme, der einen herrlichen Rundblick gewährt. Der gewaltige Bau ist von der hiesigen Baufirma Trüstedt & Söhne aufgeführt worden. Den ganzen Winter über wurde an dem Werke gebaut.“ [7] Die Pohlenzschänke verfügte nun über zwölf Zimmer mit 30 Betten. Viele Leiper und Burger fanden hier, zumindest in der Saison oder am Wochenende, eine gute und interessante Arbeit.

Zwischen Servieren und Kühe melken

Die Leiperin Anna Jedro (2013 verstorben) erinnert sich: „Schon frühzeitig lernte ich das Staken und fuhr mit Essen und Getränken im Kahn zu den Eltern auf die Wiesen und Felder. Nach der Schulzeit erfolgte eine kurze Anstellung beim Lübbenauer Fleischer Claudius, um dann die Sommer über in der Spreewald-Gastronomie auszuhelfen. Mit dem Kahn fuhr ich, oft gemeinsam mit anderen Mädchen, zur Pohlenzschänke. Wir sind dann acht Tage auf der Arbeit gewesen und haben dort geschlafen und blieben dann acht Tage zu Hause. In dieser Zeit war ich dann wieder die mithelfende Bäuerin in der Elternwirtschaft. Einmal, nach Feierabend in der Pohlenzschänke, war ich bereits umgezogen und wollte heim nach Leipe staken. Da kam ein Engländer und wollte unbedingt ein Foto mit mir in Tracht haben. Also wieder raus aus dem Kahn und rein in die Tracht – die 20 Mark Trinkgeld, die ich dafür bekam, waren bei mir damals sehr gut angelegt.“

Eine Kahnfahrt ist Anna Jedro besonders gut in Erinnerung geblieben: „Gemeinsam mit anderen jungen Leuten aus Leipe fuhren wir von der Pohlenzschänke nach Hause. Von den Wirtsleuten hatten wir den restlichen Kuchen mitbekommen. Die ausgelassene Stimmung an Bord, das Schaukeln, führte dazu, dass der Kahn plötzlich voll Wasser lief. Ich hielt geistesgegenwärtig den Kuchen über den Kopf, während wir ganz langsam untergingen. Vollkommen durchnässt und durchfroren verbrachten wir die Nacht am Ufer. Wenigstens der Kuchen war uns geblieben…. Beim ersten Tageslicht machten wir den Kahn wieder flott und fuhren immer noch bibbernd, aber nicht hungrig, nach Hause.“ [6]

Fritz Pohlenz verstarb 1938, seine Tochter Gertrud sollte mal die Geschäfte führen. Sie war aber inzwischen mit dem Werbener Mühlenbesitzer Voigt verheiratet und an dessen Betrieb gebunden. Die Gaststätte wurde noch vor dem Ableben des Fritz Pohlenz, vermutlich erstmalig in ihrer Geschichte, verpachtet. Der Lübbenauer Oskar Callin übernahm 1932 mit seiner Frau Marie und deren damals  19-jährigen Zwillingstöchtern Dora und Margot die Gaststätte und führte sie durch die aufkommenden Kriegswirren bis 1947.

April 1945 – Die Pohlenzschänke als Zufluchtsort

Als die Front immer näher kam und das Geschützdonnern bedrohlicher wurde, packten viele Lübbenauer ihren Hausrat in Kähne und zogen sich in den inneren Spreewald zurück. Hier glaubten sie sicherer als in der Stadt zu sein, hier wollten sie das Kriegsende abwarten. Viele von ihnen suchten Unterschlupf in den Ausflugsgaststätten, die ohnehin ihrer Funktion beraubt waren und relativ viel Platz boten. Sie waren nur von einigen wenigen ausgebombten (und vermutlich zahlungskräftigen) Berlinern teilweise belegt worden. Es spricht schon von viel Sarkasmus, wenn diese dann in den Gästebüchern reimen: „In Berlin gibt‘s Bomben und Granaten, hier 1A-Braten!“

Der Lübbenauer Ernst Kohl erinnert sich: „Als die russischen Truppen im April 1945 unmittelbar bis Lübbenau vorgerückt waren und der Einmarsch in die Stadt bevorstand, wurde der Gedanke an eine Flucht in den Spreewald in die Tat umgesetzt. Wenn sich die Lage wieder beruhigt hatte, würde man zurückkommen. Meine Eltern waren nicht die ersten und einzigen, die so dachten und handelten. Vielleicht würden die sowjetischen Soldaten die Stadt nur für einen schnellen Vormarsch nach Berlin nutzen. Als Fluchtorte wurden die Wotschofska sowie die Pohlenzschänke favorisiert, wobei meine Familie die Pohlenzschänke wählte. Die schon Tage vorher gepackten Taschen und Koffer wurden auf einen Kahn verfrachtet und die Fahrt begann. Gleich uns hatten sich viele Familien eingefunden, sei es durch eine vorweg getroffene Vereinbarung, sei es durch die gebotene Eile. Nach dem strengen Winter 1944/45 waren sonnige und warme Frühlingstage über unser Land gekommen. Wenn sich an den Schleusen die Kähne stauten, konnte man sich Bild dieser schier endlosen Kahnreihe machen. Die Pohlenzschänke war bei unserer Ankunft bereits zu einem guten Teil mit anderen Flüchtlingen belegt, die zumeist aus dem nahen Burg kamen. Schnell wurden alle verfügbaren Räume sowie der Saal belegt. Einige zogen es vor, in für diese Zwecke umgestalteten Heuschobern Quartier zu nehmen. Die Sonne, die Wärme, das frische Grün, die Friedlichkeit des Ortes gaukelten ein Bild vor, wie man es gerne hätte, aber schon wenige Kilometer weiter nicht mehr vorfand. Wie lange wir hier verharren sollten, darüber war man sich nicht im Klaren. Wir Kinder fassten es als eine Art Abenteuer auf. Nach Burg ausgesandte Kähne brachten frische Lebensmittel und neue Nachrichten. Das Bild dieser Ruhe wurde unterbrochen, als plötzlich ein russischer Soldat, der von seiner Einheit versprengt und sich im Spreewald verirrt hatte, plötzlich auftauchte. Es war die erste Begegnung mit dem Feind. Als man erkannte, dass seine Angst größer als unsere war, gab man ihm zu essen und wies ihm den Weg zurück nach Burg. Ein endgültiges Ende fand unser Aufenthalt durch einen schwerwiegenden Zwischenfall. Ein russischer Flieger beschoss im Tiefflug mit seinem Maschinengewehr das Gebäude der Pohlenschänke. Unglücklicherweise hielt sich zu diesem Zeitpunkt ein 12-jähriges Mädchen im Treppenhaus auf, das aus einem höher gelegenen Zimmer etwas holen wollte. Durch das Fenster des Treppenhauses eindringende Geschosse trafen sie tödlich in den Kopf. Das war das Signal für einen allgemeinen Aufbruch, für uns in Richtung Lübbenau, das inzwischen von den sowjetischen Truppen besetzt war.“ (aufgeschrieben von Hans-Joachim Nemitz, Lübbenau)

 

Die Fittkaus

Die Besitzerin der Pohlenzschänke, Gertrud Voigt, war nach der Beendigung des Pachtvertrages mit Oskar Callin auf die Suche nach einem neuen Pächter. Sie war nach dem frühen Tod ihres Gatten 1945 noch mehr in das Werbener Mühlengeschäft eingebunden und dort unabkömmlich. Irgendwie müssen Bernhard und Elise Fittkau aus Lübbenau von deren Suche erfahren haben und nahmen den Kontakt zu ihr auf. Die Fittkaus hielten damals Ausschau nach einem neuen Zuhause und nach neuer Arbeit – für ihren einzigen Sohn Joachim. Dieser war in sowjetischer Kriegsgefangenschaft schwer verunglückt und wäre vermutlich nach seiner Heimkehr nicht mehr zu schwerer körperlicher Arbeit in der Lage gewesen. „Eine Gaststätte…, das könnte das Richtige sein!“, waren ihre Überlegungen damals. Der Pachtvertrag kam schnell zustande. Zur Besitzerin der Pohlenzschänke, zur Gertrud Voigt, entspann sich im Laufe der Jahre eine nahezu familiäre Bindung. Fittkaus übernahmen auch deren Pflege in den letzten Lebensjahren. Im Laufe der Zeit konnte durch die Pacht Geld erarbeitet und letztlich die Pohlenzschänke erworben werden. Die Gaststätte florierte, im Sommer war der Ansturm kaum zu bewältigen. Ingeborg Lossack aus Leipe gehörten in den frühen Fünfzigern zu den Saisonkräften: „Wir sind an den Wochenenden, zu dritt oder zu viert mit dem Kahn zur Pohlenzschänke gefahren. Gestakt wurde abwechselnd. Die Arbeit dort war angenehm, weil alles ebenerdig war. Chefin war damals Frau Fittkau (Mutter von Joachim Fittkau). Ihr Bruder hat nach Feierabend den letzten wegfahrenden Gästen mit der Trompete Soli geblasen. Joachim Fittkau setzte sich manchmal nach getaner Arbeit ans Klavier und wir blieben dann noch eine Weile beisammen. Manchmal fuhren wir erst spät abends nach Hause zurück.“

Auf Joachim Fittkau wartete viel Arbeit. Eine der dringlichsten war die Herstellung eines Stromanschlusses. Bis in die frühen fünfziger Jahre behalf man sich seit 1910 mit Karbidlampen, um wenigstens etwas Licht zu haben. Küche, Kühlschränke, die Arbeit erleichternde Maschinen – alles jahrzehntelang undenkbar und reine Handarbeit. Dem beantragten Stromanschluss wurde staatlicherseits nur stattgegeben, weil sich die Fittkaus verpflichteten, den Strommasttransport selbst zu übernehmen. Vater und Sohn holten die Maste mit dem Ochsengespann am Hafen Waldschlösschen ab und ließen sie von den Tieren durch die sumpfigen Wiesen bis zu den jeweiligen Aufstellorten ziehen.

Ein wenig bekanntes Detail: Die DDR-Friedensfahrtmannschaft weilte nach der Tour einige Tage in der Abgeschiedenheit des Spreewaldes und inkognito in der Pohlenzschänke. Mit Gustav Adolf Schur („Täve“) fuhr Joachim Fittkau im Kahn oft zur Jagd.

Die Wende sicherte die ursprünglichen Verhältnisse

Die Pohlenzschänke war um 1990 wieder in die Verantwortung der Familie Fittkau übergegangen. Die Verwaltung durch die HO Weimar war ebenso beendet, wie auch das Ende der Handelsorganisation selbst eingeleitet war. Im Lehder Karl-Heinz Starick fand sich ein neuer Pächter, er führte die Gaststätte von 1991 bis 2007. Joachim Fittkau, dem die Pohlenzschänke immer noch gehörte und der nie enteignet wurde, war inzwischen bereits im Rentenalter. Für ihn kam deshalb nur eine weitere Verpachtung oder Verkauf infrage. Tochter Stephanie  befand sich zu dem Zeitpunkt im letzten Jahr ihrer Ausbildung und übernahm 2008 das Traditionshaus. Das Übergangsjahr überbrückte die Familie und teilte sich in die Aufgaben.

Zahlen & Fakten

Jahr Bemerkungen
1765 Christian Pohlenz, ein Leiper Landwirt und Fischer, betrieb auf einer Sandinsel mitten im Spreewald mit seiner Frau Marie einen kleinen Ausschank mit Fischgerichten, Bau der Gaststätte (Blockhaus), Sohn Friedrich führt Gaststätte fort [3]
1768/1786? Erteilung Schankrecht
01.10.1889 Karl Albinus verstirbt in der Pohlenzschenke
1896 Altwendischer Saal gebaut und  angeblich

nach Plänen Schinkels gestaltet. Ein Verwandter soll als Zimmermann 1830 in der Straupitzer Schinkelkirche gearbeitet haben und soll Schinkel zur Erarbeitung der Pläne gebeten haben. Dies kann angezweifelt werden, da Schinkel selbst nie in Straupitz war und der Bau des  Saales 55 Jahre nach dem Tod Schinkels erfolgte. Vermutlich handelt es sich um einen damals übliche Werbung: jede Gaststätte wollte/musste etwas „Besonderes“ aufweisen – und Schinkel war „in“

1905 Maler Heynemann, Kunsthochschule Dresden: Gemälde und Landschaften im Saal

Der Urlauber bekam dafür kostenfreie Unterkunft und Verpflegung

1910 Karbidbeleuchtung
Maler Grüßer, Lübbenau: Wandbilder im Fährmanns- und Jagdzimmer, sowie Spruch von Otto Belaschk. Bei Renovierungsarbeiten wurde diese übermalt, konnten aber später teilweise rekonstruiert werden
1925 Die Gaststätte verfügt über 12 Zimmer mit 30 Betten, Mittagessen kostet zwischen 2,60 und 3,90 RM, Unterkunft zwischen 5 und 7,50 RM
Die im Blockhausstil errichtete Pohlenzschenke wurde 50 Meter auf Erlenstämmen nach hinten gerollt, um Platz für einen Ziegelbau zu schaffen
1925 Lübbenauer Firma (Trüstedt): Bau des Ziegelgebäudes

Alle Baumaterialien mit Kähnen aus Lübbenau herangeschafft. Inbetriebnahme des „Hotels Pohlenzschänke“

15.05.1932 Oskar Callin übernimmt mit Ehefrau Marie und den Zwillingstöchtern Dora und Margot (geb. 1913) die Gaststätte als Pächter
24.08.1946 Familie Fittkau pachtet Gaststätte von Gertrud Vogt (gebn. Pohlenz)
01.02.1947 Pachtvertrag mit Oskar Callin endet, Oskar Callin wechselt zur Leiper Schänke
05.01.1947 Gertrud Vogt fordert Vorpächter Callin zur Räumung auf (der Pachtvertrag soll wegen eigenmächtiger Abrissarbeiten an Nebengebäuden – Brennholzgewinnung?- von der Vermieterin gekündigt worden sein)
1948 Heimkehr von Joachim Fittkau aus sowjetischer Gefangenschaft (nach schwerem Unfall am 18.07.1947)
Anfang 1950 Pohlenzschänke erhält Stromanschluss. Bedingung war, dass die Strommasten vom Waldschlößchen abgeholt und zu den Aufstellorten gebracht werden. Mit Ochsen wurde diese Aufgabe erledigt.
Ende 1960er Jahre Zwangsvermietung an HO Weimar (im Rahmen der SED-Enteignungskampagne?), Nutzung als Kinderferienlager für etwa 65 Kinder
Polygraph Leipzig?
1991 Karl-Heinz Starick  ist Pächter bis 2007
1992 Pflanzung von …. Obstbäumen (Kostenlose Bereitstellung durch Biosphärenreservatsverwaltung)
31.05.2007 Rückübernahme durch Familie Fittkau
2008 Stephanie Fittkau übernimmt die Gaststätte

 

 

[1] Andere Quellen besagen 1768 (Zahlendreher?); dann wäre das Schankrecht bereits seinem Vater zugesprochen worden.

Peter Becker, überarbeitet Januar 2017

aus: Becker/Franke; Spreewald kulinarisch-Rezepte und Gasthäuser, Limosa, 2015

Über Peter Becker 397 Artikel
Jahrgang 1948, Diplomlehrer, Freier Journalist und Fotograf

2 Kommentare

  1. Weiß jemand, seit wann der Polenzweg so benannt wurde und warum er nicht mit „h“ geschrieben wird, so wie der Landwirt „Christian Pohlenz“? Soweit mir bekannt, gab es den Polenzweg früher überhaupt nicht und die Höfe wurden mit Nummern bezeichnet, vorangestellt der Ortsteil „Kauper“.

    • Gut beobachtet! Meines Wissens ist das lediglich auf einen Schreibfehler im Amt Burg zurückzuführen, als neue Straßen-/Wegebezeichnungen eingeführt wurden – und neue Straßenschilder nur wegen eins fehlenden „h“…? Das wäre dann wohl doch zu teuer geworden. So bleibt es wohl bei der Burger „Besonderheit“.

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